Kulturelle Aktivitäten für Kinder

Das Goethe-Institut in Rabat hat ein Projekt ins Leben gerufen, das marokkanischen Kindern ermöglicht, Filme zu sehen, die für ein junges Publikum gemacht wurden. Über das Projekt informiert Mary Fowles.

Das Goethe-Institut in Rabat hat ein Projekt ins Leben gerufen, das marokkanischen Kindern aus verschiedenen Städten ermöglicht, Filme zu sehen, die für ein junges Publikum gemacht wurden. Über das Projekt informiert Mary Fowles.

Foto: Mary Fowles
Ein "cinéma voiture" für Marokkos Kinder

​​Das Ciné Rail-Projekt machte Kinder aller sozialen Schichten mit künstlerisch anspruchsvollen und sozialkritischen Filmen bekannt - und das in einem Eisenbahnwaggon, der durch ganz Marokko fuhr.

Mit kleiner Lokomotive und kreativem Herzen tourte Ciné Rail zwei Monate lang durch das Land, keuchte und tutete auf seinem Weg von Tanger in den Süden, nach Meknes, Rabat, Kenitra, Fes und Marrakesch.

Im Inneren des langen Waggons entstand ein magisches und fantastisches Ambiente, in dem das Gewirr arabischen Flüsterns aufgeregter Kinder den Raum füllt, wenn die Lichter herunter gedimmt werden und die Filmrollen anfangen, sich zu drehen. Im Bahnhof kommen derweil Züge an und fahren ab und vermitteln so zusätzlich den Eindruck, dass auch dieser Zug auf eine Reise geht.

Engagement für Marokkos Kinder

Als Dieter Strauss, Direktor des Goethe-Instituts von Rabat, im letzten Jahr einen Eisenbahnwaggon sah, auf dem mit Farbe die Worte "cinéma voiture" gemalt waren, hatte er eine zündende Idee. Der Zug wurde ursprünglich dazu genutzt, dem Bahnpersonal Lehr- und Sicherheitsfilme zu zeigen. Doch Strauss erkannte die Gelegenheit, hier etwas für marokkanische Kinder zu tun.

Das Projekt, das in Zusammenarbeit mit dem marokkanischen Centre Cinématographique und dem staatlichen Eisenbahnunternahmen ONCF entstand, doch zu 100% vom Goethe-Institut finanziert wurde, hat nicht viel mit der Verbreitung deutscher Sprache und Kultur zu tun.

Strauss ist bei dieser Initiative der einzige Deutsche, ansonsten wird sie ausschließlich von Marokkanern geleitet. Sie zielt auf die Entwicklung der marokkanischen Kultur ab und zeigt dabei gleichzeitig einen schmerzhaften Mangel auf: das Fehlen kultureller Aktivitäten für Kinder.

"Wir machen in diesem Land nicht viel für Kinder", sagt Rachid Kasmi, der die Filmabteilung des marokkanischen Goethe-Instituts leitet. "Deshalb wollten wir ihnen eine neue Erfahrung geben und diese mit einem Bildungsauftrag verbinden."

Foto: Mary Fowles
Das Projekt war bei Schülern naher Schulen sehr beliebt

​​Bouchra Alile, Lehrerin einer privaten, höheren Schule in Casablanca, besuchte den Ciné Rail mit ihren neunjährigen Schülern und sagte, dass die Filme viele der Themen behandelten, die sie auch im Unterricht durchnehme.

"Die Kinder waren sehr zugänglich für diese Themen", sagte sie. "Es ist eine neue Idee, und ich glaube, dass Aktivitäten dieser Art den Schülern und den Lehrern zugute kommen, weil sie uns die Chance bieten, den Klassenraum zu verlassen und neue Dinge zu erleben, neue Menschen kennen zu lernen."

Filmauswahl auf Münchener Kinder-Filmfestival

Die Filme, die aus so unterschiedlichen Ländern wie Kanada, der Mongolei, Iran, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Deutschland kommen, wurden im letzten Jahr von Kasmi und Strauss auf dem Münchener Kinder-Filmfestival ausgewählt. Dabei hatten sie eine genaue Vorstellung von den Kriterien, nach denen sie vorgingen.

"In keinem dieser Filme finden sich Dialoge", sagte Kasmi. "Es wäre sehr schwer gewesen, Kinderfilme auf Arabisch zu finden, und dass sie einen Film verstehen, in dem Französisch oder gar eine andere Sprache gesprochen wird, ist nahezu ausgeschlossen."

Deshalb wählte er Filme mit viel Musik und einer interessanten Handlung aus: "Davon sind sie absolut gefesselt", sagt er und fügt hinzu, dass Kurzfilme für die Kinder, die im Alter zwischen acht und 14 Jahren sind, am besten geeignet sind. "Keiner der Filme ist länger als zehn Minuten und die ganze Vorstellung dauert etwas weniger als eine Stunde."

Vermittlung von Werten via Celluloid

Die Themen, um die es in den Filmen geht, hängen eng mit dem Ziel des Projekts zusammen: "Der Schutz der Umwelt, soziale Werte - wie das Teilen und die Sorge um Andere, als auch der Verzicht auf Gewalt und Rassismus - waren Themen, die in den Filmen behandelt werden sollten, die wir auswählten", sagte Kasmi.

Der letzte Film der Reihe, der in der Mongolei produziert wurde, zeigt ein junges Dorfmädchen, das für seine Familie eine große Metallkaraffe mit Wasser füllen soll. Dafür muss sie aber an einem grimmig dreinschauenden Schäferhund vorbei.

Sie überwindet sich, schließt ihre Augen fest zu und schafft es, mit der Karaffe am Hund vorbei zu kommen. Das gelingt ihr, doch als sie am Tier vorbei ist, kippt die Karaffe nach vorn und alles Wasser geht verloren. Das Szenario wiederholt sich.

Wassermangel als möglicher Kriegsgrund

"Dieser Film zeigt, dass überall auf der Welt kleine Kinder ihr eigenes Wasser zu tragen haben. Wir wollten die Kinder darauf aufmerksam machen, dass wir mit Wasser sparsam umgehen müssen, weil es teuer ist und es immer zu wenig davon gibt", so Kasmi.

"Außerdem ist in unserer (islamischen) Gesellschaft das Wasser heilig und für unsere ganze Existenz unverzichtbar. Es ist eine Energiequelle und kann, wenn wir zu wenig davon haben, sogar zu Kriegen führen. Deshalb muss das Mädchen, auch wenn sie Angst hat, den Mut beweisen, das Wasser am Hund vorbei zu tragen. Sie hat keine Wahl."

Die marokkanischen Kinder, die die Filme gesehen haben, kommen aus allen sozialen Schichten. Einige wohnen in den so genannten bidonvilles, den Elendsquartieren am Rande der großen Städte.

Andere wiederum kommen aus Waisenhäusern und noch andere auch aus öffentlichen oder reicheren Privatschulen. Das Goethe-Institut kam für alle Transportkosten auf, um die Kinder abzuholen und wieder zurückzubringen.

"Mehr als die Hälfte der Kinder, die zum Ciné Rail gekommen sind, waren zuvor noch nie in einem Zug", erzählte Strauss, der hoch erfreut war, den Kindern dieses Erlebnis bieten zu können.

"Die Kinder waren begeistert von dieser Erfahrung und, was das Wichtigste ist: Ich habe den Eindruck, dass sie die Botschaften dieser Filme auch gut verstanden haben", fügte er hinzu.

Ciné Rail hofft darauf, das Projekt im kommenden Jahr wiederholen und dabei drei weitere Städte besuchen zu können. "Wir wollen auch nach Oujda im äußersten Osten, an der Grenze zu Algerien, und nach Khouribga, zwei Regionen, die sehr arm und isoliert sind, und wo die meisten Menschen noch nie in einem Kino gesessen haben", sagte Kasmi.

"Außerdem möchten wir auch noch nach Casablanca, wo es Hunderte von Schulen gibt, und somit eine große Nachfrage an diesem Projekt besteht."

Mary Fowles

© Qantara.de 2004

Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol