Revolution als Liebesaffäre

Aufgrund des politischen Drucks war die Familie der iranisch-jüdischen Journalistin Roya Hakakian nach der Islamischen Revolution gezwungen, den Iran zu verlassen. Hakakian, die heute in den USA lebt, hat jetzt ihre Kindheitserinnerungen verfasst. Von Rasha Khayat

Aufgrund des politischen Drucks war die Familie der iranisch-jüdischen Journalistin Roya Hakakian nach der Islamischen Revolution von 1979 gezwungen, den Iran zu verlassen. Hakakian, die heute in den USA lebt, hat jetzt ihre Kindheitserinnerungen verfasst. Rasha Khayat hat das Buch gelesen.

Roya Hakakian; Foto: &copy Marion Ettlinger
Die Anfänge der Islamischen Revolution als spirituelles Gefühl des Miteinanders und der Zusammengehörigkeit: die jüdisch-iranische Schriftstellerin und Journalistin Roya Hakakian

​​Knapp 30 Jahre nach der Islamischen Revolution lässt sich in jüngster Vergangenheit eine regelrechte Flut von neuen Iran-Büchern ausmachen, die die Ereignisse um den Sturz des Schahs Reza Pahlewi aufarbeiten – seien es die Autobiographie der Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi, die sehr erfolgreichen Memoiren der Literaturprofessorin Azar Nafisi ("Reading Lolita in Tehran") oder die bereits verfilmten "Graphic Novels" von Marjane Satrapi.

Mit ihren Kindheitserinnerungen
"Journey from the Land of No"/ "Bitterer Frühling" hat die jüdisch-iranische Journalistin Roya Hakakian diese Reihe nun ergänzt und um neue Aspekte bereichert.

"Ihre erste große Liebe" nennt Hakakian die Islamische Revolution. Eine Bezeichnung, die überrascht und befremdet. Und auch wieder nicht, wenn man ihren Erklärungen folgt:

"Für uns war es keine Islamische Revolution. Diese Bezeichnung ist ihr erst im Nachhinein gegeben worden. Für uns geschah damals etwas, das größer war, als wir selbst. Wir erlebten den Zenit und den freiesten Moment iranischer Kultur, alle hatten das Gefühl, nach der langen Zeit der Unterdrückung durch den Schah endlich frei atmen zu können", erklärt Hakakian im Gespräch mit Qantara.de.

Als der Schah zur Flucht ins Exil gezwungen wird und Ayatollah Khomeini 1979 in den Iran zurückkehrt, ist Roya Hakakian 12 Jahre alt. Die Familie ist wohlhabend und - angesichts der Stellung des Vaters als bekannter Intellektueller - hoch geachtet. Was kann sich ein Kind aus gutem Hause von einer Revolution, wie sie sich ankündigte, erwartet haben?

Verrat der "ersten großen Liebe"

"Es war ein spirituelles Gefühl des Miteinanders, der Zusammengehörigkeit. Unter uns Jugendlichen machte sich eine Euphorie breit, weil wir das Gefühl hatten, alles war möglich, und wir erlebten diesen Moment mit. Das war sehr wertvoll, auch im Nachhinein."

Nur langsam wird auch der jungen Roya begreiflich, dass sie diese erste große Liebe vielleicht einmal verraten wird. Zunächst nur diffus und unverständlich wahrnehmbar für das Kind müssen ihre älteren Brüder nacheinander schließlich den Iran verlassen und können bis auf weiteres auch nicht auf eine Rückkehr hoffen.

Mehdi Bazargan (Mitte) zusammen mit Studenten auf dem Campus der Universität Teheran 1979; Foto: AP
Der kurze Frühling der Revolution: Mehdi Bazargan (Mitte) zusammen mit Studenten auf dem Campus der Universität Teheran 1979

​​Dann verschwinden Klassenkameraden und kehren nicht zurück. "Ich war zu jung, zu naiv, um zu begreifen, was diese leeren Stühle im Klassenzimmer zu bedeuten hatten. Erst später, als wir selbst fliehen mussten, wurde mir klar, was wir da erlebt haben."

Die Wiedereinführung des Schleiers, so Hakakian, sei so ein früher Moment gewesen, der ihr und ihren Freundinnen deutlich machte, dass aus dem großen Gefühl vielleicht doch eine große Enttäuschung werden könnte. "Am Anfang hat es uns Spaß gemacht, den Schleier zu tragen. Wir sahen es als eine Art neuen Modetrend, als ein Attribut, das uns zu richtigen Iranerinnen machte."

So trägt Hakakian als jüdisches Mädchen das Symbol der muslimischen Frau zunächst mit Stolz und Hingabe. "Doch die zunehmenden Repressionen, die Zwänge und Verbote machten den Spaß dann bald zum Ernstfall und ich begann, mir und meinen Mitmenschen Fragen zu stellen", erzählt die Journalistin.

1984 entscheidet ihr Vater, der bis dahin an dem Glauben an sein Heimatland festgehalten hatte, dass es Zeit sei, den Iran doch zu verlassen. Er schickt seine Frau und seine Tochter vor, über Europa reisen sie zu den Brüdern in die USA. Hakakians Vater selbst folgt ihnen ein Jahr später.

"Bin ich ein 'Bad American'"?

Konsequenterweise endet "Bitterer Frühling" mit dieser Flucht der jungen Frau aus dem Iran, mit dem Ende ihrer "ersten großen Liebe". Den Iran gibt es fortan für sie nicht mehr. Seit ihrer Flucht hat sie das Land ihrer Kindheit nie wieder betreten. Aber warum hat sie so lange gebraucht – fast 15 Jahre – um diese Erinnerungen aufzuschreiben?

"Ich wusste immer, dass ich Schriftstellerin sein wollte", erzählt Hakakian. "Ich hatte schon zuvor Artikel sowie diverse Gedichte veröffentlicht, doch angesichts der antiamerikanischen Propaganda, mit der ich aufwuchs, war der Gedanke, in meinem doch noch sehr jungen Alter meine Memoiren zu verfassen, irgendwie widersinnig."

Sie fragte sich ständig ob sie nun auch eine jener selbstverliebten Amerikanerinnen geworden sei, die nichts wichtiger finden als ihre eigene Person, jener 'Bad American', über die sie damals in Teheran in der Schule gelernt hatten, die immer nur auf ihr Äußeres achten und sich nicht für ihre Mitmenschen interessierten.

"Nehme ich mich und meine Geschichte zu wichtig? Ist es vermessen, ein Erinnerungsbuch zu schreiben?"

Es benötigte viel Zuspruch von außen, Gespräche mit Freunden, um Roya Hakakian davon zu überzeugen, dass ihre Geschichte tatsächlich eine erzählenswerte ist. Mit "Bitterer Frühling" ist ihr nun ein sehr persönliches, einfühlsames Buch gelungen, das versucht, ein Stück Geschichte nicht aus der Retrospektive zu erzählen, sondern die Kraft des Unmittelbaren, des Erlebten noch einmal wieder aufleben zu lassen.

Verklärt sie den Iran, die Zeit der Revolution und ihre Geschichte im Nachhinein? "Das kann schon sein", meint Hakakian selbstkritisch. "Wir neigen ja alle gern zur Verklärung, wenn es um unsere Kindheit geht."

Ihrer Meinung nach, haben westliche Journalisten aber oft einseitig über die Menschen im Iran berichtet und auch die persönlichen Erfahrungen der Menschen zu stark politisiert. "Mir war es wichtig zu zeigen, dass diese Zeit für uns im Iran damals etwas anderes bedeutet hat, als das, was heute in den Geschichtsbüchern steht."

Rasha Khayat

© Qantara.de 2008

Qantara.de

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