Reportagen aus dem Irak

Zwei Monate nach dem – offiziellen – Ende des Krieges besuchte die tunesische Journalistin und Menschenrechtlerin Sihem Bensedrine den besetzten Irak. "Besiegte Befreite" lautet der Titel ihrer Reportagen, die jetzt auf Deutsch erschienen sind. Wera Reusch stellt das Buch vor.

​​"Die Verachtung, mit der sie uns behandeln, ist demütigend. Sie sagen, sie seien gekommen, um uns 'Demokratie zu lehren'! Muss man einem Neugeborenen beibringen, wie es atmet? Die Freiheit ist jedem Menschen angeboren. Wir brauchen keine Herren, die uns sagen, wie wir zu atmen haben, wir wollen in Ruhe gelassen werden."

So beschreibt Madjed, ein junger Maler, die Stimmung im besetzten Irak. Und er ist nicht der einzige. In ihren Reportagen aus Bagdad porträtiert die tunesische Journalistin Sihem Bensedrine ganz unterschiedliche Menschen – alle sind jedoch enttäuscht und verbittert, fühlen sich gedemütigt und von der Welt verlassen.

"Besiegte Befreite"

Da gibt es den promovierten Umweltexperten, der früher für die UNO tätig war und jetzt arbeitslos in einem Lokal sitzt, weil die Amerikaner sich nicht für Umweltprobleme interessieren und irakischen Intellektuellen sowieso misstrauen.

Da gibt es Studentinnen, die das Haus nicht mehr verlassen, da sie fürchten, von Kriminellen entführt zu werden, und irakische Journalisten, die sich beklagen, dass bei Pressekonferenzen der Alliierten nur "freundlich gesonnene" Medien zugelassen sind.

Oder einen Bauern, der auf eigene Faust ein Massengrab schützt, in der Hoffnung, die USA oder die UNO würden sich vielleicht eines Tages dafür interessieren und die Opfer Saddams exhumieren.

Eindrücklich schildert Bensedrine ihre Begegnungen mit den "besiegten Befreiten" und deren Erfahrungen mit der Besatzungsmacht. Aufmerksam registriert sie aber auch die sozialen und psychologischen Spätfolgen der Diktatur Saddam Husseins und wagt Prognosen: Sie befürchtet die politische Zersplitterung des Landes und prophezeit einen wachsenden Einfluss der Kleriker, der nicht zuletzt für die Frauen fatale Auswirkungen haben werde.

Arabische Perspektive

Sihem Bensedrine ist eine Galionsfigur des tunesischen Widerstands gegen das Regime Ben Alis. Die Journalistin war in der Frauenbewegung aktiv, gründete Menschenrechtsorganisationen und ein politisches Nachrichtenmagazin im Internet, das von den tunesischen Behörden gesperrt wurde (www.kalimatunisie.com ).

Aufgrund ihres vielfachen politischen Engagements wurde sie verfolgt und bedroht, mehrfach inhaftiert und gefoltert. Zurzeit hält sich die 53-Jährige auf Einladung der "Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte" in Deutschland auf.

Als arabische Journalistin und Menschenrechtlerin genießt Bensedrine mehr Vertrauen als westliche Medienvertreter, sie erfährt mehr und kann ein genaueres Bild der Situation zeichnen.

Gleichzeitig muss sie sich aber auch Vorwürfe gefallen lassen: "Wo wart ihr, unsere arabischen Brüder, als wir vom Stiefel der Diktatur zertreten wurden?" schleudert ihr eine irakische Professorin entgegen. Dass die Autorin diese Widersprüche nicht ausspart, spricht für sie und verleiht ihren Reportagen hohe Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft.

Wera Reusch

© Qantara.de 2004

Sihem Bensedrine: Besiegte Befreite. Eine arabische Journalistin erlebt den besetzten Irak. Aus dem Französischen von Ursula Schäfer. Antje Kunstmann Verlag, München 2004, 128 Seiten, 12,90 Euro.

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Website von Sihem Bensedrine kalimatunisie
Hamburger Sitftung
Sihem Bensedrine beim Kunstmann-Verlag