Generalverdacht bestätigt

Bundespräsident Köhler fordert, dass sich grundsätzlich alle Muslime in Deutschland immerzu vom islamistischen Terror distanzieren sollen - ein kurzsichtiges und pauschales Statement, wie Peter Philipp in seinem Kommentar schreibt.

Zugegeben, der Sturm der öffentlichen Empörung über die Äußerungen des Bundespräsidenten konzentrierte sich auf dessen Anmerkungen zum deutschen Befinden und er brach los, noch bevor die meisten gelesen hatten, was Horst Köhler wirklich gesagt hatte.

Dieser Sturm verdeckte aber auch eine Bemerkung des Bundespräsidenten zur Frage des Terrorismus, die nicht gerade geeignet war, zum inneren Frieden beizutragen: Er wäre froh, meinte Köhler wörtlich, "wenn die Muslime in Deutschland geschlossen ihre Stimme erheben würden. Sie haben jetzt die Chance, Missverständnisse auszuräumen, indem sie sich sichtbar vom Terror abgrenzen."

Ressentiments gegen Muslime bestärkt

Der Bundespräsident räumte zwar ein, dass es "durchaus solche Stimmen gegeben" habe und dass man sich vor einem Generalverdacht gegen Muslime hüten solle, im Grunde aber verstärkte er mit seiner Bemerkung die dumpfen Anti-Gefühle, die sich angesichts weltweiter Gewalttaten radikal-islamistischer Gruppen in der deutschen Bevölkerung breit machen.

Den "Generalverdacht", vor dem der Präsident warnt, gibt es längst, wenn 83 Prozent in einer jüngsten Umfrage erklären, sie assoziierten den Islam mit Terrorismus.

Und es kann deswegen nur schaden, wenn man die Muslime in Deutschland pauschal in die Verantwortung nimmt. Abgesehen davon, dass sie gar nicht alle zentral organisiert sind und auch zu anderen Themen nicht mit einer Stimme sprechen.

Jede Pauschalisierung ist falsch und schlecht, in diesem Fall ist sie noch gefährlich dazu. Denn unbescholtene Mitbürger werden Verdächtigungen ausgesetzt, nur weil sie Muslime sind. Obwohl doch niemand ernsthaft bestreiten kann, dass die überwältigende Mehrheit von ihnen redliche Leute sind.

Kontakte auf ein Minimum reduziert

Dass man ihnen im Volk dennoch mit wachsendem Misstrauen begegnet - wie die erwähnte Umfrage belegt - dürfte zu einem guten Teil darauf zurückzuführen sein, dass man die inzwischen über drei Millionen Muslime in Deutschland zwar wahrnimmt - immerhin kaufen die Deutschen bei ihnen ihre Tomaten, lassen sich bei ihnen die Hosen auf Wohlstandsmaß vergrößern, reklamieren ihren Döner längst als deutsche Nationalspeise und bevölkern im Sommer die Strände ihrer Heimatländer.

Aber es gibt kaum gesellschaftliche Kontakte und das Wissen über die Religion des anderen ist minimal. Zwar gibt es - besonders seit dem 11. September - immer mehr Bemühungen um gegenseitiges Verstehen und um Dialog, aber bei allen guten Ansätzen und Vorsätzen: Diese Aktionen spielen sich meist im selben Rahmen ab - unter Gleichgesinnten, die man gar nicht mehr zu überzeugen braucht. Und die natürlich nur eine Minderheit in der Gesellschaft sind.

Es sind die anderen, die man gewinnen muss. In Konkurrenz mit den täglichen Horrormeldungen des Fernsehens über immer neue Schreckenstaten von Terroristen, die sich auf den Islam berufen, ist dies eine schwere Aufgabe. Und gerade Prominente sollten ihre Worte dreimal wägen. Nur zu leicht nämlich erreichen sie damit genau das Gegenteil dessen, was sie erreichen wollen.

Zerrbild muslimischer Organisationen

In Frankreich hatte es kürzlich die - von manchen Deutschen eingeforderte - Solidarisierung der Muslime mit Staat und Gesellschaft gegeben, als man gegen die Entführung zweier Journalisten im Irak und die Verknüpfung dieses Falls mit dem Kopftuchstreit protestierte. Zum Glück hat man - bisher - solche Probleme nicht in Deutschland.

Aber dass muslimische Organisationen in Deutschland zu Solidarität gegen den Terrorismus nicht imstande wären, ist eine ebenso leichtfertige wie falsche Unterstellung: So haben sich jetzt zwei der wichtigsten Gruppen von einem geplanten Islamisten-Kongress in Berlin distanziert: Man habe weder etwas damit zu tun, noch könne man die dort genannten Ziele unterstützen.

Peter Philipp

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