Den intellektuellen Islam fördern

Künftig sollen an deutschen Hochschulen Zentren für Islamische Studien eingerichtet und muslimische Religionsgelehrte ausgebildet werden. Darüber sprach Eren Güvercin mit Peter Strohschneider, dem Vorsitzenden des Wissenschaftsrats, der die Empfehlungen dazu ausgesprochen hat.

Peter Strohschneider; Foto: Universität Paderborn
"Wenn Islamische Studien als Theologie an deutschen Universitäten sich gut entwickeln, dann werden sie für den islamischen Diskurs in Deutschland eine wichtige Rolle spielen", sagt Peter Strohschneider.

​​ Der Wissenschaftsrat fordert in seinen Empfehlungen, dass staatliche Hochschulen künftig Studiengänge für Imame und muslimische Geistliche anbieten. Der Studiengang "Islamische Studien", sagen Sie, sei eine Disziplin mit intellektueller Herausforderung. Inwiefern?

Peter Strohschneider: Islamische Studien, im Sinne einer wissenschaftlichen, theologischen Selbstreflexion islamischer Frömmigkeit und islamischer Religion, sind eine Herausforderung, und zwar sowohl für die an der Universität bereits etablierten wissenschaftlichen Disziplinen wie auch für die Islamischen Studien in diesem genannten Sinne selbst. Die Herausforderung besteht einfach darin, dass religiöse, intellektuelle, kulturelle und sprachliche Differenz eine entscheidende Frage für den Islam ist, dass diese Differenz intellektuell bearbeitet werden muss. Herausforderung wäre dann ein sehr positiv wertender Begriff.

Wissenschaft lebt von intellektuellen Herausforderungen und von der Fähigkeit, sich irritieren zu lassen, und zwar sich gegenseitig irritieren zu lassen. Und in diesem Sinne ist die Institutionalisierung einer islamischen Theologie an deutschen Universitäten nicht nur für die intellektuelle Selbstreflexion der Muslime eine wichtige Geschichte, nicht nur ein integrationspolitisch wichtiges Projekt, sondern auch für die Universität ein intellektuell, strukturell wichtiges Projekt.

Warum verwenden Sie den Begriff "Islamische Studien" und nicht Islamische Theologie? Und was wird mit den Islamwissenschaften geschehen?

Peter Strohschneider: Der Unterschied im Wortgebrauch besteht darin, dass Islamische Studien als theologisches Fach an ein Bekenntnis zum Islam gebunden sind, die Islamwissenschaften jedoch nicht. Wir haben den Begriff "Islamische Studien" vorgeschlagen, obwohl er durchaus mit Risiken verbunden ist, z.B. schon dann, wenn man es ins Englische übersetzt, denn dann wäre Islamic Studies genau das, was wir in Deutschland Islamwissenschaften nennen im Unterschied zu den Islamischen Studien. Den Begriff Theologie haben wir bewusst nicht verwendet, weil er aus der christlichen Tradition stammt, aber die deutsche Sprache stellt in dieser Weise nur christliche geprägte Begrifflichkeiten oder Begriffe mit christlichen Traditionshintergründen zur Verfügung. Die Islamwissenschaften sind eine bekenntnisungebundene Wissenschaft, so wie dies auch Literaturwissenschaft und Geschichtswissenschaft sind. Islamische Studien dagegen sind eine bekenntnisgebundene Wissenschaft in dem strukturellen Sinne, in dem evangelische Theologie und katholische Theologie bekenntnisgebundene Wissenschaften sind.

Private Imamschule in Berlin; Foto: dpa
Private Imamschule in Berlin: "Wissenschaft lebt von intellektuellen Herausforderungen und von der Fähigkeit, sich irritieren zu lassen, und zwar sich gegenseitig irritieren zu lassen", sagt der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Peter Strohschneider.

​​ Um die dazu erforderliche Zusammenarbeit zwischen Staat und muslimischer Glaubensgemeinschaft auf eine verlässliche Grundlage zu stellen, schlägt der Wissenschaftsrat vor, an den entsprechenden Hochschulen theologisch kompetente Beiräte für Islamische Studien einzurichten. In den Beiräten sollen auch die islamischen Verbände vertreten sein. Aber es gibt auch einige Kritiker, die in einem solchen Beiratsmodell die Verbände zu stark vertreten sehen.

Peter Strohschneider: Diese Problematik ist uns klar. Die haben wir auch im Wissenschaftsrat von Anfang an gesehen. Wir machen auch nicht einen Vorschlag für den Beirat auf der Ebene, auf der festzulegen wäre, wer konkret wen vertreten soll, sondern wir wollen das Prinzip deutlich machen. Und das Prinzip lautet, dass in diesem Beirat drei Gruppen vertreten sein sollen.

Erstens Repräsentanten muslimischer Verbände. Diese haben keinen Kirchenstatus; sie bemühen sich zum Teil um den Rechtsstatus einer Religionsgemeinschaft, das sind aber umstrittene Angelegenheiten. Hier gibt es auch zwischen den Muslimen heftige gesellschaftliche, sozio-kulturelle Monopolkämpfe. Gleichwohl sind sie eine wichtige Stimme der Muslime in Deutschland, sie können nicht einfach ignoriert werden.

In dem Beirat sollen zweitens muslimische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sein, denn ein großer Teil der deutschen Muslime ist nicht in den Verbänden organisiert, und drittens Theologen. Das können deutsche, das werden – vermute ich – wahrscheinlich auch ausländische Theologen sein, denn der Parallelfall wäre die Beteiligung von Kirchen. Wenn Sie Kirchenvertreter in ein ähnliches Gremium einladen, dann haben Sie theologische Kompetenz immer schon dabei, weil alle Kirchenvertreter Theologie studiert haben. Das ist in den Verbänden anders, weil sozusagen das Verhältnis zwischen der gemeindlichen und der theologischen Ebene im Islam eben anders ist als unter den Bedingungen christlicher Kirchenverfassungen.

Islamischer Religionsunterricht an einer deutschen Schule; Foto: dpa
Die Islamischen Studien sollen auch Fachpersonal für den Islamischen Religionsunterricht und Imame ausbilden.

​​ Die Funktion der Beiräte ist, dass der bekenntnisneutrale Staat nicht inhaltlich in die Frage der Gestaltung der Curricula eingreifen darf und dass er die Frage nicht prüfen darf, ob aus religiösen Gründen gegen Lehrende, also Professorinnen und Professoren, Einwände bestehen. Diese Einwände müssen nach unserer Religionsverfassung Kirchen- und Religionsgemeinschaften aber geltend machen können. Insofern braucht der Staat einen Adressaten für diese Zusammenarbeit, und dieser Adressat kann nach Lage der Dinge nur durch ein solches Beiratsmodell in der einen oder anderen Weise, je nach konkreter lokaler Ausgestaltung, organisiert werden.

Welche gesellschaftlichen Auswirkungen kann dieses Projekt langfristig haben?

Peter Strohschneider: Wenn das eintritt, was man sich wünscht, nämlich dass Islamische Studien als Theologie an deutschen Universitäten sich gut entwickeln, dann werden sie einerseits für den islamischen Diskurs in Deutschland eine wichtige Rolle spielen, weil es dann das gibt, was man eine Sprache, auch eine deutsche Sprache, für die intellektuelle Selbstreflexion islamischen Glaubens nennen kann. Es wird ganz bestimmt einen Effekt haben auf die Universitäten insgesamt.

Und es wird die Stimme der Muslime in der nach wie vor christlich geprägten Mehrheitsgesellschaft vernehmbarer, vielfältiger und auch artikulationsfähiger machen, als es in dem einen oder anderen Fall gegenwärtig gegeben ist. Das würde ich doch auch in, ich würde nicht sagen integrationspolitischer, aber in gesellschaftspolitischer Hinsicht für einen sehr erwünschten und notwendigen Effekt in einer zunehmend pluraler werdenden Gesellschaft halten.

Interview: Eren Güvercin

© Qantara.de 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Einführung von Islamischen Studien