Die neuen Rivalen des Präsidenten

Mit der Wahl des Tadschiken Junus Qanuni zum afghanischen Parlamentspräsidenten und den Partikularinteressen der Volksstämme im Abgeordnetenhauses sind Konflikte mit Präsident Hamid Karsai vorprogrammiert, schreibt Said Musa Samimy.

Mit der Wahl des Tadschiken Junus Qanuni zum afghanischen Parlamentspräsidenten und den vorherrschenden Partikularinteressen der Volksstämme im Abgeordnetenhauses sind Konflikte mit Präsident Hamid Karsai vorprogrammiert, schreibt Said Musa Samimy.

Afghanistans Parlamentspräsident Junis Qanuni auf einer Pressekonferenz in Kabul, Foto: AP
Die Wahl eines Tadschiken zum Parlamentspräsidenten ist ein politisches Novum in Afghanistan: Karsais politischer Gegenspieler Junis Qanuni

​​Als Vertrauensmann des Westens wurde Hamid Karsai im Oktober 2004 zum ersten demokratisch legitimierten Präsidenten des Landes gewählt. Ein Jahr später wurde, nach Parlamentswahlen, mit der Bildung der Legislative ein parlamentarisches Kontrollorgan geschaffen, das für die Entwicklung des Landes in vielfältiger Hinsicht von großer Tragweite sein wird.

Stammesloyalität wichtiger als politische Zugehörigkeit

Mit der Wahl von Junus Qanuni, einem Tadschiken, zum Präsidenten des Parlaments Anfang Januar 2006 haben die Parlamentarier ihre erste demokratische Probe bestanden. Im Vielvölkerstaat Afghanistan fühlen sich die Menschen nämlich vor allem ihren Volksstämmen verpflichtet. Die Stammesloyalität wird daher in der Regel höher bewertet als religiöse oder politische Zugehörigkeit.

Das afghanische Parlament wird von Parlamentariern paschtunischer Abstammung dominiert. Die Wahl eines Tadschiken zum Parlamentspräsidenten - in direkter Rivalität zu einem paschtunischen Kandidaten, dem berüchtigten "Warlord" und Islamisten Abdul Rasul Sayyaf -, stellt daher ein politisches Novum dar.

Präsident Karsai, ein politisch gemäßigter Paschtune, wird damit einen ebenfalls maßvollen und nüchternen Tadschiken als Gegenspieler im Parlament haben. Aber obwohl beide Politiker konstruktive und verfassungskonforme Zusammenarbeit beteuern, sind Reibungen, wenn nicht gar Konfrontation vorprogrammiert, denn beide Politiker sind machtbewusst und ehrgeizig und damit natürliche Rivalen.

Bislang hat Präsident Karsai die Geschicke des Landes mehr oder weniger im Alleingang bestimmt, zumindest dort, wo die Macht der Zentralregierung hinreichte. Jetzt muss er seine Entscheidungen, soweit sie der Zustimmung des Parlaments bedürfen, der Kontrolle des Abgeordnetenhauses unterwerfen. Das Prozedere wird dadurch erschwert, dass die Abgeordneten auf keine parlamentarischen Erfahrungen zurückgreifen können.

Politische Herausforderung für den Präsidenten

Das afghanische Parlament ist ein Sammelbecken der partikularen Interessen diverser Volkstämme, unter den Abgeordneten herrschen traditionalistische Denkweisen vor. Sie sind in der Mehrheit hauptsächlich lokal orientiert und werden kaum nationale Perspektiven an den Tag legen. Säkular Denkende und streng religiös Gesinnte werden in direkter Konfrontation miteinander die politische Auseinandersetzung des Parlaments prägen.

Aufgrund des Fehlens politischer Parteien - die Wahl hat nicht auf Grundlage von Parteienzugehörigkeit stattgefunden - wird Karsai also Zugeständnisse an wechselnde Gruppierungen machen müssen, um für seine Entscheidungen parlamentarische Mehrheiten zu bekommen. Zu allererst wird sich die Kabinettsumbildung als schwierig erweisen.

Karsai muss nicht nur überzeugende Kandidaten für die Ministerposten präsentieren, sondern auch auf eine genau austarierte Vertretung der Volksstämme achten, andernfalls wäre das Scheitern der Regierung absehbar.

Um das Vertrauen des Parlaments zu gewinnen, müssen der Präsident und sein Kabinett über ein Regierungsprogramm hinaus einen Aufbauplan vorlegen, der klare politische, soziale und vor allem ökonomische Entwicklungsperspektiven beinhaltet. Denn bislang stellen sich die Aufbaumaßnahmen Kabuls mehr als eine Liste von Ad-hoc-Maßnahmen dar denn als große nationale Aufbaustrategie.

Zudem nimmt die Kluft zwischen Arm und Reich ständig zu. Auf einer Seite sind da die Neureichen, Profiteure des Bürgerkrieges, die ihren Reichtum gern zur Schau stellen. Auf der anderen Seite befinden sich die Massen, darunter die aus dem Ausland zurückgekehrten Afghanen, die ihr Hab und Gut im Krieg verloren haben.

Karsais Politik der nationalen Versöhnung

Die großen Herausforderungen der Regierung Karsai bestehen weiterhin im Drogenanbau und -handel und in den anhaltenden Destabilisierungsaktionen von Terror-Gruppen.

Die Regierung mit ihren bescheidenen Finanzmitteln ist gegen die Drogenmafia machtlos. Das Land ist - trotz der 20prozentigen Reduzierung der Anbaubaufläche für Mohn - mit über 85 Prozent Weltanteil der größte Drogenproduzent.

Eine wirksame Strategie zur Drogenbekämpfung, die über die Kräfte des Landes hinausgeht - etwa durch eine massive Subventionierung des Weizenanbaus als Alternative zum Mohnanbau -, würde die tatkräftige Kooperation der internationalen Gemeinschaft erfordern.

Die Politik der nationalen Versöhnung, die Karsai ständig beteuert, zielt darauf ab, den bewaffnete Kräften eine Chance zur Rückkehr ins Zivilleben zu ermöglichen und somit die Kluft zwischen den "Hardlinern" und den "Gemäßigten" zu vergrößern.

Als sichtbares Ergebnis weist die Regierung darauf hin, dass nun einige Kommandeure von Gulbuddin Hikmatjar, dem Emir der "Islamischen Partei Afghanistans" (der einer der schlimmsten Zerstörer des Landes vor den Taliban war), ihre Waffen niedergelegt hätten.

Darüber hinaus haben die mehrmaligen Amnestie-Angebote der Regierung bewirkt, dass selbst einige berüchtigte Kader der Taliban-Milizen ins Zivilleben zurückgefunden haben und sogar als gewählte Abgeordnete im Parlament sitzen.

Allerdings stößt diese Politik der Integration der ehemaligen "Gotteskrieger" manchem Abgeordneten sauer auf – vor allem denjenigen, die die "ethnische und religiöse Säuberung" der Jahre 1996-2001 nicht vergessen haben. Auch darüber wird der Präsident demnächst Rechenschaft ablegen müssen.

Said Musa Samimy

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2006

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