Machtkampf der grauen Eminenzen

Wird es der 73-jährige Haschemi Rafsandschani nach seiner Wahl zum neuen Präsidenten der Expertenversammlung auf einen offenen Konflikt mit seinem Erzrivalen, Revolutionsführer Chameinei, ankommen lassen? Einzelheiten von Bahman Nirumand

Ali Akbar Haschemi Rafsandschani (l.) und Ayatollah Ali Meshkini; Foto: AP
Zwei einflussreiche Männer im Iran: Ali Akbar Haschemi Rafsandschani (l.), der neue Präsident des Expertenrats, neben seinem Vorgänger und dem religösen Führer Ayatollah Ali Meshkini

​​Die Expertenversammlung müsse wieder aktiviert werden und sich den ihr zugeschriebenen Aufgaben voll widmen, sagte der frisch gewählte Vorsitzende der Expertenversammlung Ali Akbar Haschemi Rafsandschani.

Die Bedeutung dieser Ankündigung geht weit über ähnliche Erklärungen hinaus, die führende Politiker bei der Übernahme eines neuen Amts abgeben. Denn die 86-köpfige Expertenversammlung, in der auserlesene, einflussreiche Geistliche versammelt sind, hat die Aufgabe, den Revolutionsführer zu wählen und nötigenfalls abzusetzen und dessen Aktivitäten und Entscheidungen zu kontrollieren.

Politisches Gegengewicht zu Chamenei

Von dieser Kompetenz hat die Expertenversammlung seit der Wahl des Revolutionsführers Ali Chamenei vor 18 Jahren keinen Gebrauch gemacht.

Dass Chamenei damals die Nachfolge Ayatollah Chomeinis antreten durfte, hat er nicht zuletzt Rafsandschani zu verdanken. Rafsandschani machte seinen Einfluss geltend und erreichte, dass die schiitische Geistlichkeit, wenn auch mit Widerwillen, Chamenei als religiösen Führer akzeptierte. Rafsandschani selbst übernahm einen Monat nach der Wahl Chameneis das Amt des Staatspräsidenten.

Die Ankündigung Rafsandschanis, die Expertenversammlung zu aktivieren, bedeutet zwar nicht, dass er – trotz inzwischen kaum überbrückbarer Differenzen zu Chamenei – so weit gehen würde, die Absetzung des Revolutionsführers zu betreiben. Aber er wird vermutlich dafür sorgen, dass die Amtsgeschäfte Chameneis unter die Lupe genommen werden.

Und diese umfassen ein weites Feld. Denn wichtige Organe des islamischen Gottesstaates werden nicht vom Parlament kontrolliert, sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer. Dazu zählen, um nur die wichtigsten zu nennen, die Streitkräfte, die Revolutionswächter, die Geheimdienste, die Justiz.

Damoklesschwert für den Revolutionsführer?

Die Einmischung des Expertenrats in diese Angelegenheiten würde zum starken Abbau der absoluten Macht des Revolutionsführers führen. Rafsandschani forderte sogar die Presse auf, künftig mehr über die Aktivitäten des Expertenrats zu berichten.

Auch diese Forderung war eindeutig eine Provokation. Denn gerade am Vortag hatte Chamenei jene Kommentatoren, die die Wahl des Vorsitzenden der Expertenversammlung mit den Fraktions- und Machtkämpfen im islamischen Gottesstaat in Zusammenhang gebracht hatten, beschimpft und als "missgünstige und ungezogene Journalisten" bezeichnet, die im Einklang mit ausländischen Geheimdiensten Zwietracht stiften wollten.

Der Expertenrat könnte mit der Wahl Rafsandschanis wie ein Damoklesschwert eine stetige Bedrohung für den Revolutionsführer darstellen und ihn zu Kompromissen zwingen.

Dass der Machtkampf im Iran so heftig tobt, wie seit Bestehen der Islamischen Republik nicht, kann vielleicht nur der Revolutionsführer leugnen.

Konservative Geistlichkeit in Zwist

Dieser Machtkampf, der spätestens seit der Amtsübernahme des Staatspräsidenten Ahmadinedschad ganz offen und zunehmend heftiger ausgetragen wird, hat auch – wie die Kommentatoren zu Recht berichteten – sogar die Expertenversammlung, die bislang als Schaufenster für die Einheit der schiitischen Geistlichkeit präsentiert wurde, heimgesucht.

Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass der Ultrakonservative Ahmad Dschannati gegen den konservativen Pragmatiker Rafsandschani antritt. Die Radikal-Islamisten um Ahmadinedschad, die mit ihren Kandidaten Dschannati auch die Expertenversammlung erobern wollten, hatten im Vorfeld der Wahl keinen Versuch unterlassen, Rafsandschani zu diskreditieren.

Sogar der siebte Band seiner Memoiren, in dem er schreibt, Chomeini habe dem Vorschlag zugestimmt, die Parole "Tod den USA" zu unterlassen, wurde wenige Tage nach der Veröffentlichung von der Zensur verboten und eingezogen.

Dabei hatten die Radikalen mit ihrem Kandidaten Dschannati den höchst möglichen Trumpf aufgespielt. Denn Dschannati ist kein geringerer als der langjährige Vorsitzende des Wächterrats – eines Rates, ohne dessen Zustimmung kein Gesetz in Kraft treten und kein Kandidat zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zugelassen werden kann.

Dschannatis Niederlage ist ein herber Verlust für die Radikal-Islamisten, die bereits bei den letzten Kommunalwahlen eine schwere Niederlage hinnehmen mussten.

Hoffnungsträger für die Reformkräfte

Die Wahl Rafsandschanis hat sowohl bei den gemäßigten Konservativen, als auch bei den Reformern neue Hoffnungen geweckt. Sie hoffen, bei den kommenden Parlamentswahlen im März nächsten Jahres die absolute Mehrheit der Radikal-Islamisten brechen und die Mehrheit im Madschlis, dem iranischen Parlament, erobern zu können. Denn seit geraumer Zeit zeichnet sich ein Bündnis zwischen beiden Lagern ab.

Der Reformer Mohammad Chatami, der konservative Pragmatiker Rafsandschani und der ehemalige konservative Parlamentspräsident Mehdi Karrubi, der allerdings immer wieder politisch aus der Reihe tanzt, scheinen entsprechende Vereinbarungen getroffen zu haben.

Ihr oberstes Ziel ist es, zu retten, was von der verheerenden Politik der Regierung Ahmadinedschad noch unbeschadet geblieben ist, in der Innen- wie Außenpolitik.

Kurswechsel nach Rafsandschanis Comeback?

Kann aber der 73-jährige Rafsandschani noch einmal die Zügel in die Hand nehmen, die Radikalen bremsen und einen gemäßigten Kurs erzwingen? Er hat zwar mit 41 Stimmen die Wahl zum Vorsitzenden der Expertenversammlung gewonnen, aber auch Dschannati erhielt 33 Stimmen.

Ali Akbar Haschemi Rafsandschani; Foto: AP
Im Volksmund wird Rafsandschani die graue Eminenz genannt. Wenn es darauf ankommt, scheut er vor keinem Verbrechen zurück.

​​Bei diesem Kräfteverhältnis wird er sich kaum größere Eskapaden leisten können. Dennoch bedeutet die Wahl eine starke Aufwertung seiner Position.

Rafsandschani zählt nach wie vor zu den mächtigsten Männern im Staat. Neben dem Vorsitz des Expertenrats leitet er den "Rat zur Feststellung der Staatsräson" – einen Rat, der bei Konflikten zwischen Parlament und Wächterrat das letzte Wort hat.

Er gehörte zu den engsten Vertrauten von Ayatollah Chomeini. Nach der Machtübernahme der Islamisten 1979 wurde er Mitglied des Revolutionsrats, wenige Monate später Innenminister, danach Parlamentspräsident und während des Krieges gegen den Irak (1980-1988) Beauftragter des Revolutionsführers für die Führung der Streitkräfte.

1989 wurde er zum Staatspräsidenten gewählt und 1993 für weitere vier Jahre in seinem Amt bestätigt. Der "Gottesmann", der einst für ein Handgeld den Gläubigen himmlische Botschaften verkündete, besitzt inzwischen ein Vermögen, das auf mehr als eine Milliarde Dollar geschätzt wird.

Ein gewiefter Pragmatiker

Sein politischer Standort ist schwer auszumachen. Der gewiefte Taktiker ist wie ein Fisch, der einem unter der Hand wegschlüpft, ein Pragmatiker, wenn es um den Erhalt seiner eigenen Macht und seiner Interessen geht, ein fundamentalistischer Ideologe, wenn er seine Feinde bekämpft und ein Reformer, wenn er seine Basis schwinden sieht.

Im Volksmund wird er die graue Eminenz genannt. Wenn es darauf ankommt, scheut er vor keinem Verbrechen zurück. Zahlreiche Mordattentate seien, so die vorherrschende Meinung im Volk, in seinem Auftrag ausgeführt worden.

Ein Berliner Gericht sah es als erwiesen an, dass er bei dem Attentat von 1992 im Berliner Lokal Mykonos, bei dem vier iranische Dissidenten ermordet wurden, zu den Auftraggebern gehörte. Auch bei der Planung der so genannten Kettenmorde von 1999 soll er mitgewirkt haben. Kein Wunder, dass er zu den am meisten verhassten Politikern im Land gehört.

Das kleinere Übel?

Dennoch richten sich zurzeit viele Blicke auf ihn, die meinen, im Vergleich zu Ahmadinedschad sei er das kleinere Übel. Fest steht jedenfalls, dass der Machtkampf im Iran um Ahmadinedschad und die Radikal-Islamisten immer weitere Kreise zieht.

Lange werden sie sich daher wohl nicht mehr an der Macht halten können. Es sei denn, sie wagen entweder einen Militärputsch oder es gelingt ihnen, durch Provokation und Erzeugung neuer Krisen die USA, Israel und die EU so weit herauszufordern, dass diese die Sanktionen gegen den Iran verschärfen oder sich gar zu einem militärischen Abenteuer hinreißen lassen.

Dann würden unter dem Vorwand der Verteidigung des Islam und des Vaterlands die Differenzen unter den Teppich gekehrt und jede Opposition als Vaterlandsverrat zum Schweigen gebracht werden.

Bahman Nirumand

© Qantara.de 2007

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