Gegen die Festungsmentalität

Wie sollte die EU auf das Flüchtlingsdrama auf dem afrikanischen Kontinent reagieren? Vielleicht müsste man den Afrikanern eine geregelte Einwanderung nach Europa ermöglichen, meint Peter Philipp in seinem Kommentar.

Was sich derzeit mit afrikanischen Flüchtlingen zwischen Spanien und Marokko abspielt, ist gewiss kein Ruhmesblatt für Europa.

Europäische Regierungen schweigen, bestenfalls einige Menschenrechts-Organisationen kritisieren, wie mit den Afrikanern umgesprungen wird, im großen und ganzen scheint aber ein stillschweigender Konsens zu bestehen - und der lautet: Wo kämen wir denn hin, wenn jeder so einfach über den Zaun nach Europa klettern könnte?

Dabei hatten die Europäer im Zuge ihres Zusammenschlusses immer wieder versichert, eine "Festung Europa" werde nicht entstehen. Inzwischen hat sich längst Festungsmentalität breit gemacht. Mit allem, was dazu gehört.

Auch dem Quantum von Gleichgültigkeit gegenüber dem, was außerhalb dieser Festung geschieht. Vom zaghaften Protest Spaniens in Rabat einmal abgesehen - es sei nun nicht gerade menschenwürdig, Flüchtlinge einfach in die Sahara zu karren und dort auszusetzen - macht sich niemand stark für diese elenden Kreaturen, die so verzweifelt versuchen, nach Europa zu gelangen, um dort am vermeintlichen Wohlstand teilzuhaben und damit die Daheimgebliebenen zu unterstützen.

"Wirtschaftsflüchtlinge" nennt man solche Menschen abschätzig. Als wäre es ein großer Unterschied, einer unterdrückerischen Diktatur zu entkommen oder der blanken Armut. Ganz abgesehen davon, dass diese Flüchtlinge meist beidem entfliehen.

Dem Wort "Wirtschaftsflüchtling" haftet aber auch die Kritik an, diese Leute wollten sich doch nur irgendwie auf unsere Kosten bereichern. Ein Gefühl, dass die Abwehr solcher Flüchtlinge innerlich zu rechtfertigen scheint.

Wie weit sind die Westeuropäer gekommen seit jenen Tagen, in denen sie noch jeden bejubelten, der den "Eisernen Vorhang" überwand, um in den "Goldenen Westen" zu kommen.

Nun ist der Westen, ist die Europäische Union keineswegs so golden, wie man sich dies in manchen afrikanischen Ländern vorstellt. Aber es ist doch auch alles relativ: Selbst Armut in Europa kommt manchem Afrikaner noch als Reichtum vor. Es bleibt deswegen die Frage, ob Europa das Problem nun so einfach ignorieren darf.

Und ist es tatsächlich angebracht, die nordafrikanischen Durchgangsländer als "Hilfssheriffs" zu benutzen - Libyen als Ausgangspunkt abenteuerlicher Mittelmeer-Überquerungen oder Marokko als Anlaufpiste zum Sprung über den spanischen Grenzzaun?

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kontakt@qantara.de Noch-Bundesinnenminister Otto Schily hatte von Auffanglagern in diesen Ländern geträumt. Und dabei verdrängt, dass diese für die verhinderten Flüchtlinge bestenfalls eine Art Gefangenenlager sein würden. Und jetzt lässt man unwidersprochen zu, dass Marokko - auch nicht gerade eine freiheitliche Demokratie - die Flüchtlinge in vielfältiger Weise misshandelt.

Ganz Kluge in Europa meinen, das Problem müsse "an der Wurzel" behandelt werden. Also in Afrika selbst. Ein langwieriger Prozess mit ungewissem Ausgang.

Haben die Europäer vergessen, dass sie selbst vor Hunger und Not in die Vereinigten Staaten fliehen konnten? Ähnlich müsste man nun vielleicht auch den Afrikanern eine geregelte Einwanderung nach Europa ermöglichen.

Keine Bange: Sie werden uns keine Jobs wegnehmen. Dazu gibt es unter ihnen zu wenige Fachkräfte. Aber eines Tages werden aus ihnen vielleicht auch Steuer- und Rentenzahler.

© Peter Philipp

DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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