Krieg nach israelisch-palästinensischem Muster

In seinem neuen Roman beschreibt der Auslandskorrespondent der britischen Tageszeitung "The Guardian", Jonathan Steele, den Teufelskreis des Irak-Krieges, der nur durch einen raschen und vollständigen Abzug der ausländischen Truppen durchbrochen werden könnte. Von Susan Javad

In seinem neuen Roman beschreibt der Auslandskorrespondent der britischen Tageszeitung "The Guardian", Jonathan Steele, den Teufelskreis des Irak-Krieges, der nur durch einen raschen und vollständigen Abzug der ausländischen Truppen durchbrochen werden könnte. Susan Javad hat das Buch gelesen

​​Nachdem die USA ihre Truppen im Irak im Herbst letzten Jahres verstärkt hatten, gingen die Zahl der Anschläge und der Toten im Land zurück. Mancher Beobachter sah den Irak bereits auf dem Weg in eine friedliche und prosperierende Zukunft und den amerikanisch-britischen Einmarsch damit als nachträglich gerechtfertigt an.

Dass dies jedoch nur Wunschdenken bleiben musste, zeigen nicht nur die jüngsten Anschläge in Bagdad, in denen wieder hunderte irakische Zivilisten ihr Leben verloren haben, sondern auch das neue Buch des britischen Journalisten Jonathan Steele, der auf knapp 290 Seiten darlegt, warum kaum Hoffnung auf eine Besserung der Lage besteht.

Analogie zu Nachkriegsdeutschland?

Zu tief sitzt, so zeigt uns Steele, die Demütigung, die die Iraker durch die Koalitionstruppen erfahren haben. Anders als die amerikanische und britische Regierung identifiziert er den Widerstand im Irak als vornehmlich authentisch irakisch und nicht als feindlichen Fremdkörper im Land.

Das neokonservative Projekt der Schaffung der ersten liberalen Demokratie im Mittleren Osten ist damit, so die These des Buchs, klar gescheitert. Es war ein Fehler anzunehmen, dass im Irak die deutsche und japanische Erfolgsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg reproduziert werden könne.

Dabei haben sowohl die Bush-Regierung als auch die Regierung Tony Blairs, schreibt Steele, bei der Kriegsentscheidung und den Vorbereitungen die Komplexität des Irak völlig verkannt. Außerdem waren sich vor allem die USA des Ausmaßes ihrer Unbeliebtheit in der gesamten Region überhaupt nicht bewusst.

Die Ernennung des unsensiblen Paul Bremer zum US-Zivilverwalter im Irak, machte es dann noch schlimmer, da Bremer Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen durch politische Ungeschicktheit eher anheizte als sie einzudämmen.

"All done – go home!"

Achtmal ist Steele im Auftrag des liberalen "Guardian" in den Irak gereist, hat sich im Land umgesehen und mit Irakern verschiedenster sozialer, religiöser und ethnischer Gruppen gesprochen. In neun Kapiteln gibt er seinen Lesern so Einblick in die Psyche eines schwer geschundenen Volks.

US-Soldaten auf Patrouille in Ramadi, Irak; Foto: AP
Auf verlorenem Posten - US-Soldaten patrouillieren in der irakischen Stadt Ramadi.

​​Er zeigt uns eine Gesellschaft, die sich trotz aller interner Uneinigkeit und Heterogenität, deren Existenz auch er nicht leugnet, in ihrer Ablehnung einer amerikanisch-britischen Besatzung doch einig ist.

Zwar überwiegt die Erleichterung über den Sturz Saddam Husseins, die Steele sowohl bei Sunniten als auch Schiiten in fast gleichem Maße diagnostiziert. Doch wird in diesen Originaltönen "von der Straße" auch der große Argwohn den Koalitionstruppen gegenüber deutlich, deren Bleiben im Land Widerstand bei religiösen wie auch säkularen Irakern hervorruft.

Zusammenfassen lässt sich die Stimmung wohl am besten in den ungelenken, aber nichtsdestotrotz eindeutigen Worten eines anonymen Graffiti-Sprayers in Bagdad. "All done, go home!" – "alles geschafft, haut ab!".

Hegemoniale Arroganz

Den Schwerpunkt des Buchs legt Steele auf die Zeit kurz vor und kurz nach dem amerikanisch-britischen Einmarsch in den Irak. Er vermeidet es, direkt auf die Frage einzugehen, ob der Irak-Krieg zuallererst aus strategischen, wirtschaftlichen oder ideellen Gründen geführt worden ist.

Es lässt sich jedoch aus dem Netz an Informationen, das sich von Kapitel zu Kapitel enger spannt, ersehen, dass seiner Meinung nach vor allem naiver Idealismus und hegemoniale Arroganz den Ausschlag für den Krieg gegeben haben.

Bezeichnend ist dabei die Szene, in der Tony Blair eine Gruppe von britischen Irak-Experten empfängt. Auf deren Warnung, dass die Iraker die ausländischen Truppen sicher nicht willkommen heißen werden, erwidert er mit Bezug auf Saddam Hussein lediglich: "Aber der Mann ist doch auf einzigartige Weise böse, oder nicht?" Damit ist die Diskussion für ihn beendet.

Anhand von Beobachtungen, Interviews und Rechercheergebnissen rollt Jonathan Steele so den Irak-Krieg noch einmal auf. Dabei ist es ihm wichtiger Verbindungslinien zwischen Ereignissen herauszuarbeiten als streng chronologischen vorzugehen. Er sieht sich dabei, so wird im Verlauf des Buchs deutlich, nicht als neutraler Beobachter, sondern will mit seinem Buch ganz klar Position beziehen.

"Ich habe zu viele irakische Freunde gewonnen und zu viel von den Schmerzen, die sie immer noch ertragen müssen mitbekommen, als dass ich ihre Wut und Verzweiflung nicht teilen würde", schreibt Steele im Schlusskapitel seines Buchs und gibt offen zu, dass ihn dies dazu bewogen hat, seine Einblicke in den Irak-Krieg zu Papier zu bringen.

Irak-Krieg als Teufelskreis

Folgt man seiner Analyse, so sieht es für die Zukunft des Irak düster aus. Laut Steele hat sich ein Teufelskreis entwickelt, der nur durch den raschen und vollständigen Abzug der ausländischen Truppen durchbrochen werden könnte. Der Illusion, dass dann das Töten plötzlich ein Ende hätte, gibt sich Steele jedoch auch nicht hin.

Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera, daran lässt er keinen Zweifel. Bleiben die Koalitionstruppen jedoch im Land, so müssen sich die USA und Großbritannien, davon ist Steele überzeugt, auf einen Krieg nach israelisch-palästinensischem Muster einstellen – ein Krieg also, der bekanntlich auch nach Jahrzehnten nicht gewonnen ist.

Susan Javad

© Qantara.de 2008

Jonathan Steele: "Defeat: Why America and Britain lost Iraq", Counterpoint 2008, 290 Seiten

Qantara.de

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