Türkischer Vize-Regierungschef kritisiert rechtsstaatliche Mängel

Der türkische Vize-Ministerpräsident Ali Babacan sorgt mit öffentlicher Kritik an rechtsstaatlichen Mängeln in seinem Land für Aufsehen. Ein funktionierender Rechtsstaat sei so wichtig wie das tägliche Brot, sagte Babacan laut Presseberichten vom Donnerstag. Derzeit gebe die Türkei allerdings ein "schwaches Bild" ab. Wenn sich das nicht ändere, werde das Land politisch und wirtschaftlich zurückfallen. Die türkische Opposition wirft der Regierung bereits seit langem vor, die Justiz unter ihre Kontrolle gebracht zu haben.

Babacan, ein früherer Außenminister, ist Mitbegründer der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP und gilt als ein Hauptvertreter des wirtschaftsliberalen und EU-freundlichen Flügels der Partei. In der Regierung ist er für die Wirtschaftspolitik zuständig. Bei allen wirtschaftlichen Erfolgen der Türkei sei es ein großes Problem, wenn ernsthaft in Frage gestellt werde, ob das Land ein Rechtsstaat sei, sagte er. Die Rechtsprechung in der Türkei müsse sich an internationalen Standards orientieren.

Mit Massenversetzungen und Umstrukturierungen hatte die AKP-Regierung im vergangenen Jahr mutmaßliche Gegner aus dem Justizapparat entfernt und sich eine entscheidende Rolle bei der Besetzung von Richter- und Staatsanwaltsposten gesichert. In den vergangenen Tagen hatten einige ehemalige Staatsanwälte, die wegen Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung ermittelt hatten und deshalb bestraft worden waren, ihr Zulassungen als Juristen verloren.

Kritik an diesem Vorgehen aus den Reihen der Regierung ist wegen der strengen Parteidisziplin in der AKP höchst selten. Babacan tritt jedoch bei der anstehenden Parlamentswahl am 7. Juni nicht mehr als Kandidat an.

Unterdessen hat die türkische Justiz einen Richter und vier Staatsanwälte entlassen, die aufsehenerregende Korruptionsermittlungen gegen Politiker und Geschäftsleute aus dem Umfeld von Präsident Recep Tayyip Erdogan eingeleitet hatten. Der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) verkündete am Dienstag laut der Nachrichtenagentur Anadolu, die fünf Männer seien wegen der "Untergrabung der Ehre ihres Berufsstandes" und der "Beschädigung des Einflusses und des Ansehens ihrer öffentlichen Posten" entlassen worden.

Die Entscheidung betrifft den Richter Süleyman Karacöl sowie die Staatsanwälte Zekeriya Öz, Celal Kara, Muammer Akkas und Mehmet Yüzgec. Die Männer waren bereits zuvor von ihren Posten abgezogen worden. Öz bezeichnete die Entscheidung des Rates am Dienstag auf Twitter umgehend als "null und nichtig". "Schande auf den HSYK dafür, auf Anweisung von oben zu handeln, das Gesetz und die Verfassung zu brechen und nicht einmal unsere Aussagen anzuhören", schrieb er.

Die entlassenen Justizbeamten hatten im Dezember 2013 Korruptionsermittlungen gegen Politiker und Geschäftsleute aus dem Umfeld Erdogans eingeleitet, der damals noch Ministerpräsident war. Der Skandal erschütterte die Regierung und zwang vier Minister zum Rücktritt. Erdogan macht den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen verantwortlich. Dieser habe Anhänger in Justiz und Polizei zu den Ermittlungen bewogen, um die Regierung zu stürzen.

Tausende Polizisten, Staatsanwälte und Richter wurden in der Folge der Ermittlungen versetzt oder entlassen. Erdogan überstand den Skandal weitgehend unbeschadet und gewann im August die Wahl zum Präsidenten. Im Wahlkampf zu den kommenden Parlamentswahlen am 7. Juni hat Erdogan angekündigt, das Vorgehen gegen die Gülen-Anhänger noch auszuweiten. Die eingeleiteten Korruptionsverfahren wurden inzwischen alle "aus Mangel an Beweisen" ergebnislos eingestellt. (AFP)