"Es geht um Entwicklung, nicht um Drogenbekämpfung"

Der Kampf gegen die Drogenökonomie in Afghanistan zeigt keinen Erfolg. Der Senlis Council, eine Denkfabrik zur internationalen Drogenpolitik, macht einen einfachen Vorschlag: Der Drogenanbau in Afghanistan sollte nicht bekämpft, sondern staatlich kontrolliert werden.

Der Kampf gegen die Drogenökonomie in Afghanistan zeigt keinen Erfolg. Die Anbaufläche ging dieses Jahr zwar zurück, doch die Ernte war mit gut 4000 Tonnen fast genauso hoch wie 2004. Die Schattenwirtschaft rund um das Opium macht 60 Prozent des afghanischen Bruttosozialprodukts aus. Der Senlis Council, eine Denkfabrik zur internationalen Drogenpolitik, macht einen einfachen Vorschlag: Der Drogenanbau in Afghanistan sollte nicht bekämpft, sondern staatlich kontrolliert werden.

Opiumgewinnung aus Mohnsamen; Foto: dpa
Der Senlis Council schlägt vor, das Opium dem illegalen Drogenmarkt zu entziehen und stattdessen zur Herstellung der Schmerzmittel Morphium und Kodein zu verwenden

​​Vorbilder für den Plan sind Länder wie Indien und die Türkei, wo lizenzierte Bauern seit Jahren Opium für medizinische Zwecke herstellen.

Die Existenzgrundlage der rund zwei Millionen afghanischen Bauern, die vom Drogenanbau leben, bliebe erhalten, argumentiert die im Jahr 2002 eingerichtete Denkfabrik. Zugleich würden schädliche Begleiterscheinungen der Drogenökonomie wie Korruption und Gewalt eingedämmt.

Und der kontrollierte Kauf des Opiums wäre nicht teurer als der Kampf gegen den Anbau. Emmanuel Reinert, der Direktor des Senlis Council, präsentierte den Vorschlag Ende September in Kabul.

Herr Reinert, wie hat die afghanische Regierung auf Ihren Vorschlag reagiert?

Emmanuel Reinert: Als wir unsere Ergebnisse veröffentlichten, gab es eine Presseerklärung. Darin begrüßte die Regierung unser Vorhaben, die Möglichkeiten einer lizenzierten Opiumproduktion auszuloten. Sie hat aber auch deutlich gemacht, dass Afghanistan noch nicht reif sei für unseren Vorschlag, weil sie derzeit nicht in der Lage sei, eine solche Lösung abzusichern.

Gab es auch eine inoffizielle Reaktion?

Reinert: In gewisser Weise ja. Die Regierung muss vorsichtig sein. Für uns war die Reaktion ermutigend. Sie haben nicht gesagt, unser Vorschlag sei unmöglich, sondern lediglich, dass es eine Frage des Timings sei. Ich denke, damit hat die Regierung auf kluge Weise ihre Zustimmung ausgedrückt. Sie muss die Meinung der wichtigen Geberländer berücksichtigen, allen voran der Vereinigten Staaten und Britanniens.

Haben diese beiden Länder reagiert?

Reinert: Nein, mit keinem Wort.

Wie erklären Sie sich das?

Reinert: Beide Länder verfolgen eine ganz bestimmte Politik, bei der die Vernichtung der Drogen im Mittelpunkt steht. Wir betrachten das Problem aus einer ganz anderen Perspektive, und das ist einfach zu neu für sie.

Vernichtung von Mohnsamen; Foto: dpa
Der Gouverneur der Provinz Kandahar, Yousuf Pushtoon (M), und andere Behördenvertreter zerstören ein Mohnfeld in Dand-Distrikt, 20 km südlich der Provinz Kandahar

​​Wir haben sie damit überrumpelt, würde ich sagen. Vor allem dadurch, dass wir nicht nur eine Idee, sondern eine fundierte Studie vorgelegt haben. Die Idee, den Opiumanbau zu lizenzieren, ist ein Entwicklungsprojekt und weniger eine Maßnahme zur Drogenbekämpfung.

Es geht um Entwicklung und wirtschaftlichen Wiederaufbau in Afghanistan. Wenn in einem Land der Anbau einer Pflanze 60 Prozent des Bruttosozialprodukts ausmacht, dann geht es nicht mehr nur um Drogen. Dann gibt es vielmehr ein wirtschaftliches Problem, das nicht durch repressive Politik und militärische Drogenbekämpfung bearbeitet werden kann. Die USA und Britannien verunsichert dieser Ansatz; sie wissen einfach nicht, wie sie damit umgehen sollen.

Die UN-Drogenbehörde sagt, Ihr Vorschlag würde nicht funktionieren, weil das Angebot an Morphium und Kodein schon heute die globale Nachfrage übersteige.

Reinert: Das ist eines der paradoxen Argumente, mit denen wir konfrontiert sind. Es stimmt zwar, dass das Angebot zurzeit größer ist als die offiziell registrierte Nachfrage. Jedoch weisen die Weltgesundheitsorganisation und die Internationale Behörde zur Kontrolle von Betäubungsmitteln jedes Jahr darauf hin, dass es weltweit dringenden Bedarf an Schmerzmitteln gibt.

Achtzig Prozent aller Länder haben Zugang zu lediglich sieben Prozent des weltweit hergestellten Morphiums und Kodeins. Allein die sieben reichsten Länder verbrauchen 80 Prozent. Es gibt kein Morphium oder Kodein in Lateinamerika, Asien und Afrika; selbst in Westeuropa gibt es immer wieder Engpässe.

Zurzeit ist der Weltmarkt so organisiert, dass das Angebot den tatsächlichen Bedarf nicht deckt. Wir wollen eine afghanische Morphiumsorte auf den Markt bringen, um die globale "Schmerz-Krise", wie die WHO es nennt, zu lindern.

Würde die Lizenzierung den Opiumanbau nicht zusätzlich stimulieren und zugleich das Risiko erhöhen, dass die Ernte teilweise in den illegalen Markt fließt?

Reinert: Derzeit gelangen hundert Prozent der Ernte auf den illegalen Markt. Schlimmer kann es also nicht werden. Wäre es nur ein Prozent weniger, dann hätten wir schon eine Verbesserung.

Russische Soldaten schichten beschlagnahmte Heroin-Päcken aus Afghanistans Drogenanbau; Foto: ITAR-TASS
Über eine Million Tonnen Heroin aus dem afghanischen Drogenhandel haben russische Soldaten an der afghanisch-tadschikischen Grenze beschlagnahmt

​​Wir haben eine Menge Interviews in den ländlichen Gebieten geführt und sind zuversichtlich, dass die Bauern sich für die legale Variante entscheiden, wenn sie die Wahl haben zwischen dem Anbau für ein Lizenzsystem und dem Verkauf auf dem illegalen Markt.

Wenn wir lokal verankerte Mechanismen sozialer Kontrolle nutzen, dann können wir das Risiko, dass Teile der Ernte abgezweigt werden, deutlich reduzieren. Gleichzeitig wird der illegale Markt immer kleiner, je mehr Bauern sich für das Lizenzsystem entscheiden, und verschwindet möglicherweise irgendwann völlig.

Ist die informelle soziale Kontrolle wirklich ausreichend? Würden die Bauern widerstehen, wenn illegale Opiumhändler die Lizenzpreise überbieten?

Reinert: Es herrscht keine Anarchie im ländlichen Afghanistan. Es gibt eine funktionierende soziale Organisation, zum Beispiel in Form lokaler Versammlungen wie Shuras oder Jirgas beziehungsweise Ältestenräten.

Aber was ist mit den Warlords, die am Drogenhandel beteiligt und noch immer sehr stark sind?

Reinert: Das ist etwas anderes. Erste Untersuchungen zur Wertschöpfung in einer lizenzierten Opiumwirtschaft zeigen, dass das Nettoeinkommen der Bauern mindestens so hoch wäre wie bisher. Zum einen würden einige Kosten wegfallen, die der illegale Markt mitbringt, zum Beispiel für Bestechung oder Sicherheitsdienste.

Zum anderen könnten die Bauern möglicherweise am Verkauf der Medikamente verdienen, wenn das Opium noch in Afghanistan zu Morphium und Kodein verarbeitet würde. Und das gilt auch für die lokalen Händler und Kriegsfürsten. Sie könnten in einem Lizenzsystem eine Rolle und ein Auskommen für sich finden.

Zur Lizenzierung des Opiumanbaus brauchen Sie aber auch effektive Regierungseinrichtungen. Der afghanische Staat ist jedoch weiterhin ziemlich schwach.

Reinert: Ja, wir bräuchten eine zentrale Opiumbehörde mit Dependancen auf lokaler und auf Distriktebene. Der große Vorteil des Lizenzsystems wäre, dass der Zentralstaat auf lokaler Ebene an Akzeptanz gewänne, weil er nicht mehr die Lebensgrundlage der Bauern attackieren würde. Zurzeit läuft jede Initiative der Regierung zum Opiumanbau darauf hinaus, die Bauern anzugreifen.

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Dabei wollen diese nur Geld verdienen, um sich und ihren Familien ein anständiges Leben zu ermöglichen. Die Lizenzierung würde die Lebensgrundlage der Bauern erhalten und zugleich den afghanischen Staat stärken.

Ein Lizenzsystem setzt einerseits Kontrolle voraus, andererseits schafft es die Bedingungen, die wirksame Kontrolle erst möglich machen. Wir könnten so den Teufelskreis des illegalen Marktes in einen Kreislauf sich gegenseitig verstärkender Vorteile verwandeln.

Die Fragen stellte Tillmann Elliesen.

© Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit

Das Interview wurde für Qantara.de leicht gekürzt.

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Website des THE SENLIS COUNCIL - Drug Policy Advisory Forum (engl.)

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