Keine Araber, keine Tore - Israels Fußball als Parabel

Zwar wird der israelisch-arabische Fußballer Suan von Haifa bis Tel Aviv wie ein Volksheld verehrt, dennoch ist die Toleranz gegenüber den israelischen Arabern in Israel nach wie vor gering. Von Moshe Zimmermann

Foto: AP
In Israel wie ein Volksheld verehrt - Abbas Suan (links im Bild) nach dem 1:1 Ausgleich gegen Irland.

​​Der bedeutendste Araber in den Augen der meisten Israelis ist momentan nicht Machmud Abbas, Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, sondern Abbas Suan. Abbas Suan ist, anders als Machmud Abbas, ein israelischer Araber und israelischer Staatsbürger. Abbas Suan ist Fußballspieler, stürmt für die lokale Mannschaft der arabischen Kleinstadt Sachnin und für die israelische Nationalmannschaft.

Vor einigen Wochen wurde er gegen Ende des Spiels Israel-Irland für die Weltmeisterschaftsvorrunde eingewechselt und konnte in der neunzigsten Minute den Ausgleich zum 1:1 erzielen. Ein Punkt, die Chance auf ein Weiterkommen für die WM 2006 und die Ehre Israels – all das hat Abbas Suan im letzten Moment gerettet.

Arabischer Torjäger für Israel

Dass ein Araber die Ehre des Judenstaates auf dem Fußballfeld rettet – das ist mehr als nur ein Wermutströpfchen für israelische Rassisten auf den Stadionrängen oder vor dem Bildschirm.

Als Suan vor einigen Monaten in einem Freundschaftsspiel der israelischen Nationalelf gegen Kroatien vor der Kulisse Jerusalems – also im Herzen des israelischen Fußballrassismus – sein Debüt als Nationalspieler feierte, wurde er, der Träger der israelischen Farben, ausgebuht und verflucht.

Das gleiche Publikum aber hatte im letzten Jahr klargemacht, dass man auch einen nicht-arabischen, aber moslemischen Spieler im Jerusalemer Vereinstrikot nicht dulden würde.

Doch kaum drei Tage, nachdem Suan die israelischen Rassisten vor ein Dilemma stellte, war es wieder geschehen: Im nächsten WM-Vorrundenspiel, diesmal gegen Frankreich, führten die Gäste mit 1:0, bis der Ausgleich fiel – durch ein Tor von Walid Badir. Badir ist bekannter als Suan, ist ebenfalls israelischer Araber und schoss nicht zum ersten Mal ein Tor für Israel.

Kaum etwas kann das Paradox der israelischen Gesellschaft besser illustrieren als diese beiden Tore. Ein arabisches Mitglied der Knesset machte daraufhin den Vorschlag, den populären Spruch der israelischen Rechten, "Keine Araber – keine Terroranschläge" (im Klartext: "Vertreibt alle Araber, um Terroranschläge zu verhindern"), durch den Slogan "Keine Araber – keine Tore" (für Israel) zu ersetzen.

Fehlende Toleranz gegenüber israelischen Arabern

Man tendiert dazu, Israel nahezu ausschließlich unter dem Vorzeichen des Konfliktes mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten zu verstehen oder zu kritisieren. Das führt dazu, dass das Problem der israelischen Araber, der israelischen Palästinenser, verdrängt wird.

Dabei ist für die israelische Demokratie gerade die Beziehung zu den 20 Prozent Israelis, die Araber sind, die entscheidende Herausforderung. Was sich hier abspielt – im Alltag oder in Krisensituationen, wie am Anfang der Al-Aksa-Intifada im Oktober 2000 –, signalisiert, wohin Israels Gesellschaft und Demokratie steuern.

Eine Ironie der Geschichte ist es, dass das zweite Tor ausgerechnet im Spiel gegen Frankreich fiel, eine Nation, die das Fußballstadion ebenfalls in eine Bühne verwandelt hatte, auf der sie sich mit Rassismus und der Frage der Integration seiner moslemischen und farbigen Minderheiten auseinandersetzt. Das israelische Publikum wusste nicht so recht, ob es gegenüber Suan und Badir eine Haltung entwickeln sollte wie die der Franzosen gegenüber Zidane oder Henry.

Eine ganz andere Ironie der Geschichte war es, dass zwischen den beiden Fußballspielen, am 30. März nämlich, wie jedes Jahr von den israelischen Arabern der "Tag der Erde" begangen wurde. Dieser Tag erinnert an eine Demonstration der israelischen Araber gegen Landenteignungen vor 30 Jahren, die damals mit Gewalt beendet wurde. Diesmal verlief die Demonstration gewaltfrei und unblutig, der Protest hat sich mit den Jahren "zivilisiert".

Nun könnte man sagen, dass nicht nur die Haltung stimmt – der Protest der arabischen Minderheit war friedlich und die mehrheitliche Begeisterung der israelischen Fußballfans lässt Toleranz von Seiten der jüdischen Bevölkerung vermuten, sondern auch der Proporz – zwei arabische Nationalspieler, das sind knapp 20 Prozent der Mannschaft für eine Bevölkerungsgruppe, die etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung beträgt.

Und doch, der Schein trügt. Unter der Oberfläche brodelt es. Die israelischen Araber wollen nicht toleriert werden, sie wollen normale Bürger sein. Die Bereitschaft der jüdischen Mehrheit in dieser Beziehung ist jedoch begrenzt. Das Gerede über den jüdischen Staat führt allzu oft zur Schlussfolgerung, dass im jüdischen Staat Araber keine gleichberechtigten Bürger sein können.

Schon bei den Staatssymbolen beginnt das Problem: Man erwartet vom arabischen Nationalspieler, dass er die Nationalhymne inbrünstig mitsingt, doch wie soll er das guten Glaubens tun? Heißt die erste Zeile doch: "Solange die jüdische Seele in der Tiefe des Herzens bebt." Die Diskussion um den Text ist jedoch tabu.

Und die blau-weiße Fahne mit dem Davidstern, die weht zwar auch in jedem arabischen Dorf in Israel, aber als Identifikationssymbol für Araber kann sie kaum fungieren. Kreative Gedanken über die Lösung dieses Problems erlaubt sich die Mehrheitsgesellschaft bis heute nicht.

Erst Blumen, dann Pfiffe

Dazu stellt sich heraus, dass sich die konsequenten Rassisten unter den Fußballfans nach dem ersten Schock rasch erholen konnten. Beim Spiel zwischen dem Jerusalemer Fußballverein Betar und Sachnin, nur eine Woche nach dem 1:1 gegen Irland, gab es zwar am Anfang Blumen für Abbas Suan, aber dann nicht nur Pfiffe, sondern auch ein riesiges schwarzes Transparent mit blau-weißem Rand, das man über die Köpfe eines ganzen Blocks im Stadion heruntergezogen hatte. "Suan, du repräsentierst uns nicht!", stand darauf.

Es handelte sich hier nicht um die Meinung einer oft so genannten "verschwindenden Minderheit", sondern um eine weit verbreitete Einstellung. Diese kommt auch auf der gehobeneren Ebene zum Ausdruck: Die Diskussion um den "jüdischen Charakter" des jüdischen Staates kreist auch um Zahlen.

Die Warnungen (!) der Demographen, innerhalb von 20 Jahren werde der Anteil der arabischen Minderheit von 20 auf 25 oder gar 30Prozent anwachsen, beunruhigen Medien und Öffentlichkeit.

Kein Wunder, dass der israelische "Rat für nationale Sicherheit" vor kurzem über neue Bestimmungen im Einbürgerungsgesetz beriet, die die Einbürgerung von palästinensischen Arabern, die eine Ehe mit israelischen Arabern schließen, weiter erschweren sollen.

Selbstverständlich gibt es auch hier einen deutschen Zusammenhang: In der israelischen Öffentlichkeit wird – wie auch intern in der Nationalmannschaft – unterstrichen: Es geht diesmal nicht nur um die WM-Vorrunde.

Es geht darum, 2006 in Deutschland auftreten zu können. Die Fußballplätze Deutschlands sollen Austragungsorte einer anderen Art von Abrechnung mit der dunklen Vergangenheit werden. Deswegen muss die Mannschaft sich umso mehr bemühen, die Endrunde zu erreichen. Nur wie, fragt man sich da, passt Abbas Suan in diesen Zusammenhang?

Moshe Zimmermann

Der Autor leitet das "Richard Koebner Center for German History" an der Hebräischen Universität in Jerusalem und lebt in Tel Aviv.

© Süddeutsche Zeitung 2005

Qantara.de

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