Bernhard Elias, 30.07.2011

zu Syriens Präsident al-Assad im Porträt: Der Mann der verpassten Chancen von Kristin Helberg

Endlch eine einigermassen ausgewogene Analyse der Zusammenhänge, die in Syrien die innenpolitische Entwicklung bestimmen. Zu kurz gekommen sind die fortgesetzten Bemühungen des Präsidenten um die paritätische Behandlung der Religionen, die Anstrengungen um die Reform des Bildungswesens zur Steigerung der Alphabetisierungsquote, die Herausbildung einer systemstabilisiereden weil zufrieden gestellten "bürgerlichen" Mittelschicht (Konsumfreude, Reisefreiheit, privater Wohlstand etc.) und die kontrollierte Zulassung von zivilgesellschaftlichen Strukturen / Organisationen im sozialen, kulturellen und Bildungsbereich, bei dem sogar NGOs aus den USA sehr aktiv mitgewirkt haben! Unterschätzt wird meiner Kenntnis nach aber weiterhin der Einfluss der "alten Garde" im Mittelbau der öffentlichen Organe ("Sicherheit" / Polizei / Militär) und zu kurz kommt die allgegenwärtige und grassierende Korruption im Land, derer der Präsident trotz vielfältiger Bemühungen auffälligerweise nicht Herr geworden ist!
Eine Fortsetzung der Analyse wäre interessant: Was folgert aus diesen verpassten Chancen? Wie sehr ist dieses den verschiedenen sozialen, ethnischen und konfessionellen Gruppen bewußt? Und wie werden sich diese jenseits "politischer" Strömungen in der Region für eine syrische Lösung des Problems organisieren können? Denn ohne Zweifel das Land hat bei aller Heterogenität seiner Gesellschaft ein sehr wertvolles kulturelles Fundament, das sich bei der Breite der Bevölkerung in einer freundlichen und friedfertigen Zivilisation wiederspiegelt. Syrien-Besucher können das fast ausnahmslos bestätigen. Umso tragischer sind Eskalation und Provokation. Und leider lassen sich die Erfahrungen aus dem libanesischen und irakischen Bürgerkrieg nicht vermitteln - dass ein solcher Krieg über Generationen Ursache von Trauer, Wut, Misstrauen und Feindseligkeit ist. Eine Wunde, die langsamer heilt, als wenn frühzeitiger "beherzt" ein Neuanfang zugelassen worden wäre. "Wäre".