"Schnell studieren und weg"

Deutsche Hochschulen empfangen jährlich rund 94.000 Studenten aus Entwicklungsländern - auch aus der islamischen Welt. Doch trotz des Mangels an Hochqualifizierten verlassen viele dieser Studenten Deutschland wieder nach dem Studium. Najima El Moussaoui erklärt warum.

Ausländische Studenten und Studentinnen informieren sich an der Uni Köln über die Lehrpläne für das Wintersemester; Foto: dpa
Prekäre Studien- und Lebensbedingungen</wbr> veranlassen viele ausländische Studierende dazu, nach ihrem Abschluss wieder in ihrer Heimatländer zurückzukehren.

​​In Deutschland herrscht ein Fachkräftemangel. Ursachen hierfür sind eine alternde Gesellschaft und der globale Wettbewerb um die besten Köpfe.

Dieser Trend wird sich weiter verstärken. Denn in Deutschland studieren nur 21 Prozent eines Jahrgangs; weltweit sind es hingegen 37 Prozent, so der OECD-Bildungsbericht 2008 "Bildung auf einen Blick". Damit kann Deutschland seinen Fachkräftebedarf nicht decken.

Dabei könnte die Zahl der Fachkräfte ebenso wie die Attraktivität des Hochschulstandorts Deutschland mit einem Streich erhöht werden, wenn die Bundesregierung stärker auf die so genannten "Bildungsausländer" – Studenten, die ihre Hochschulreife im Ausland erworben haben – setzen würde:

Beachtliche 94.000 junge Menschen aus Entwicklungsländern kommen nach der Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) zur "Internationalisierung des Studiums" jedes Jahr an die deutschen Hochschulen. Doch wie die Studie ergab, ist die Lebenssituation dieser Studenten in Deutschland "prekär".

"Die wissen nicht, was wir im Kopf oder im Herzen haben"

Warum es diese Studenten in der Regel im Vergleich zu Bildungsinländern – Studenten mit einem deutschen Abitur – schwerer haben, ihr Studium erfolgreich zu absolvieren, fasst der 24-jährige Jamal B. so zusammen:

"Wir kämpfen gegen alles: Studium, Arbeit, Druck, Sprache. Die Familie ist nicht da. Das ist sehr schwer. Und wenn irgendwer von uns das schafft, das heißt: Diplom, verdient er Respekt. Niemand sieht das. Die sehen einfach einen Studenten. Die wissen nicht, was wir im Kopf oder im Herzen haben."

2005 kam der Marokkaner Jamal B. nach Deutschland mit dem Ziel, Maschinenbauingenieur

Arabische Studenten; Foto: &amp;copy DAAD
Lange Studienzeiten als Normalfall für viele arabische Studierende in Deutschland

​​ zu werden. Doch der Weg zum Diplom ist lang und beschwerlich. Die fremde Kultur, die deutsche Sprache, die Jamal B. als "sehr, sehr schwer" empfindet und vor allem die Finanzierung seines Lebensunterhalts verlangen ihm ein hohes Maß an Disziplin und Fleiß ab.

Die schlimmste Zeit, das erste Jahr, habe er überstanden und jetzt werde er weiter machen. Zuerst wollte er sein Studium abbrechen und nach Marokko zurückkehren. Das aber hätte seine Familie nicht akzeptiert:

"Das ist nicht so einfach, wenn jemand ohne einen Abschluss nach Marokko zurückkehrt. Die Familie, die Freunde, die Gesellschaft – alle werden schlecht über diese Person reden." Und so gab er dem Druck nach und blieb. Zwar sei er hier nicht glücklich, doch das Leben in Deutschland habe ihn selbstbewusster gemacht.

Doppelbelastung Studium und Arbeit

Die hohe finanzielle Belastung von Bildungsmigranten wird durch den HIS-Bericht bestätigt: Demnach stehen ihnen durchschnittlich 654 Euro für den Lebensunterhalt zur Verfügung, 15 Prozent weniger als inländischen Studierenden. Dies ist ein Durchschnittswert. Das Einkommen von Bildungsmigranten aus Drittstaaten dürfte noch geringer sein.

Studierende im Forschungslabor; Foto: dpa
Ausländische Studierende aus ärmeren Staaten müssen nicht nur mit weniger Geld auskommen, 42 Prozent ihres monatlichen Einkommens müssen sie durch Nebentätigkeiten selbst verdienen.

​​ Um sein Studium zu finanzieren arbeitet Jamal B. drei Tage in der Woche als Küchenhilfe. Er bedauert, dass er seinem Studium nicht so viel Zeit widmen kann, wie er gerne würde: "Fürs Studium braucht man Zeit. Aber ich muss arbeiten. Und wenn ich arbeite, muss ich mich ausruhen. Das bedeutet mehr Zeitverlust. Das alles macht Druck." Der Druck potenziert sich noch, weil sein Visum nur verlängert wird, wenn er regelmäßig Studienleistungen nachweist.

Ausländische Studierende aus einkommensschwachen Ländern müssen nicht nur mit weniger Geld auskommen, 42 Prozent ihres monatlichen Einkommens müssen sie durch Nebentätigkeiten selbst verdienen. Inländische Studierende werden häufiger unterstützt, etwa durch die Eltern, BAföG oder Stipendien. Ihr Eigenanteil an den Lebenshaltungskosten beträgt nach der HIS-Studie nur 27 Prozent.

Infolge der hohen Erwerbstätigkeit kommt es unter den Bildungsmigranten häufiger zu Fachwechseln, Studienabbrüchen sowie längeren Studienzeiten. Dies ergab eine Erhebung im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) aus dem Jahr 2005.

"Ich weiß nicht, welche Integration sie meinen"

Bislang liegt der Hochschulstandort Deutschland nach den USA und Großbritannien auf Platz drei der Beliebtheitsskala für ausländische Studierende, wie die diesjährige DAAD-Studie "Wissenschaft weltoffen" ergab. Doch geht in Deutschland die "Zahl der ausländischen Studienanfänger weiter zurück".

Bislang kamen der Studie zufolge besonders Studenten aus Drittstaaten gerne hierhin. Das liege allerdings nicht daran, dass das deutsche Bildungssystem dieser Gruppe gegenüber besonders offen sei: 62 Prozent der Befragten entschieden sich für Deutschland, weil zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung keine Studiengebühren zu entrichten waren. 57 Prozent hätten andernfalls lieber in einem anderen Land studiert.

So wäre auch Jamal B. lieber nach Frankreich gegangen, weil er fließend Französisch spricht und dort seine Ausbildung als Informatiker, die er zuvor in Marokko absolviert hatte, anerkannt worden wäre.

Er entschied sich für Deutschland, weil die Einreise einfach und das Studium kostenlos war. Jamal B. will "schnell studieren und weg" aus Deutschland – gerne nach Großbritannien. Denn in Deutschland sehe er keine Perspektive für sich: "Sie reden von Integration. Ich weiß nicht, welche Integration sie meinen."

Angesichts des Fachkräftebedarfs in Deutschland ist es eine Verschwendung von Humanressourcen, wenn Bildungsmigranten aus Drittstaaten nach schwierigen Jahren in Deutschland in ihre Heimat zurückkehren oder in ein anderes Land auswandern. Zumal sie hervorragende Voraussetzungen für eine Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt mitbringen:

Sie beherrschen die deutsche Sprache, sind mit der deutschen Kultur vertraut und kommen motiviert nach Deutschland, denn schließlich haben sie ihr gewohntes Leben für ein Studium in Deutschland aufgegeben. Die Bundesregierung sollte bei ihrer Suche nach den besten Köpfen verstärkt ihren Blick auf Bildungmigranten richten. Damit die Begabten unter ihnen die besten Studienleistungen erzielen, ist es erforderlich, sie zu fördern – etwa durch Stipendien.

Najima El Moussaoui

© Qantara.de 2008

Najima El Moussaoui studierte in Köln, Aachen und Madrid Soziologie, Islamwissenschaften und Germanistik. Sie untersuchte den Migrations- und Integrationsprozess marokkanischer Bildungsmigranten am Beispiel von Studenten der Ingenieurswissenschaften.

Dieser Artikel entstand im Rahmen des gemeinsamen Projekts "Meeting the Other" mit dem Online-Magazin babelmed.net im Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs. Mehr Informationen zu diesem Projekt finden Sie hier

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