Signal der Normalität

Aygül Özkan, die designierte Sozial- und Integrationsministerin Niedersachsens, ist die erste deutsche Ministerin mit Migrationshintergrund. Eigentlich selbstverständlich, sollte man meinen. Doch die Berufung der CDU-Politikerin sorgt für Schlagzeilen. Von Hartmut Lüning

Aygül Özkan, die designierte Sozial- und Integrationsministerin Niedersachsens, ist die erste deutsche Ministerin mit Migrationshintergrund. Eigentlich selbstverständlich, sollte man meinen. Doch die Berufung der CDU-Politikerin zur Landesministerin sorgt für Schlagzeilen. Von Hartmut Lüning

Aygül Özkan; Foto: dpa
Novum für die deutsche Politik: Mit der Berufung der Hamburger CDU-Politikerin Aygül Özkan zur niedersächischen Sozial- und Integrationsministerin übernimmt erstmals eine Frau mit Migrationshintergrund ein Ministeramt.

​​ Noch hat die stellvertretende Hamburger CDU-Vorsitzende Aygül Özkan ein paar Tage Zeit, sich auf ihren neuen Job vorzubereiten: Voraussichtlich am 27.04.2010 soll die 38jährige Juristin als neue niedersächsische Landesministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration in Hannover vereidigt werden.

Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) übt sich in politischem Understatement, wenn er sagt, der Fußballclub Werder Bremen habe den türkischstämmigen Mesut Özil ja auch nicht wegen seines Migrationshintergrundes geholt, sondern weil er eben sehr gut Fußball spiele. Denn einen politischen Treffer landete Wulff mit der Berufung Özkans allemal.

Vorbild für Aufstieg durch Bildung

Die 1971 in Hamburg in einer eingewanderten türkischen Schneiderfamilie geborene Karrierepolitikerin ist die erste Frau mit einem so genannten Migrationshintergrund, die in Deutschland ein Ministeramt übernimmt. Die studierte Juristin, die ihr Referendariat im niedersächsischen Stade absolvierte, saß in Hamburg in den Chefetagen mehrerer Telekommunikationsunternehmen und für die CDU zuletzt als Vize-Landesvorsitzende in der Bürgerschaft der Hansestadt.

Die Muslimin beschreibt ihr Engagement in der Partei mit dem "C" für christlich im Namen als logisch: Schließlich stehe die CDU für Werte wie Familie, Verantwortung und Zusammenhalt, für gesellschaftliches Engagement mit dem Gedanken der christlichen Nächstenliebe und der Unterstützung von Schwachen. Diese Werte lebe sie auch als Muslimin.

Kenan Kolat; Foto: AP
Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sieht in der Ernennung Özkans ein Vorbild auch für andere Parteien.

​​Aygül Özkan ist mit einem Hamburger Frauenarzt mit ebenfalls türkischen Vorfahren verheiratet und hat einen siebenjährigen Sohn. Als Politikerin sei sie eher eine Quereinsteigerin, sagt Aygul Özkan, sie sei sich aber ihrer Vorbildfunktion durchaus bewusst.

So werde sie sich in der Familienpolitik dafür einsetzen, die frühkindliche Bildung von Migrantenkindern zu stärken. Sie wolle bei den Eltern dafür werben, dass sie ihre Kinder frühzeitig in den Kindergarten schicken.

Weder "Qotenmigrantin" noch "Quotenfrau"

Auch in diesem Punkt ist Aygül Özkan das personifizierte Vorbild – sie ging als Dreijährige in den Kindergarten. Klischees lehnt sie ab, auch für sich selbst: Sie sei weder "Quotenmigrantin" noch "Quotenfrau", sagt die junge, konservative und muslimische Karrierefrau.

Stattdessen freut sie sich über ihre neue Berufung, die eine Herausforderung sei – nicht nur wegen des Umzuges von Hamburg nach Hannover. Sie könne anderen zeigen, dass sich Ausbildung ebenso lohnt, wie dabei zu sein und Leistung zu zeigen.

Deutschlandweit ist die Berufung von Aygül Özkan einhellig begrüßt worden. Für die Union sprach der Integrationspolitiker Stefan Müller in der "Rheinischen Post" von einem "guten Signal".

Die SPD-Migrationsexpertin Aydan Özuguz zeigte sich "begeistert". Das sei eine Motivation für viele Migrantenkinder. Die Karriere von Migranten werde durch das Beispiel der Hamburgerin "ein Stück normaler".

Auch der FDP-Integrationsexperte Serkan Tören nannte die Entscheidung eine "tolle Sache" und spekulierte schon mal: Vielleicht könne Aygül Özkan ja sogar mal Kanzlerin werden. Und der Grünen-Integrationspolitiker Memet Kilic nannte die Berufung "großartig" und einen Gewinn für die ganze Bundesrepublik. Auch er meint, Özkan werde für viele türkische Migrantenkinder zum Vorbild werden.

Ein "Glücksfall für die Integrationspolitik"

Bischof Norbert Trelle, Foto: dpa
Positive Resonanz auch bei der Kirche: Der Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Norbert Trelle, bezeichnete die Berufung Özkans als "Glücksfall für die Integrationspolitik in Deutschland"</wbr>.

​​Für die türkische Gemeinde in Deutschland sagte der Bundesvorsitzende Kenan Kolat, die Ernennung Özkans sei ein Vorbild auch für andere Parteien. Bemerkenswert sei, dass gerade die CDU diesen wichtigen Schritt mache. Das zeige die gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland, so Kolat in Berlin.

Deniz Güner, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, plädierte dafür, dem Beispiel Niedersachsens zu folgen. Nordrhein-Westfalen als Bundesland mit dem höchsten Migrantenanteil in Deutschland brauche einen Landesminister mit Zuwanderungsgeschichte.

Die Landesverwaltungen sollten geeignete Männer und Frauen mit entsprechendem Hintergrund für höhere Ämter vorschlagen, um die gesamtgesellschaftliche Partizipation zu fördern.

Auch die katholische Kirche hat die Berufung der ersten Muslimin in ein deutsches Landeskabinett als "Glücksfall für die Integrationspolitik in Deutschland" gewertet.

Aygül Özkan könne eine Brücke schlagen zwischen Menschen verschiedener Herkunft mit verschiedenen religiösen Überzeugungen, sagte der Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Norbert Trelle. Erfreulicherweise zeige die Berufung auch, dass Menschen mit Migrationshintergrund hohe und höchste Ämter in Staat und Politik offen stehen.

Hartmut Lüning

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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