Experimentelle Kunst im Industriegebiet

Das neue "Beirut Art Center" versteht sich als unabhängiger Kunstraum. Das Programm des Zentrums ist ambitioniert und zielt darauf ab, zeitgenössische Kunstformen einem breiten Publikum näherzubringen. Aus Beirut berichtet Charlotte Bank.

Das neue "Beirut Art Center" versteht sich als unabhängiger Kunstraum. Das Programm des Zentrums ist ambitioniert und zielt darauf ab, zeitgenössische Kunstformen einem breiten Publikum näherzubringen. Aus Beirut berichtet Charlotte Bank.

Beirut Art Center; Foto: &copy Nadim Asfar/Beirut Art Center
Das "Beirut Art Center"</wbr> liegt in einem Industriegebiet am östlichen Stadtrand und bietet auf 1.500 Quadratmetern Platz für Ausstellungen, Film- und Videovorführungen, Diskussionen, Konzerte und Performances.

​​ Seit der Jahrtausendwende machen verstärkt Künstler aus der arabischen Welt auf der internationalen Kunstszene von sich reden. Besonders libanesische Künstler haben sich mit komplexen, konzeptuellen Arbeiten einen Namen gemacht.

Und Beirut hat sich mittlerweile als regionale Kunstmetropole etabliert, die ein internationales Fach-Publikum anzieht. Dennoch ist die Zahl der eigentlichen Kunsträume klein im Vergleich mit anderen Städten der gleichen Bedeutung.

Beirut leidet an einem Mangel an Ausstellungsräumen besonders für nicht-kommerzielle Kunst. Auch wenn einige Galerien der Stadt, wie z.B. Agial im zentralen Stadtteil Hamra oder die bekannte Sfeir Semmler Galerie in dem etwas abseits gelegenen industriellen Gebiet Quarantina gelegentlich experimentelle Kunst ausstellen, so gab es bisher keinen Raum, der ausschließlich hierauf zielte.

Nischen für nicht-kommerzielle Kunst

Die Institutionen, die Ausstellungen und Projekte zeitgenössischer Kunst in Beirut organisieren, verfügen allesamt nicht über genügend große Räumlichkeiten, in denen sich größere Ausstellungsprojekte realisieren lassen und sind demnach darauf angewiesen, für ihre Projekte Räume zu mieten.

Das hat der gesamten Kunstszene zwar eine ganz eigene Dynamik gegeben, hatte aber auch immer den Nachteil, dass bisher wenig Kontinuität entstehen konnte, einfach weil es an einem physischen Ort fehlte, an dem solche Veranstaltungen in regelmäßigen Abständen stattfinden konnten.

Um diesem Mangel entgegenzuwirken, wurde im Januar 2009 das "Beirut Art Center" eröffnet. Konzipiert und gegründet wurde das Zentrum von Sandra Dagher, der früheren Leiterin der Galerie "Espace SD", die 2007 geschlossen wurde, und der Künstlerin Lamia Joreige.

​​ Eine Gruppe von Künstlern, Kuratoren und kunstinteressierten Philanthropen bildet den geschäftsführenden Vorstand der Initiative, während sich Sandra Dagher als Direktorin um die tägliche Leitung kümmert. Finanziert wird das Zentrum zum großen Teil aus Spenden.

Das "Beirut Art Center" liegt in einem Industriegebiet am östlichen Stadtrand und bietet in einem ehemaligen Fabrikgelände auf großzügigen 1.500 Quadratmetern Platz für Ausstellungen, Film- und Videovorführungen, Diskussionen, Konzerte und Performances. Darüber hinaus laden ein Buchladen, eine Mediathek und ein Café dazu ein, den Besuch des Zentrums auszudehnen.

Entstanden ist der Wunsch nach einem solchen Zentrum für unabhängige, nicht-kommerzielle Kunstprojekte schon vor etlichen Jahren. Es hat allerdings eine Weile gedauert, bis der richtige Ort gefunden war.

So erzählt Sandra Dagher von den Schwierigkeiten, geeignete Räumlichkeiten für das Vorhaben zu finden. Dem Besucher mag Beirut voll ungenutzter Räume erscheinen, Fakt ist aber, dass vielerorts die Besitzverhältnisse ungeklärt sind, und deswegen erst einmal lange Verhandlungen in Kauf genommen werden müssen, bevor endlich über den Erwerb einer Immobilie entschieden werden kann. Somit hat es mehrere Jahre gedauert, bevor der Traum von einem unabhängigen Kunstraum endlich realisiert werden konnte.

Ambitioniertes Programm

"Wir wollen gezielt experimentelle, nicht-kommerzielle Kunst fördern", betont Frau Dagher. In Beirut ist es tatsächlich immer noch äußerst schwierig, für solche Werke eine Förderung und einen Ausstellungsraum zu finden.

Dabei verfügt der Libanon - eher als andere Länder der Region - über eine institutionelle Infrastruktur, die es jungen Künstlern ermöglicht, gelegentlich Unterstützung für die Produktion von nicht-kommerzieller Kunst zu erhalten. In anderen Ländern, wie z.B. Syrien, fehlt eine solche Infrastruktur fast vollkommen.

Das Programm des Zentrums ist ambitioniert und zielt darauf ab, zeitgenössische Kunstformen einem breiten Publikum näherzubringen: Wechselnde Ausstellungen mit lokalen und internationalen Künstlern das gesamte Jahr hindurch gehören ebenso dazu wie regelmäßige Veranstaltungen wie Lesungen, Konzerte, Performances und Film- und Videoscreenings.

​​Darüber hinaus werden maßgeschneiderte Führungen und Seminare für Universitäten und Schulen organisiert sowie Workshops angeboten, in denen verschiedene Inhalte zur zeitgenössischen Kunstpraxis vermittelt werden.

Doch nicht nur Ausstellungen und Kunstvermittlung gehören zu den Aktivitäten des "Beirut Art Center", auch eine Mediathek ist eingerichtet worden, das als Archiv der künstlerischen Praxis der Region dienen soll.

Im oberen Stockwerk des Zentrums können in zwei mit Computern ausgestatteten Kabinen in einer Datenbank Werke regionaler Künstler konsultiert werden. Die Mediathek wird von Lamia Joreige, Video-Künstlerin und Mitbegründerin des Zentrums, geleitet und umfasst Videos, Bilder und Texte. Es ist ein fortlaufendes Projekt, das in den kommenden Jahren gezielt ausgebaut werden soll.

Zwischen persönlicher und künstlerischer Erfahrung

Die Eröffnungsausstellung "Closer" zeigte, passend zu den Zielen des Zentrums, Arbeiten von lokalen und internationale Größen.

Deren Werke befassten sich alle mit der Definition des Begriffes "intim". Wann sind Geschichten es wert, öffentlich gemacht zu werden, wo ist die Grenze zwischen persönlicher und künstlerischer Erfahrung, wo ist die Grenze zwischen dem Privatmenschen und der öffentlichen Person. Diesen Fragen wurden von namhaften Künstlern wie Mona Hatoum, Emily Jacir und Akram Zaateri, um nur einige zu nennen, untersucht.

Im April wurde die Ausstellung "Exposure 2009" geöffnet, in der Werke von sieben jungen Künstlern gezeigt wurden, die alle noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Die Arbeiten waren alle auf der Basis einer Ausschreibung eingereicht worden, die zum Ziel hatte, junge Talente im Land zu unterstützen.

Bewertet und ausgewählt wurden die Werke von dem Vorstand des Zentrums in Zusammenarbeit mit einer eigens hierfür eingeladenen Jury. Eine solche Ausschreibung soll nach den Plänen der Leitung des "Beirut Art Center" jedes Jahr stattfinden, um die Produktion zeitgenössischer Kunst gerade von jungen, noch nicht etablierten Künstlern im Land zu unterstützen.

Es gibt genug Pläne für die Zukunft: Außer den bereits erwähnten Vorhaben ist auch eine erweiterte Zusammenarbeit mit internationalen Kuratoren ist geplant. Sandra Dagher hat ausreichend Ideen für Projekte, die dafür sorgen werden, dass sich das Zentrum weiterhin eine Anlaufstelle für Kunstinteressierte aus dem In- und Ausland bleiben wird.

Ein Jahr nach der Eröffnung hat sich das "Beirut Art Center" bereits zu einer festen Konstante in der regionalen Kunstszene etabliert, das auch international Beachtung findet.

Charlotte Bank

© Qantara.de 2010

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Webseite des "Beirut Art Center"