"Die Fanatiker lähmen den Enthusiasmus"

Der ägyptische Schriftsteller Gamal al-Ghitany zählt zu den bedeutendsten arabischen Autoren der Gegenwart. Mit seiner aktuellen Ausgabe der Märchensammlung "1001 Nacht" geriet er ins Visier von sittenstrengen Kritikern. Im konkreten Fall fordern sie, alle erotischen Passagen aus dem Werk zu streichen. Mit Gamal al-Ghitany sprach Magda Luthay.

Gamal al-Ghitany; Foto: DW
Religiöse Eiferer gegen kritische Intellektuelle: "Ich bin nur ein weiteres Glied in dieser Kette der Anfeindungen", meint Gamal al-Ghitany.

​​ Eine Gruppe von selbsternannten Hütern der Moral, sie bezeichnen sich als "Anwälte ohne Fesseln", hat erneut Anklage gegen Sie erhoben. Der Vorwurf lautet, Sie würden mit Ihrer aktuellen Veröffentlichung den Islam sehr negativ darstellen, ja regelrecht beschmutzen. Was steckt wirklich hinter diesen Anschuldigungen?

Gamal al-Ghitany: Das Vorgehen dieser Anwälte spiegelt einen tiefgreifenden Konflikt in der ägyptischen Gesellschaft wider. Es geht längst nicht mehr gegen mich persönlich oder um Inhalte aus "1001 Nacht", dies ist lediglich ein Vorwand, um die Öffentlichkeit zu manipulieren und ganz grundsätzliche Bestrebungen durchzusetzen.

Die ägyptische Gesellschaft ist tief gespalten. Es gibt Befürworter der Moderne, Liberale, Künstler, Intellektuelle - die gebildete Schicht. Ihr gegenüber stehen die konservativen Religiösen. Das sind engstirnig denkende Leute, die ein religiöses Regime befürworten. Kurz gesagt einen politischen Islam bzw. das, was sie selbst darunter verstehen. Sie sehen sich in ständiger Konkurrenz zur Regierung; es dreht sich alles um die Hauptfrage: Wer ist religiöser?

Die Intellektuellen waren und sind die Zielscheibe religiöser Eiferer, die ein grundsätzliches Problem mit kritischem, freiem Denken haben. Sie agieren auf der Straße und rekrutieren ihre Anhängerschaft vor allem in den einfacheren Gesellschaftsschichten, bei den Ungebildeten, die sie mit ihrer Doktrin manipulieren können. Schriftsteller und Künstler sind ihnen seit langer Zeit ein Dorn im Auge - denken Sie nur an Nagib Mahfuz, einen der größten Intellektuellen der arabischen Welt.

​​ Als 1959 einige Auszüge seines Werkes "Die Kinder unseres Viertels" in der Zeitung Al-Ahram erschienen, waren es die ultrakonservativen Kreise, die den Vorabdruck des Buches verhinderten. Mahfuz wurde immer wieder mit dem Vorwurf der Gotteslästerung und Schändung des Islams konfrontiert. Dies hatte zur Folge, dass dieses Werk erst vor wenigen Jahren in Ägypten in arabischer Sprache erscheinen konnte. 1994 wurde Mahfuz von einem Anhänger der Muslimbrüder auf offener Straße mit einem Messer attackiert und überlebte schwerverletzt. Sie sehen, wie lange dieser Konflikt bereits in Ägypten schwelt. Ich bin nur ein weiteres Glied in dieser Kette der Anfeindungen.

Wie erklären Sie sich die Radikalisierung, ja Fanatisierung dieser Gesellschaftskreise?

al-Ghitany: Es gibt in der ägyptischen Gesellschaft ein radikales Gefälle zwischen arm und reich. Sehr viele Menschen haben ein dürftiges Auskommen, können weder lesen noch schreiben. Daraus resultiert eine hohe Arbeitslosigkeit. Ihnen gegenüber steht eine sehr reiche Oberschicht und dann gibt es noch eine dünne Mittelschicht.

Die Radikalen haben es somit leicht, vermeintliche Feindbilder aufzubauen. Dazu kommt, dass viele Ägypter für religiöse Unterweisungen nach Saudi-Arabien reisen und fanatisiert zurückkommen. Sie kämpfen dann in ihrer Heimat für ihre Version der Religion.

Welche Rolle spielt die ägyptische Regierung in diesem lange anhaltenden Konflikt?

al-Ghitany: Gerade in den letzten Jahren hat sich ein sehr positives Klima hinsichtlich der Presse- und Meinungsfreiheit gebildet. Es gibt eine Vielzahl an Zeitungen, die über ein großes Themenspektrum kritisch und durchaus kontrovers berichten. Wir haben ein sehr lebendiges Pressewesen, sogar regierungskritische Berichterstattung ist an der Tagesordnung.

Es gibt keine Zensur, im Gegenteil: Politisch- und gesellschaftskritische Themen sind Teil der journalistischen Kultur Ägyptens und sogar erwünscht. Allerdings warne ich immer davor nur zu kritisieren, das überzeugt auf Dauer nicht. Man muss immer auch konstruktive Lösungsansätze anbieten, erst dann entsteht eine zukunftsweisende Diskussion.

​​ Inzwischen spielt auch das Internet eine wichtige Rolle, gerade bei der jungen Generation. Nein, die Regierung hindert uns Kulturschaffende nicht, die Probleme kommen aus der Gesellschaft selbst. Es sind indoktrinierte Menschen, die ganz spezielle Ziele verfolgen. Sie behindern den Fortschritt. Das Gefährliche daran ist, dass sich diese Fanatiker meist gar nicht inhaltlich fundiert mit den diversen Themen auseinandersetzen, so auch im Falle von "1001 Nacht". Es genügen einige wenige Schlagwörter und schon entsteht ein regelrechter blinder Aktionismus, leider mit oft sehr negativen Auswirkungen.

Glauben Sie, dass ein lebendiges politisches Leben diese Fanatiker aushöhlen könnte?

al-Ghitany: Unbedingt, der Schlüssel für einen Wandel liegt auch in einem aktiven politischen Diskurs. Ein lebendiges politisches Leben leistet einen ganz wesentlichen Beitrag für eine offene vielseitig informierte Gesellschaft. Ich kann nur sagen: Ägypten ist auf dem richtigen Weg!

Insbesondere seit dem 11. September 2001 sind der Kampf gegen Terrorismus und Fanatismus sowie die Förderung der Meinungsfreiheit sehr wichtige Pfeiler der aktuellen Politik.

Wie reagieren Schriftsteller und Intellektuelle auf die erneuten Anschuldigungen gegen Sie? Fühlen sich Kreative durch die Maßnahmen der Konservativen eingeschüchtert?

al-Ghitany: Die ägyptische Schriftstellervereinigung hat vollste Solidarität mit mir und meinem Schaffen bekundet. Es gibt derzeit sehr viele talentierte junge Schriftsteller in Ägypten, und auch die junge aufstrebende Literaturszene aus Saudi-Arabien ist ein echter Geheimtipp. Es ist sehr wichtig, diese Talente zu fördern und ihnen langfristige Perspektiven zu bieten.

Es ist sehr erfreulich, dass sich seit ca. zwei Jahren in Ägypten ein echter Leseboom entwickelt hat. Das ist ein großer Ansporn für den schreibenden Nachwuchs. Die ägyptische Kulturszene pulsiert; diese Erfolgswelle können ein paar Fanatiker nicht stoppen, aber sie lähmen den Enthusiasmus.

Bereits im Jahre 1985 waren mehrere Gerichtsverfahren wegen einer illustrierten Ausgabe von "1001 Nacht" anhängig. Sind Sie zuversichtlich, dass die Anklage abgewiesen wird? Die aktuelle Ausgabe wird immerhin vom ägyptischen Kultusministerium subventioniert.

al-Ghitany: Die Initiatoren waren damals schon religiöse Eiferer, die dem Werk pornographische Inhalte vorwarfen. Die Richter haben in drei Instanzen geurteilt, dass man einzelne Wörter nicht einfach aus dem Zusammenhang reißen dürfe, um so ein ganzes Buch zu verunglimpfen.

Nein, ich habe keine Angst. Das klingt jetzt vielleicht sehr kühn, aber diese erneute Anklage hat der aktuellen Ausgabe von "1001 Nacht" eine ungeahnte Auflage beschert. Innerhalb weniger Monate haben wir über 10.000 Exemplare verkauft. Das Buch ist in den Medien und auch sonst in aller Munde und so populär wie nie zuvor.

Insofern haben die Radikalen wohl das Gegenteil erreicht: Sie haben dafür gesorgt, dass "1001 Nacht" Bekanntheit erlangt hat und das Interesse bekommt, das dieses wunderbare Werk verdient hat. Das ist ein sehr positiver Nebeneffekt, ein Sieg für die Meinungsvielfalt im heutigen Ägypten.

Magda Luthay

© Qantara.de 2010

Gamal al-Ghitany veröffentlichte zahlreiche Romane und Kurzgeschichten und ist u.a. Moderator verschiedener Sendungen im ägyptischen Privatfernsehen. Er war Feuilletonchef der Tageszeitung "Al Akhbar" und ist Herausgeber und Chefredakteur der einzigen Literaturzeitschrift Ägyptens, "Akhbar al Adab". Im März 2009 erhielt er den "Sheikh Zayed Award for Literature" - einen international renommierten Buchpreis, der jährlich in Abu Dhabi an herausragende arabische Kulturschaffende verliehen wird.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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