"Ich bin ein Yoruba-Preuße"

Als Kind einer Deutschen und eines Nigerianers bekommt Adé Bantu die Frage nach seiner Identität in die Wiege gelegt. Deutsch? Afrikanisch? Beides – afro-deutsch ist seine Antwort. Und er schreit sie heraus: als Rapper, als Brothers Keeper und als Protagonist im Kampf gegen Rassismus in Deutschland. Von Naima El Moussaoui

Adé Bantu; Foto: Naima El Moussaoui
Seit langem einer der bekanntesten Afrobeat-Künstler Deutschlands: Adé Bantu

​​Die ältere Dame in der Straßenbahn zieht es vor zu stehen, statt sich auf den freien Platz neben ihn zu setzen, die Verkäuferin lässt das Wechselgeld aus sicherer Entfernung in seine ausgestreckte Hand fallen, der Ladendetektiv begleitet ihn, den König, durch jeden Gang und bis zur Kasse.

In seinem kleinen Wohnzimmer in Köln sitzt der Musiker Adé Bantu. 36 Jahre alt, Adegoke Odukoya mit bürgerlichem Namen. "Sobald ich in die Öffentlichkeit trete, werde ich auf meine Andersartigkeit hingewiesen."

Auf der Couch hat er es sich gemütlich gemacht. Er trägt eine Jeans und einen weißen Pullover, die langen Dreadlocks hat er mit einem Haargummi nach hinten gebunden. Fernseher, Stereoanlage, Plattenspieler. Im Fenster stehen Pflanzen, im Regal ein paar Familienfotos. Das Bücherregal erstreckt sich über eine ganze Wand hinweg: Illustrierte Weltgeschichte, Poetry, Picasso, Kunst aus Afrika, Malcolm X, Pioniere für den Frieden, History of Slavery, Nelson Mandela, Muhammad Ali …

Über sich erzählen? Er überlegt, wo er anfangen soll. Am besten bei seiner Geburt. London. Seine Eltern lernten sich in Berlin kennen. In seinem Blick mischen sich Sehnsucht und Stolz. "Mein Vater kam für sein Ingenieurstudium hierhin und schloss es auch erfolgreich ab." Dann zogen sie nach England. Er kam zur Welt. "Und danach sind wir weiter nach Nigeria."

15 Jahre war Adé alt, als er mit seiner Mutter und seinen drei Geschwistern nach Deutschland zog, ins ruhige Leverkusen. Das Land kannte er nur von Besuchen während der Schulferien, die Sprache gar nicht.

"Mein Vater wurde bei einem Raubüberfall in Lagos ermordet und daraufhin hat meine Mutter beschlossen, mit uns zurückzukehren." In ein Land, in dem er zu hören bekam: "Wie lange bleibst du?" und seine Mutter: "Haben Sie die Kinder adoptiert?".

Heimatfrage als Loyalitätsfrage

Aufgewachsen mit Rappern wie KRS-One, Public Enemy und Grandmaster Flash, "als Rap noch eine Message hatte und sich für die Gleichberechtigung vor allem der Afro-Amerikaner aussprach", wie er sagt, entdeckte Adé Anfang der 1990er Jahre das Medium, das ihn so akzeptierte, wie er ist: die Musik.

Band Bantu; Foto: © Sign Supreme Promotion
Adé Bantu: "Wir haben es geschafft, als Afro-Deutsche ein Coming-Out im großen Stile zu veranstalten, die deutsche Identität in Frage zu stellen und gleichzeitig unsere Loyalität zu diesem Land zu bekunden"

​​"Ich ging überallhin auf Hip-Hop-Jams, fing an zu rappen und war schnell in den Anfängen von Deutsch-Hip-Hop." Er griff in seiner Musik den Geist einer "Neuen Schwarzen Bewegung" in Deutschland auf, die sich in den 80er Jahren formierte und definierte: als "Afro-Deutsche" oder "Schwarze Deutsche".

So rappte Adé schon 1994 in dem Song "Afro German" als Mitglied der Hip-Hop-Gruppe "Weep not Child" über die afro-deutsche Identität und trat bei Protestaktionen gegen Rechtsradikalismus auf.

Ständig müsse man sich definieren. Er setzt sich aufrecht hin. "Warum?" Er glaube, die Menschen können nicht verstehen, dass jemand gegenüber zwei Ländern loyal sein kann. "Heimat festzulegen auf einen Ort, wird schwer bei mir, weil ich mich einfach an zu vielen Orten wohl fühle: Köln, Berlin, London, Lagos, Accra …"

Er werde sich nicht entscheiden. "Ich bin Deutsch-Nigerianer, ich bin Afro-Deutscher, ich bin Afropäer, ich bin Yoruba-Preuße und, ja, ich bin Weltbürger", beendet er seine Identitäten-Liste. "Mein Vater kam aus dem Volk der Yoruba, meine Mutter kommt aus dem Volk der Preußen."

Mehr als ein Artist: ein Aktivist

​​"Wir sind schwarz und deutsch" – dieses Selbstverständnis liegt ihm am Herzen. Adé ergreift das Wort für die afro-deutsche Bevölkerung. "Für die Mehrheitsgesellschaft sind die Probleme, mit denen wir Afro-Deutsche konfrontiert sind, unser Alltag etwas Befremdliches."

Musik sei eine vereinende Kraft und könne Dinge verändern. "Vor allem Hip-Hop hat die Aufgabe, die Gesellschaft wach zu rütteln", sagt er. Seine Stimme klingt bestimmt. "In diesem Moment hat ein Künstler eine Mission zu erfüllen."

Und er verfolgt seine: 1997 inszenierte er sein zweites Hip-Hop-Musical, das er "Coloured Children" nannte. Er ließ Jugendliche ihre persönlichen Geschichten erzählen, "fremd" und "isoliert" markierten zwei Schlüsselwörter darin, Rap war ihre Sprache. Das Stück wurde mit dem "Jugendkulturpreis NRW" ausgezeichnet.

Die Identitätsfrage lässt Adé nicht los. Als Neonazis im Juni 2000 in Dessau den 39jährigen Mosambikaner Alberto Adriano ermordeten, rief er afro-deutsche Künstler in Köln zusammen, um "das Schweigen endlich zu brechen".

Seine Worte klangen wie aus einem politischen Manifest: "Wir müssen aufstehen, für unsere Rechte einstehen und notfalls dafür kämpfen." Später ergänzte er: "Ich fordere kreativen Widerstand von all denen, die sich nicht mit den bestehenden Verhältnissen arrangieren wollen. Wir schreiben unsere Geschichte selbst."

Geste der Solidarität: Brothers Keepers

Die Brothers Keepers waren geboren: ein Zusammenschluss von hauptsächlich afro-deutschen Soul-, Hip-Hop- und Reggaekünstlern, die gegen Rassismus und Rechtsextremismus kämpfen – mit ihrer Musik. Ein Brothers Keeper zu sein, bedeute für den Bruder einzustehen und für ihn Verantwortung zu tragen, so Adé.

Musiker-Zusammenschluss gegen Rechts Brothers Keepers Adé Bantu, D-Flame und Xavier Naidoo; Foto: privat
Nicht nur ein Musikprojekt, sondern ein gemeinnütziger Verein, dem inzwischen über 90 Künstler angehören: die "Brothers Keepers" (Adé Bantu, D-Flame und Xavier Naidoo)

​​Brothers Keepers sind nicht nur ein Musikprojekt, sondern ein gemeinnütziger Verein, dem inzwischen über 90 Künstler angehören, darunter zahlreiche namhafte Musiker wie Samy Deluxe, Afrob, D-Flame, Toni L., Torch, Tyron Ricketts, Don Abi, Patrice, Xavier Naidoo ...

"Wir haben es geschafft, als Afro-Deutsche ein Coming-Out im großen Stile zu veranstalten, die deutsche Identität in Frage zu stellen und gleichzeitig unsere Loyalität zu diesem Land zu bekunden", erklärt Adé.

Eine Frau, die ihn nicht liebt

"Immer wenn Deutschland mich abgestoßen oder mir das Gefühl gegeben hat, ich gehöre nicht dazu, und das hat Deutschland nicht nur einmal gemacht, hab' ich gesagt – piff", er sucht kurz nach passenden Worten.

"Weißt du, das ist wie mit 'ner Frau, die du liebst, aber sie schenkt dir keine Aufmerksamkeit. Dann sagst du dir: Hey, ich seh' nicht hässlich aus, ich bin nicht dumm und ich hab' ein gutes Herz. Dann muss es doch irgendjemand anderen da draußen geben, der mich liebt. Und ich hatte ja jemanden: Nigeria."

Das sagt Adé in dem Dokumentarfilm "Yes I Am" (2007). Darin porträtiert der Regisseur Sven Halfar neben ihm die beiden ebenfalls afro-deutschen Musiker D-Flame und Mamadee.

So widmet Adé der Frau, die ihn liebt, viele Songs auf Englisch, Yoruba und Pidgin. Und er besucht sie regelmäßig. Doch auch sie ist nicht perfekt. Deshalb bekommt sie nicht nur Liebeslieder - er kritisiert ihre Verlogenheit und wünscht sich, dass sie sich endlich ändert.

Aus Rap wird "The Sound of Fufu"

Schon früh experimentiert Adé mit europäischen und afrikanischen Musikstilen, Rhythmen und Melodien. Seine Musik entwickelt sich, vereinigt zunehmend die kulturellen Einflüsse, die ihn umgeben.

Die Klänge, die seine heutige Band "Bantu" (Brotherhood Alliance Navigating Towards Unity) erzeugt, nennt Adé den "Sound of Fufu". Er lacht. "Ich mache mich darüber lustig, Musik in Zwangsjacken stecken zu wollen. Ich habe Reggae, Funk, Afro-Beat, Hip-Hop, Soul, Jazz, alles in meiner Musik und dann fragt eine Plattenfirma: 'Was genau machst du da?' Dann halt Fufu." Wieder lacht er.

Bantu & Ayuba bei den Kora-Awards 2005 in Durban, Südafrika; Foto: DW
Preisgekrönt als "beste Gruppe Westafrikas": Bantu & Ayuba bei den Kora-Awards 2005 im südafrikanischen Durban

​​Sinnfrei sei das Wort dennoch nicht: "The Sound of Fufu repräsentiert zugleich meinen Wunsch nach einer Einheit Afrikas.

Fufu ist ein kloßartiges Gericht, das man überall in Afrika findet." Und Fufu scheint zu schmecken – vor allem in Afrika, wo Bantus Songs aus allen Radios dröhnen. Für das letzte Album "Fuji Satisfaction" erhielt die Band den Kora Award, das afrikanische Pendant zum Grammy, als "Beste Gruppe Westafrikas" und "Beste Gruppe Afrikas".

Adé stützt sein Gesicht auf seine Hand auf. Er hat eines dieser Gesichter, die einen fesseln, weil sie leben, in jedem Moment sprechen, auch ohne ein Wort zu verlieren.

Er müsse jetzt los, sagt er, seinen Sohn von der Schule abholen. Vielleicht spielen die Kinder dort gerade wieder "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?", da bekäme sein Sohn immer die Hauptrolle. Die Bahn fährt vor der Tür. Der Platz neben ihm bleibt frei. Diese Frau liebt ihn nicht - ja, wieder bricht sie ihm das Herz.

Naima El Moussaoui

© Qantara.de 2009

Qantara.de

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