Ein wichtiger Präzedenzfall

Das israelische Parlament hat den umstrittenen Abzugsplan von Ministerpräsident Scharon gebilligt. Es war keine historische Entscheidung, wie manche behaupten, aber ein wichtiger Präzedenzfall. Ein Kommentar von Peter Philipp

Ariel Scharon, Foto: AP
Ariel Scharon

​​Es ist Zufall, aber dennoch von symbolischer Bedeutung, dass die so umstrittene Abstimmung der Knesset am Vorabend des neunten Jahrestages der Ermordung Yitzhak Rabins stattfand: Der ehemalige israelische Ministerpräsident wurde erschossen von einem Siedler, der den Gedanken nicht ertragen konnte, dass Israel im Rahmen des Oslo-Abkommens auf Siedlungen in den besetzten Gebieten verzichten sollte.

Der heutige Regierungschef, Ariel Scharon, stand nun vor der Knesset, um genau dies einzufordern: Die Räumung des Gazastreifens und die Auflösung von 22 Siedlungen dort und vier weiteren in der Westbank. Neben Scharon stand ein Leibwächter, denn nicht nur einmal war angedeutet worden, es könnte sich wiederholen, was Rabin 1995 geschehen war.

Bei aller äußerlichen Ähnlichkeit: Der Vergleich Scharons mit Rabin ist nicht korrekt und er ist nicht angebracht. Unter Rabin war damals der große Durchbruch gelungen, dass Israel die PLO anerkannte, mit ihr verhandelte und den Weg zeichnete zu einer besseren Zukunft, in der es zwei Staaten im historischen Palästina geben würde.

Scharon hingegen gehörte mit zu denen, die von Anfang an dagegen polemisierten und mit dazu beitrugen, dass sich die wachsende Spannung schließlich im ersten Mord an einem israelischen Regierungschefs entlud.

Nachdem Scharon in der Knesset eine Mehrheit für seinen Rückzugsplan aus Gaza errungen hat, sind viele schnell dabei, dies als "historisch" zu feiern und dem einstigen "Groß-Israel"-Protagonisten Scharon zu bescheinigen, er werde hiermit in die Geschichte eingehen. Wieso denn "einstigen"?

Scharon hat es in seiner Rede vor der Knesset doch mehr als klar und deutlich ausgesprochen: Er denkt nicht daran, "die" besetzten Gebiete zu verlassen und "die" Siedlungen aufzulösen. Er will den Gazastreifen räumen, weil dieser ihm und seinem Land ein Klotz am Bein ist. Und stattdessen will er sich darauf konzentrieren, in der Westbank zu bleiben - "Judäa und Samaria", wie die Israelis dieses Kernland ihres biblischen "Landes Israel" bezeichnen.

Trotzdem: Vor einigen Jahren hätte Scharon auch nicht im Traum daran gedacht, Gaza aufzugeben. Und mit dem Beschluss der Knesset ist ein wichtiger Präzedenzfall geschaffen worden: Nach 37 Jahren der erste Beschluss, wenigstens einen Teil des 1967 besetzten palästinensischen Gebietes zu verlassen.

Wenn man überhaupt einen historischen Vergleich anstellen kann, dann den mit dem Verlassen der Sinai-Halbinsel in der Folge des Camp-David-Friedens mit Ägypten: Auch damals wurden Siedlungen aufgelöst, auch damals dachte der damalige "Likud"-Premier Begin, es würde ihm gelingen, mit einem Teilrückzug davonzukommen.

Schließlich musste er alles zurückgeben, sonst hätte er keinen Frieden bekommen. Und wie jetzt auch: Der nationalistische Regierungschef konnte sich hierbei auf die Unterstützung der linken Opposition verlassen.

Diesen Vergleich sollten heute vielleicht auch die Palästinenser ziehen, die sich ablehnend gegenüber dem Gazaplan verhalten: Sicher wäre ein ordentlicher Friedensvertrag und eine vertragliche Regelung von Abzug und künftigem Zusammenleben besser.

Da das aber - auch wegen der eigenen Radikalen - nicht erreichbar scheint, sollten die Palästinenser nehmen, was sie nehmen können. Also zuerst Gaza, ohne auf die Westbank zu verzichten. Die Welt wird sie dabei unterstützen. Ablehnung aber wird kaum zu vermitteln sein.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004