Türkei über Papst-Äußerung verärgert

Mit einer Gedenkmesse erinnerte Papst Franziskus an das Leiden der Armenier im Osmanischen Reich. Der Pontifex sprach von "Völkermord". Der Protest Ankaras ließ nicht lange auf sich warten. Die Türkei warf Papst Franziskus vor, mit seiner Äußerung zum Völkermord an den Armeniern Hass zu schüren. Die Erklärung des Papstes sei "weit von Geschichte und Recht entfernt" und nicht hinnehmbar, erklärte Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Sonntag über den Kurznachrichtendienst Twitter. "Religiöse Ämter sind nicht der Ort, mit haltlosen Vorwürfen Feindschaft und Hass zu schüren", fügte er hinzu.

Als Reaktion ist der Apostolische Nuntius in Ankara, Erzbischof Antonio Lucibello, ins Außenministerium einbestellt worden, berichtet die regierungsnahe türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Der türkische Staatssekretär Levent Murat Burhan sagte laut Medienberichten zu Lucibello, die Äußerung des Papstes habe die Türkei tief enttäuscht; sie sei fern der historischen Tatsachen und einseitig. So habe der Papst nur vom Leid der Armenier gesprochen, nicht aber vom Schicksal der Muslime oder der Angehörigen anderer Religionen.

Die Aussage des Papstes widerspreche zudem dessen Botschaften von Frieden, Verständigung und Dialog, die er bei seinem Türkei-Besuch im November überbracht habe, so Burhan. Die jüngsten Ereignisse hätten zu einem Vertrauensverlust in den Beziehungen geführt und zeitigten "sicherlich" noch Folgen. Als erste Konsequenz werde Ankara ihren türkischen Botschafter aus dem Vatikan abziehen.

"Erster Völkermord des 20. Jahrhunderts"

Die Menschheit habe im vergangenen Jahrhundert drei große Tragödien erlebt, sagte Papst Franziskus am Sonntag im Petersdom vor armenischen Gläubigen bei der Messe zum Gedenken an den Massenmord vor hundert Jahren. Die erste dieser Tragödien, die "weithin als 'erster Völkermord des 20. Jahrhunderts' gilt", habe das armenische Volk getroffen. "Die erste christliche Nation -, zusammen mit den katholischen und orthodoxen Syrern, den Assyrern, den Chaldäern und den Griechen", so Papst Franziskus weiter. Die beiden anderen Völkermorde des 20. Jahrhunderts seien "von Nationalsozialismus und Stalinismus" begangen worden. Hundert Jahre nach den Massakern an den Armeniern erinnere sich die Menschheit an dieses "tragische Ereignis, diese ungeheure und sinnlose Vernichtung, deren Grausamkeit eure Vorfahren erlitten haben", sagte Franziskus. Sich zu erinnern, sei eine Pflicht. "Denn wenn die Erinnerung schwindet, hält das Böse die Wunde weiter offen."

Die Äußerung des Papstes, die Ankara erzürnt, lobte der armenische Präsident Sersch Sargsjan als "starkes Signal" an die internationale Gemeinschaft, dass ein Völkermord, der nicht verurteilt werde, eine "Gefahr für die ganze Menschheit" darstelle. Bei den Feierlichkeiten in Rom war auch der armenische Patriarch Karekin II. anwesend. Das Oberhaupt der armenisch-apostolischen Kirche sagt, der armenische Genozid sei eine unvergessliche und unbestreitbare Tatsache, die tief in den Annalen der modernen Geschichte und im Bewusstsein des armenischen Volkes verwurzelt sei. "Deswegen ist jeder Versuch, sie aus der Geschichte oder unserer Erinnerung zu löschen, zum Scheitern verurteilt."

"Wir dürfen den armenischen Genozid nicht vergessen"

Nach unterschiedlichen Schätzungen kamen 1915/1916 bei Deportationen zwischen 200.000 und 1,5 Millionen Menschen ums Leben. Die Türkei lehnt als Rechtsnachfolgerin des osmanischen Imperiums ab, von Genozid zu sprechen. Sie spricht von einigen hunderttausend Toten durch Kämpfe und Hungersnöte während des Chaos des Ersten Weltkriegs.

Der Vatikan sprach nicht das erste Mal von "Völkermord" an den Armeniern: Wie bereits bei einem Treffen mit armenischen Geistlichen 2013 zitierte Franziskus auch bei der Gedenkmesse am Sonntag die Worte aus einer im Jahr 2000 verfassten Erklärung seines Vorgängers Johannes Paul II. und des armenischen Patriarchen Karekin II. Das türkische Außenministerium hatte Franzikus' Worte bereits 2013 scharf kritisiert und als "inakzeptabel" bezeichnet. Zudem warnte es den Vatikan damals davor, "Schritte vorzunehmen, die irreparable Konsequenzen für unsere Beziehungen haben könnten." Franziskus betete während der Sondermesse für eine Versöhnung zwischen den Völkern Armeniens und der Türkei.

Unterdessen hat Kurienkardinal Velasio De Paolis Papst Franziskus gegen Proteste aus der Türkei in Schutz. Die Wahrheit dürfe nicht verschwiegen werden, auch wenn die Reaktion zunächst negativ ausfalle, sagte er im Interview der italienischen Tageszeitung "La Repubblica" (Dienstag). De Paolis weiter: "Niemand klagt die Türkei von heute an. Es muss jedoch ein Schuldbekenntnis für die eigene Vergangenheit geben." Wenn sich durch die Worte des Papstes langfristig nur ein "Spalt im Herzen der türkischen Regierenden auftun" würde, wäre das schon ein enormer Fortschritt. (dpa/AFP/KNA)