Keine politische Wende in Sicht

Am 7. Juni finden im Zedernstaat Parlamentswahlen statt. Die Chancen stehen nicht schlecht für das Bündnis aus Hisbollah, schiitischer Amal-Partei und der Freien Patriotischen Bewegung, die Wahlen knapp zu gewinnen. Doch ändern dürfte sich politisch nur wenig. Von Birgit Kaspar

Am 7. Juni sind rund drei Millionen Libanesen dazu aufgerufen, das Parlament neu zu wählen. Die Chancen stehen derzeit nicht schlecht für das Bündnis aus Hisbollah, schiitischer Amal-Partei und der Freien Patriotischen Bewegung, die Wahlen knapp zu gewinnen. Doch ändern dürfte sich politisch ohnehin nur wenig. Von Birgit Kaspar aus Beirut.

Anhänger von Saad Hariri feiern Wahlsieg im Libanon; Foto: dpa
Persönliche Attacken gegen politische Gegenspieler jedweder Couleur: Anhänger von Saad Hariri feiern bereits den Wahlsieg im Libanon.

​​ Die Qualität des libanesischen Wahlkampfes lässt sich nur auf einer nach unten offenen Skala bemessen. Da beschimpfen Kandidaten einander als "Henker" oder auch als "Lügner", persönliche Attacken unterhalb der Gürtellinie sind an der Tagesordnung.

Das pro-westliche Lager um Sunnitenführer Saad Hariri, das von den USA, der EU und Saudi-Arabien unterstützt wird, warnt unermüdlich vor einer Übernahme Beiruts durch Syrien und Iran, falls die derzeitige Opposition gewinnt.

Das von Syrien und Iran unterstützte Bündnis um Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah diffamiert seine politischen Gegner als amerikanische Marionetten. "Das ist keine richtige Kampagne, bei der es um politische Plattformen und Ideen geht, es gibt nur Slogans", kritisiert Osama Safa vom "Lebanese Center for Policy Studies".

Festgelegte Quoten

Das konfessionelle System im Libanon verteilt die Sitze - gemäß festgelegter Quoten - auf zehn der 18 anerkannten religiösen Gruppen. Die Hälfte geht an christliche Kongregationen, die andere Hälfte an die Muslime, darunter Sunniten, Schiiten, Drusen und Alawiten.

Wahlplakat General Aoun; Foto: Mona Naggar
Vielschichtige Allianzen und Zweckbündnisse: Die schiitische Hisbollah, mit der sich der ehemalige Christen-General Michel Aoun verbündet hat, wird von Teheran und Damaskus unterstützt.

​​ Aufgrund des religiös geprägten Wahlverhaltens sowie vorheriger Absprachen stehen mehr als 100 Sitze schon jetzt fest. Mit knappen Kopf-an-Kopf-Rennen wird nur in einigen, überwiegend christlichen Bezirken gerechnet.

Um bürgernahe Themen geht es in diesem Wahlkampf nicht. Schätzungen zufolge sind mehr als zehn Prozent der Libanesen arbeitslos, die Regierung kann nur etwa zwei Drittel des Strombedarfs ihrer Bürger decken, das Gesundheitswesen sowie der Erziehungssektor sind in einem desolaten Zustand.

Außerdem ist der Staat mit einer Rekordverschuldung von rund 47 Milliarden US-Dollar belastet, das sind 162 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Doch keine der bei den Parlamentswahlen antretenden Parteien bietet für irgendeines dieser drängenden Probleme konkrete Lösungsvorschläge an. Ihnen geht es vor allem nur um eines: die Macht.

Vielfältiger Stimmenkauf

Manch einer hat sich deshalb entschieden, dass die Wahl den Aufwand nicht lohnt, zu den Urnen zu gehen. Andere müssen dies jedoch tun, weil sie ihre Stimme verkauft haben. Berichten zufolge werden bei dieser Wahl Rekordsummen ausgegeben, Iran und Saudi-Arabien zählen zu den wichtigsten Sponsoren.

Der Stimmenkauf nimmt vielfältige Formen an, erklärt Carmen Geha von der "Lebanese Association for Democratic Elections", einer lokalen NGO, die die Wahlen beobachtet. Einige Kandidaten gäben Gutscheine für medizinische Untersuchungen oder Krankenversicherungspolicen aus. Andere finanzierten Studienplätze.

Das Grab von Rafik al-Hariri, am Märtyrerplatz in Beirut; Foto: Mona Naggar
Am 15. Februar 2009 gedachten Hunderttausende Libanesen auf dem Märtyrerplatz in Beirut der Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri vor vier Jahren.

​​ "Und vergessen wir nicht den direkten Stimmenkauf. In manchen Bezirken ist eine Stimme bis zu 2.000 US-Dollar wert, in anderen nur 100 oder 200", berichtet Geha.

Während der direkte Stimmenkauf illegal ist, ist die Finanzierung von Transportmitteln, die Wähler zu den Wahlkabinen bringen, erlaubt – selbst wenn es sich um Jets aus Übersee handelt. Geha: "Meine Kollegen erhalten viele Anrufe aus den USA oder Brasilien, in denen Leute ihnen erzählen, dass ganze Flugzeuge von Kandidaten gebucht wurden."

Im Libanon existiert keine Briefwahl, daher müssen Auslandslibanesen, die ihre Stimme abgeben wollen, persönlich in ihre Heimatorte kommen.

Von freien und fairen Wahlen will Wahlbeobachterin Geha deshalb nicht sprechen. "Es gibt große Lücken im Wahlrecht. So haben wir beispielsweise keine offiziell vorgedruckten Stimmzettel. Aber wir klammern uns an die positiven Veränderungen im neuen Wahlrecht."

Abmachungen der politischen Bosse

So zum Beispiel, dass die Wahlen im ganzen Land erstmals am selben Tag stattfinden. Die Sorge einzelner Beobachter, dass es im Umfeld zu einem Ausbruch der Gewalt kommen könnte, hat sich bislang als unbegründet erwiesen, abgesehen von einigen kleineren Zwischenfällen. Verantwortlich dafür ist eine Absprache der so genannten "zuama" , der politischen Bosse, gestützt von den Regionalmächten Syrien, Iran und Saudi-Arabien, die einen friedlichen Ablauf der Wahlen favorisieren.

​​ Doch wie lange diese Absprache hält, bleibt abzuwarten. Zuverlässige Prognosen über den Wahlausgang existieren nicht, es scheint bis zum Schluss spannend zu bleiben. Der Sieg dürfte knapp werden, egal wer ihn am Ende erringt.

Derzeit sieht die Mehrheit der Beobachter bessere Chancen für das Bündnis zwischen der Hisbollah, der schiitischen Amal-Partei und der Freien Patriotischen Bewegung von Christengeneral Michel Aoun.

Doch wer immer am 7. Juni vorne liegen wird, von einer Schicksalswahl könne jedenfalls keine Rede sein, meint Osama Safa vom "Lebanese Center for Policy Studies": "Ich kann nicht erkennen, was sich in der libanesischen Politik nach den Wahlen ändern sollte."

Falls das pro-westliche Lager seine knappe Mehrheit verteidigen könnte, stünde es vor den gleichen Problemen wie bisher. Denn die Hisbollah werde weiterhin auf dem Vetorecht im Kabinett bestehen.

Das bedeutet, dass man sich wieder auf Kompromisse einigen müsste. "Und wenn die Opposition gewinnt", so Safa, "ändert sich auch nicht viel, denn indirekt kontrolliert sie das politische Geschehen schon jetzt."

Entscheidungsschlacht für die Hisbollah

Von einer möglichen feindlichen Übernahme des Libanon durch die Hisbollah zu sprechen, hält Karim Makdisi von der "American University in Beirut" allerdings für Unsinn. Die Schiitenpartei sei interessiert, ihre Legitimität und Glaubwürdigkeit in öffentlichen Institutionen zu stärken.

​​ "Das ist die entscheidende Schlacht für die Hisbollah", betont der Politologe Makdisi. Eines der wichtigsten Ziele dahinter: sicherzustellen, dass niemand ihre Waffen antasten kann. Aber das ist bereits Konsens im Libanon. Niemand glaubt ernsthaft, man könne die Schiitenmiliz gegen ihren Willen entwaffnen.

Die Hisbollah, die in den USA auf der Terrorliste steht, werde es voraussichtlich vorziehen, weiterhin aus dem Hintergrund die Strippen zu ziehen, meint Safa: "Wenn wir von einer Hisbollah-Übernahme des Staates sprechen wollen, dann ist sie bereits im Mai 2008 erfolgt."

Damals hatte Nasrallah ein Kräftemessen mit der Regierung durch eine vorübergehende Übernahme des überwiegend muslimischen West-Beiruts für sich entschieden. Im nachfolgenden Abkommen von Doha erwirkte die Opposition ein Vetorecht im Kabinett.

Drohendes politisches Patt?

Nach den ideologisch geprägten Fehden der vergangenen Jahre, die mehr oder weniger in einem Patt endeten, dürfte eine der Prioritäten der künftigen Regierung lauten, die "Firma Libanon" wieder auf die Beine zu bringen, meint Makdisi:

"Wenn es in der Region ruhig bleibt, dann sind die meisten bereit, ideologisch in eine Art Winterschlaf zu verfallen, Geld zu verdienen und den Staat zu melken, wo sie nur können." Notwendige Reformen blieben dabei auf der Strecke. Als bestes Szenario erscheint eine Regierung der nationalen Einheit unter der Führung eines moderaten Premierministers.

Favorit für den Posten ist der sunnitische Geschäftsmann und Milliardär Najib Mikati aus Tripoli. Er hat ausgezeichnete Beziehungen zu Syrien wie zu Saudi-Arabien und dem Westen und gilt als Mann des Ausgleichs.

Entscheidender für die Zukunft des Zedernstaates dürften aber wohl regionale Entwicklungen sein. Allen voran der Ausgang der iranischen Präsidentschaftswahl am 12. Juni.

"Sollte Ahmedinejad seine Präsidentschaft und seine konservative Politik fortsetzen, dann werden wir einen konfliktbereiten Iran und eine noch aggressivere Hisbollah sehen – und somit mehr Konfrontation", meint der Politologe Safa. Zusammen mit der neuen israelischen Regierung stelle dies eine sehr gefährliche Mischung dar.

Birgit Kaspar

© Qantara.de 2009

Birgit Kaspar war 2003 Studioleiterin des ARD-Nahoststudios (Hörfunk) in Amman/Jordanien. Sie berichtete u.a. aus Bagdad, Kuwait und Basra über den Irak-Krieg und die Zeit danach. Heute arbeitet sie als Korrespondentin aus Beirut für das Journalistennetzwerk Weltreporternet.

Qantara.de

Vier Jahre nach dem Anschlag auf Rafik Hariri
Die Spur der Mörder
Vor vier Jahren fiel Libanons Ex-Premierminister Rafik Hariri einem Bombenattentat zum Opfer. Syriens Geheimdienst soll seine Finger im Spiel gehabt haben, doch die näheren Umstände des Anschlags sind bis heute unklar. Birgit Kaspar informiert.

Religionszugehörigkeit im Libanon
Konfessionalismus als Auslaufmodell
Im Libanon gilt die starke Stellung der Religion in Politik und Alltag als ein wesentliches Hindernis für dauerhaften inneren Frieden. Eine Studie von Anne Francoise Weber untersucht den Alltag und die Einstellungen libanesischer Familien, in denen mehrere Konfessionen aufeinander treffen. Martina Sabra stellt die Erkenntnisse vor.

Interview mit Fawwaz Traboulsi
Ein kollektives Geschichtsbuch für den Libanon
Bekannt ist der Libanon als Schweiz des Nahen Ostens und als Schauplatz für Stellvertreterkriege. In seinem neuen Buch beleuchtet der Historiker und Politologe Dr. Fawwaz Traboulsi die wechselvolle Geschichte des Zedernstaates. Mona Sarkis sprach mit dem Autor.