Sie lieben ihre Diktatoren mehr als sich selbst!

Was bedeutet es für die arabischen Länder, wenn politische Parteien, demokratische wie islamistische, um den "Märtyrer und Helden" Saddam Hussein trauern, fragt die tunesische Professorin Raja Ben Slama in ihrem Kommentar.

Palästinenser trauern um Saddam Hussein; Foto: AP
Trauerveranstaltung in der Westbank anlässlich der Hinrichtung des irakischen Exdiktators Saddam Hussein

​​Wenn sich Religion mit Politik und Gesetzen vermischt, dann hat sie die Macht, Illusionen zu nähren und alles Erdenkliche zu verunstalten. Der Konfessionalismus ist ein Beispiel für diese Vermischung.

Alle Parteien haben sich an dieser Vermischung beteiligt: Das Gerichtsverfahren gegen Saddam Hussein wird von seinen Feinden als schiitischer Rachezug verstanden; die Hinrichtung des Verbrechers gegen die Menschlichkeit wird von seinen Anhängern als Martyrium auf dem Weg Gottes gesehen oder als Opfer zum islamischen Opferfest. Alles bekommt eine religiöse und emotionale Bedeutung. Andere Interpretationen gehen dabei unter.

Warum wurde der Tag des Opferfestes gewählt, sodass sich das Strafrecht mit dem religiösen Opfergedanken mischen konnte? Wo blieb der Staat und seine Neutralität? Wo blieb der Staat, der verantwortlich gewesen wäre, die Hinrichtung zu vollstrecken, sodass es eindeutig gewesen wäre, dass die Hinrichtung eine Strafe für ein Verbrechen darstellt und nichts anderes?

Man kann es vielen irakischen Bürgern nicht verdenken, dass sie ihre Genugtuung offen zum Ausdruck brachten und feierten. Das ist ihr Recht, da sie unter dem Diktator gelitten haben. Aber dem Staat steht so etwas nicht zu.

Proteste gegen die Hinrichtung von Saddam Hussein in Al-Dor, 115 km nördlich von Bagdad; Foto: AP
Proteste gegen die Hinrichtung von Saddam Hussein in Al-Dor, 115 km nördlich von Bagdad

​​Die Art und Weise, wie die Hinrichtung ablief, und die mediale Ausschlachtung der Szenen haben die Lektion, die die Vollstreckung des Urteils vermitteln sollte, ins Zweideutige verkehrt. Obwohl es Vorbehalte gegen das Todesurteil an sich gibt, sollte die Exekution den Menschen vor Augen führen, dass das Gesetz nun die höchste Autorität besitzt, dass ein Mörder zur Rechenschaft gezogen wird, dass der Diktator zur Verantwortung gezogen wird und dass das Gesetz des Dschungels nicht mehr gilt.

Aber die Lektion bleibt nun nebulös und zweideutig. Inwieweit?

Angenommen, das Gerichtsverfahren gegen Saddam Hussein wäre fair gewesen, die Akten, die die Verstrickung westlicher Staaten in die Verbrechen Saddam Husseins behandeln, wären nicht geschlossen und das Urteil gegen Hussein vorschriftsmäßig vollstreckt worden – wären die arabischen Eliten und Völker dann bereit, aus dieser Lektion zu lernen?

Seit der Vollstreckung des Todesurteils gegen Saddam Hussein habe ich zahllose politische Kommuniqués und Gedichte erhalten, in denen er betrauert und beweint wird. Offenbar lieben die Araber ihre Diktatoren mehr als sich selbst. (In diesem Zusammenhang fällt mir Sigmund Freuds Kommentar über seine psychisch kranken Patienten ein, der gesagt hat, dass sie ihre Wahnvorstellungen mehr lieben als sich selbst).

Wenn politische Parteien, die sich als demokratisch bezeichnen, darunter auch islamistische, um den "Märtyrer und Helden" Saddam Hussein trauern, der für das Gesetz des Dschungels und das Fehlen jeglicher Demokratie stand, müssen wir uns fragen, welches politische Denken diese Eliten aufweisen und welche politische Zukunft uns noch erwartet.

Raja Ben Slama

© Raja Ben Slama

Übersetzung aus dem Arabischen von Mona Naggar

Die Autorin ist Professorin für arabische Literatur und lebt in Tunis und Kairo

Qantara.de

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