Schuld ist immer die Frau!

In Kairo hat die erste Konferenz zu sexueller Belästigung von erwerbstätigen Frauen stattgefunden. Über Ursachen und Gegenmaßnahmen sprach Nelly Youssef mit dem Direktor der arabischen Arbeitsorganisation und einer jordanischen Journalistin.

Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen und Erscheinungsformen von Belästigung und Diskriminierung arabischer Frauen am Arbeitsplatz? Was genau versteht man unter dem Begriff der sexuellen Belästigung?

Ibrahim Quwaidir: Die Diskriminierung von Frauen ist ein Phänomen, das uns auf der ganzen Welt begegnet und auf verschiedene Gründe zurückzuführen ist – es hängt zum Beispiel damit zusammen, wie die weibliche Natur gesehen wird.

Zwar ist Diskriminierung von Frauen ein globales Problem, jedoch kommt bei der arabischen Frau eine besondere Dimension der Diskriminierung zum Vorschein, die in der gesamten Gesellschaft, insbesondere aber am Arbeitsplatz, auftritt.

Die Diskriminierung ist hierbei auf kulturelle und gesellschaftliche Bräuche zurückzuführen, die schon in frühester Kindheit vermittelt werden. In der Familie wird weder den Söhnen der Umgang mit Frauen vermittelt, noch bekommen Töchter den Umgang mit Männern beigebracht.

Hinzu kommen aber auch die arabischen Medien, die sehr dazu beitragen, dass die Belästigung und Diskriminierung von Frauen immer mehr um sich greift. Der Körper der Frau wird in ihnen auf abscheuliche Weise zur Schau gestellt.

Lana Mamkegh: Ich glaube, dass es vier Dimensionen von Gewalt gegen Frauen in der arabischen Welt gibt. Eine davon ist die Gesetzgebung; zwar existieren Verträge und Abkommen, die auch von den meisten arabischen Staaten unterzeichnet worden sind, aber in der Realität finden sie keine Anwendung.

Zweitens wäre da der fundamentalistisch-religiöse Diskurs zu nennen, den wir gegenwärtig in der arabischen Welt erleben. Er schadet dem Islam allerdings eher, als dass er seiner Verbreitung nutzen würde.

Die dritte Dimension ist die sexuelle Belästigung, die wir meiner Meinung nach anders beseitigen müssen, als dies normalerweise versucht wird. Denn in dem Begriff der Belästigung steckt nicht nur die direkte körperliche Zudringlichkeit.

Das Spektrum kann von verbalen Angriffen oder Andeutungen durch Mimik und Gestik bis hin zur Verführung von minderjährigen Angestellten reichen. Oder oftmals sind Bedingungen an gewisse Arbeitsplätze geknüpft, die eine Frau zu erfüllen hat; bei einer Arbeitsstelle mit Publikumsverkehr kann zum Beispiel die Voraussetzung sein, dass sie jung, attraktiv und verführerisch ist.

Die sexuelle Belästigung von Frauen hat viele Ursachen, aber die bedeutendste ist die Tatsache, dass die Frau in der arabischen Welt auf Grund verstaubter Traditionen und Bräuche sowie falschem Verständnis der Religion nach wie vor nur als Sexobjekt betrachtet wird.

Hängt sexuelle Gewalt und Belästigung damit zusammen, dass die Moral zunehmend verkommt und Kontrollinstanzen fehlen?

Quwaidir: Sicherlich, denn in den arabischen Firmen hat sich Sittenverfall breit gemacht. Bestechung oder Vetternwirtschaft führen letztendlich zum Verlust der Moral. Oftmals geht sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz von männlichen Vorgesetzten aus, die Autorität und Macht besitzen und keiner Kontrollinstanz unterstellt sind. Wir werden aber nicht in jedem Büro eine Instanz einsetzen können, die sexuelle Übertretungen oder jedwede Form von Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen kontrollieren kann.

Mamkegh: Manchmal führt dieser moralische Verfall und die unkontrollierte Macht zu einem Verlangen, das schwächere Gegenüber zu demütigen und zu beleidigen – und das ist natürlich die Frau. In vielen Fällen wird sexuelle Belästigung sogar als legitim erachtet.

Das kommt von einem unmoralischen Autoritätsverständnis und dem gesellschaftlichen, politischen oder kulturellen Überlegenheitsgefühl des Mannes gegenüber der Frau in der arabischen Gesellschaft.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Gewalt und Diskriminierung und der hohen Zahl von arbeitslosen Frauen in der arabischen Welt?

Quwaidir: Ja, es gibt einen Zusammenhang. Die Arbeitslosenquote der Frauen in der arabischen Welt liegt bei 48%, und viele Frauen kehren lieber wieder an den Herd zurück, wenn sie Opfer von sexueller Belästigung geworden sind. Sie sprechen nicht über das, was ihnen passiert ist, und sie fordern keine Maßnahmen dagegen.

Es herrscht ein gesellschaftliches Schweigen, und die Tradition verbietet es der Frau sogar, mit den engsten Vertrauten, wie ihrem Mann oder ihrer Familie, darüber zu sprechen. Das große Problem in der arabischen Welt ist, dass der Frau nicht geglaubt und immer ihr die Schuld gegeben wird.

Mamkegh: Ich denke, dass die Frauen manchmal auch selbst für die hohe Arbeitslosenquote verantwortlich sind. Sie schaden sich selber, wenn ihnen am Arbeitsplatz gewisse Rechte gewährt werden, und sie diese zu sehr in Anspruch nehmen, wie beispielsweise der Schwangerschafts- und Mutterschaftsurlaub oder die Erziehungszeiten.

In der arabischen Welt kommt es häufig vor, dass das Verständnis des Arbeitgebers für die Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter über die Maßen ausgenutzt wird, so dass der Frau eine weitere Anstellung verweigert wird.

Warum kommt es in der arabischen Gesellschaft vor, dass Frauen nicht geglaubt wird, die den Mut haben zu sagen, dass sie Opfer von sexueller Belästigung geworden sind?

Quwaidir: Weil in der arabischen Gesellschaft die Meinung vorherrscht, die Frau sei immer die Schuldige und diejenige, die den Mann mit ihrem schändlichen Benehmen dazu verleitet, ihr sexuelle Avancen zu machen.

Aus diesem Grund bewahrt die Frau Stillschweigen über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung, da sie andernfalls gesellschaftlich ausgegrenzt würde. Für den Fall, dass sie verheiratet ist, könnte ihr die Scheidung drohen; sollte sie noch ledig sein, würde dies ihre Heiratschancen verringern.

Warum sind die Gesetze in den arabischen Ländern, die Frauen vor sexueller Belästigung schützen sollen, so unwirksam?

Quwaidir: In der Justiz der arabischen Welt spielen Beweise und Zeugen eine wichtige Rolle. Wie soll eine Frau denn eine Belästigung beweisen, wenn sie psychischer und nicht physischer Natur war?

Mamkegh: Die Mühlen der Justiz mahlen in einigen arabischen Ländern, wie Ägypten und Jordanien, zudem äußerst langsam und machen die ganze Angelegenheit noch schwieriger. Als Konsequenz für den Angeklagten ergibt sich dann vielleicht eine Haftstrafe von ein oder zwei Monaten und eine Geldstrafe von 300 ägyptischen Pfund.

Was sagen Sie zu den Meinungen, die besagen, dass die Frau mit freizügiger Kleidung Belästigungen provoziert? Oder zu jenen, die die Rückkehr der Frau an den Herd oder die Trennung der Geschlechter fordern?

Quwaidir: Diese Meinung kann ich nicht teilen. Dass die Frau arbeiten geht, kann nicht als wahre und direkte Ursache für ihre Belästigung angesehen werden. Denn dieses Problem hängt damit zusammen, wie Männer im Umgang mit Frauen erzogen werden.

Mamkegh: Diese radikalen Meinungen stehen für die Rückkehr der Frau in mittelalterliche Zustände. Es gibt schließlich auch verschleierte Frauen, die Opfer von Belästigung werden. Denn perverse Begierden wird es immer geben, ganz unabhängig von der Erscheinung der Frau. Ferner ist Frauen der Kontakt zu Männern erlaubt, solange die Formen des Anstands gewahrt werden.

Wie kann dieses Problem dann angegangen werden? Gibt es westliche Lösungsansätze, die wir auf die arabische Welt übertragen können, um die sexuelle Belästigung zu bekämpfen?

Quwaidir: Möglichkeiten zur Bekämpfung des Problems wären eine gute Aufklärung und eine richtige Erziehung, die bei den Jüngsten ansetzt, sowie eine Überarbeitung der Bildungs- und Lehrpläne.

Es gibt weiterhin den Vorschlag, eine Hotline in verschiedenen arabischen Staaten einzurichten, bei der Frauen, die Opfer von Belästigung geworden sind, anonym anrufen können. Ich persönlich halte diese Überlegung für keine gute Idee, da Hotlines manchmal von Spaßanrufern missbraucht werden.

In der westlichen Welt gibt es wie bei uns ebenfalls sexuelle Belästigung. In einigen Staaten wird diese thematisiert, aber in den meisten Ländern wird dieses Phänomen tot geschwiegen.

Es gibt keine Studien oder Statistiken von arabischer Seite, die Zahlen oder das Ausmaß des Problems darlegen. Wir können uns an westlichen Modellen orientieren, die auf Umfragen in kleinen Unternehmen beruhen, wobei diese auf eine Gruppe beschränkt und anonym durchgeführt worden sind. Doch das ganze Thema ist immer noch äußerst komplex.

Die Vorschläge, die wir auf dieser Konferenz ausgearbeitet haben, werden nicht ohne Wirkung bleiben, denn wir werden mit ihnen die Inhalte von Medien, Bildung, Erziehung und Aufklärung prägen. Wir werden unsere Ergebnisse der internationalen Arbeitsorganisation in Genf vorlegen und in zwei Jahren eine internationale Richtlinie veröffentlichen, die Frauen vor sexueller Belästigung schützen soll. Darüber hinaus erarbeiten wir Gesetze, die auf arabischer und internationaler Ebene sexuelle Belästigung verbieten.

Mamkegh: Ich bin gegen eine Aufklärung, die sich nur auf Frauen beschränkt, da wir die gesamte Gesellschaft aufklären müssen. Solche Konferenzen wie die unsere sind ja eigentlich eher von Frauen für Frauen, denn die Anzahl der Männer, die an unserer Konferenz teilgenommen haben, ist verschwindend gering.

Männer aus Kreisen der Regierung, der Arbeitnehmer, der Jugend und aus den zivilgesellschaftlichen Organisationen sollten sich aber unbedingt beteiligen, damit wir gemeinsam an einer Lösung dieser Probleme arbeiten können.

Auch gegenüber reinen Frauenvereinigungen bin ich skeptisch eingestellt, denn in ihnen tauschen Frauen nur ihre Leidensgeschichten aus. Im Westen wird diese Problematik durch Gesetze geregelt, und auch wir sollten uns an Gesetzen orientieren. Allerdings sollte dies unter Rückbesinnung auf unser kulturelles, ethisches und religiöses Erbe stattfinden, um daraus Gesetze abzuleiten, die besser angewandt werden können.

Interview: Nelly Youssef

Aus dem Arabischen von Martina Stiel

© Qantara.de 2005

Ibrahim Quwaidir wurde 1947 in dem libyschen Dorf Ghazy geboren. Seit 1999 ist er Generaldirektor der arabischen Arbeitsorganisation.

Lana Mamkegh, Wissenschaftlerin aus Jordanien, arbeitet für das jordanische Radio und Fernsehen.

Qantara.de

Frauen in der Golfregion
Ausgebeutet und bevormundet
In der Golfregion haben Staaten wie Bahrain, Oman, Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate die Gleichberechtigung der Frau längst nicht in ihrer Gesellschaft implementiert. Vor allem Fremdarbeiterinnen werden nahezu wie Arbeitssklaven behandelt. Das stellt der aktuelle Bericht von amnesty international fest. Petra Tabeling hat ihn gelesen.

www
Website des "Arab Regional Resource Center on Violence Against Women" (auf Englisch)