Frauenbewegung und Zivilgesellschaft

In den arabischen Ländern gehören Frauenorganisationen mit zu den aktivsten zivilgesellschaftlichen Gruppierungen. Ihre politischen Ziele, Strategien und Aktionsformen waren das Thema der Konferenz 'Frauenbewegung und Zivilgesellschaft in der arabischen Welt', die am 25. und 26. April 2003 im Rahmen des Programms DisORIENTation im Haus der Kulturen der Welt in Berlin stattfand.

In ihrem breit angelegten Eröffnungsvortrag machte Prinzessin Basma Bint Talal von Jordanien, die als Vorsitzende der Nationalen Kommission für Frauen versucht, in Jordanien Brücken zwischen staatlichen Organen und Nichtregierungsorganisationen zu schlagen, bereits deutlich, dass es d i e Frauenbewegung in der arabischen Welt nicht gibt, es sich vielmehr um ein sehr heterogenes Geflecht von Organisationen handelt. Während der beiden Konferenztage diskutierten dann Frauenaktivistinnen aus staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen, Wissenschaftlerinnen und Schriftstellerinnen – also Frauen mit ganz unterschiedlichem Erfahrungshintergründen - in fünf Diskussionspanels über die Dynamik der verschiedenen Frauenbewegungen in der arabischen Welt, über säkulare und islamische Ausprägungen des Feminismus, die Präsenz von Frauen in den arabischen Medien, sowie die Bedeutung einer neuen Geschlechterordnung in der arabischen Welt.

Die Bedeutung von Begriffen

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Nadje Al-Ali

​​Einen breiten Raum nahm die Diskussion über die verschiedenen Begrifflichkeiten ein. Gefragt wurde, ob unter dem Begriff Feminismus ein aus dem Westen importiertes Konzept verstanden wird, das keine kulturelle Verankerung hat, oder ob der Begriff von arabischen Frauenorganisationen bewusst gewählt wird, weil damit konkrete politische Forderungen verbunden werden. Diskutiert wurde auch, ob sich säkulare Feministinnen und islamische Feministinnen nur dadurch unterscheiden, dass sie ihre Forderungen aus unterschiedlichen Referenzrahmen – auf der einen Seite die internationalen UN-Konventionen, auf der anderen Seite die religiösen Schriften – ableiten, oder ob es unüberbrückbare Unvereinbarkeiten in den politischen Zielen gibt. Die Wissenschaftlerin Nadje Al-Ali, die zur Zeit die Marie Jahoda Gastprofessur für internationale Frauenforschung an der Ruhr-Universität Bochum innehat, betonte in ihrem Vortrag über die ägyptische Frauenbewegung, dass nicht von einer Dichotomie zwischen säkularen und islamistischen Feministinnen gesprochen werden könne, es sich dabei vielmehr um zwei Extreme auf einem Kontinuum handele, an deren Ende sich jeweils eine Minorität befindet. Die Positionierung von arabischen Frauen innerhalb eines religiösen Rahmens und die Zuordnung zu bestimmten politischen Bewegungen anhand der jeweiligen Kleidung – westliche Kleidung auf der einen, islamischer Schleier auf der anderen Seite – bezeichnete sie als orientalistische Sichtweise. Damit würden westliche Stereotypen reproduziert und wichtige politische, soziale und ökonomische Kategorien ausgeklammert. Letztlich würde die Fixierung auf die religiöse Zuordnung ablenken von den für Frauen viel entscheidenderen Themen wie Armut oder die Auswirkungen von Globalisierung und kriegerischen Konflikten. Während Nadje Al-Ali den Begriff „women´s activism“ bevorzugte, sprach Rabéa Naciri, die als Mitbegründerin der 1985 ins Leben gerufenen Demokratischen Vereinigung der Frauen Marokkos (ADFM) zu den führenden Frauenaktivistinnen Marokkos zählt, explizit von feministischen Frauenorganisationen in Marokko. Der wesentliche Unterschied in der Auslegung des Begriffes sei jedoch, so Naciri, dass der Feminismus im westlichen Verständnis häufig als politischer Kampfbegriff gebraucht werde, der gegen Männer gerichtet sei, während im marokkanischen Kontext gleichgesinnte Männer als Partner angesehen würden.

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Rabéa Naciri

​​Auch die ägyptische Wirtschaftswissenschaflterin Asma Karam und die ägyptische Literaturwissenschaftlerin Omeima Abou Bakr sprachen in ihren Vorträgen von einem Kontinuum politischer und religiöser Ausrichtungen der verschiedenen Frauenorganisationen, wobei es an jedem Ende fundamentalistische Ausprägungen gäbe. Während jedoch Omeima Abou Bakr eher die Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Forderung nach gleichen Rechten betonte, die unterschiedlich begründet würden, sprach Asma Karam von einem tiefen und zum Teil unüberwindlichen Misstrauen zwischen säkular und religiös orientierten Frauen. Einigkeit bestand unter den Konferenzteilnehmerinnen über die Notwendigkeit, besonders in der derzeitigen weltpolitischen Situation diese tiefe Kluft zwischen Frauen zu überwinden und mehr die Gemeinsamkeiten als die Differenzen zu betonen. Von großer Bedeutung sei zudem, dass Frauen gute Kenntnisse in der Auslegung der religiösen Quellen erwerben, denn so Omeima Abou Bakr, die eine der Mitbegründerinnen des Women and Memory Forums in Kairo ist, „you do not only need to have a loud voice, but an informed loud voice“, um Frauenrechte gegenüber konservativen männlichen Religionsgelehrten begründen und verteidigen zu können.

Internet und Medien

Den Medien wurde bei der Vermittlung von neuen Geschlechterrollen und der Sensibilisierung im Hinblick auf Frauenrechte eine wichtige Rolle zugesprochen. Allerdings wurde betont, dass das staatliche Fernsehen, so lange es unter staatlicher Kontrolle stehe, eher ein Kontrollinstrument denn ein Katalysator von Wandel sei. Dagegen findet eine heimliche Revolution der Geschlechter, so Musa Shteiwi, durch das Internet statt. Denn durch die Internetcafés ergeben sich neue Räume, in denen sich Frauen und Männer treffen, ohne dass ihre Familien hier eine Kontrolle ausüben können. Für Frauenaktivistinnen bietet das Internet zudem die Möglichkeit, Frauenthemen, die bislang tabuisiert sind, zu verbreiten und sich mit anderen Aktivistinnen zu vernetzen.

Strategien der Frauenbewegungen

Sumaya Farhat Naser
Sumaya Farhat Naser

​​Die bisherigen Erfolge und Strategien der verschiedenen Frauenbewegungen wurden während der Konferenz einer kritischen Prüfung unterzogen. Die palästinensische Schriftstellerin und Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser, die bis 2001 das Jerusalem Center for Women leitete, forderte eine umfassende Selbstkritik innerhalb der Frauenbewegung, denn in der Vergangenheit seien viele Fehler gemacht worden. So würden sich die Strukturen der bisherigen palästinensischen Frauenbewegung nicht sehr stark von den patriarchalen Strukturen des Staates unterscheiden, und es käme immer wieder zu Machtkämpfen zwischen Frauen, die an ihren Posten innerhalb der Organisationen festhalten wollten. Sumaya Farhat-Naser betonte die Notwendigkeit, in der zukünftigen Arbeit mit Männern strategische Koalitionen einzugehen und besonders jüngere Frauen und Männer zu erreichen. Jugendliche hätten andere Prioritäten; für sie stände das Bedürfnis, über die Gewalt zu sprechen, die sie täglich erlebten, an erster Stelle, Frauen- und Menschenrechte seien eher nachgeordnet. Auch die jordanische Rechtsanwältin und Mitbegründerin der Frauenrechtsorganisation International Sisterhood (SIGI) Asma Khader plädierte dafür, sich verstärkt auf Jugendliche zu konzentrieren, die zunehmend extremen Gruppierungen zulaufen würden. Allerdings würde die notwendige Menschenrechtserziehung nicht auf fruchtbaren Boden fallen, solange der Konflikt zwischen Israel und Palästina nicht gelöst sei, da der Menschenrechtsdiskurs der Vereinten Nationen nicht mehr ernst genommen werde.

Sumaya Farhat-Naser forderte, dass die große Kluft zwischen einer kleinen Gruppe von politisch aktiven Frauen und der großen Mehrheit der Frauen an der Basis überwunden werde müsse. In diesem Zusammenhang wies Hadeel A. Qazzaz, Programmkoordinatorin der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah und aktives Mitglied in der palästinensischen Frauenbewegung, darauf hin, dass islamischen Frauengruppierungen der Zugang zu den Frauen auf dem Land sehr viel besser gelänge als säkularen Frauenorganisationen. Hier könne man voneinander lernen.

Deutlich wurde in den Diskussionen, dass die Autonomie von Frauenorganisationen von Land zu Land sehr stark variiert. Während es in Bahrain und Ägypten gesetzliche Einschränkungen bei der Arbeit von Frauenorganisationen gibt, und die palästinensischen Frauenorganisationen im wesentlichen nur dann gehört werden, wenn sie politischen Parteien angehören, berichtete Rabéa Naciri, dass in Marokko Frauenorganisationen, die ursprünglich aus den linken politischen Parteien hervorgegangen seien, eine Autonomie erreicht und so eine neue Basis der Zusammenarbeit mit den politischen Parteien und dem Staat gefunden hätten. Sie erläuterte außerdem einen Strategiewechsel in der marokkanischen Frauenbewegung. In den letzten Jahren bilden dort verschiedene Frauenorganisationen Netzwerke, um gemeinsam für ein bestimmtes Thema einzutreten, zunehmend werden diese Netzwerke auch mit kleinen lokalen Frauenorganisationen geknüpft. Im Fall der aktuellen Initiative „Der Frühling der Gleichheit“, die sich auf die Forderung nach einer Änderung des marokkanischen Personenstandsrechtes konzentriert, wurden vier konkrete Fälle von Frauen ausgewählt, anhand derer die Verletzung von Frauenrechten durch das derzeitig geltende Personenstandsrecht deutlich wird. Diese Fälle wurden durch eine großangelegte Kommunikationsstrategie weit verbreitet, so dass breite Bevölkerungsschichten mobilisiert werden konnten und die Frage zu einem wichtigen Thema in der politischen Auseinandersetzung wurde.

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Musa Shteiwi

​​Der einzige männliche Teilnehmer, Musa Shteiwi, der als Wissenschaftler an der University of Jordan arbeitet, wo er Mitglied des Leitungskomitees des Women Studies Programs ist, äußerte die Ansicht, dass die Frauenbewegungen in der arabischen Welt auf bestimmte Themen, die für die alltägliche Lebenspraxis von Frauen eine entscheidende Rolle spielen, bisher nicht genügend Augenmerk gerichtet hätten. Als Beispiel nannte er eklatante Ungleichheiten im Bereich der Bildung und der Beschäftigung, die in dem aktuellen Arab Human Development Report als eines von drei wesentlichen Entwicklungshindernissen in der arabischen Welt bezeichnet werden.

Dialog zwischen Europa und der arabischen Welt

Die Konferenz bot für die 13 arabischen Teilnehmerinnen aus Bahrain, Ägypten, Marokko, Jordanien und den autonomen palästinensischen Gebieten die Möglichkeit, Erfahrungen über Strategien in ihren jeweiligen Ländern gegenseitig auszutauschen und sich zu vernetzen. Eines der erklärten Ziele der Konferenz war es, ein Forum für den Dialog zwischen Europa und der arabischen Welt zu bieten, um das gegenseitige Verständnis zu vergrößern. In der derzeitigen weltpolitischen Situation, die bei der Planung der Konferenz nicht abzusehen war, ist jede derartige Initiative selbstverständlich zu begrüßen. Fraglich ist allerdings, ob eine zweitägige Konferenz tatsächlich die geeignete Veranstaltungsform darstellt, einen wirklichen Dialog in Gang zu bringen, in dem – wie es Asma Khader forderte – arabische Frauen nicht als Empfänger von Hilfe und Unterstützung, sondern als gleichberechtigte Partner mit eigenen Erfahrungen in einem weltweiten Demokratisierungsprozess gesehen werden. Viele Themen, wie die Rolle der Religion und die Neuauslegung religiöser Quellen im Rahmen des ijtihad, die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, Strategien zur Erhöhung der politischen Partizipation von Frauen oder das Recht auf Arbeit konnten bei der Fülle der Vorträge nur angerissen, nicht aber umfassend diskutiert werden. Insgesamt war es eine Konferenz mit nur wenigen Kontroversen. Diese Harmonie trügt: Frauenrechte in der arabischen Welt sind noch lange kein gewonnenes Terrain, und zwischen verschiedenen Frauengruppierungen gibt es tiefe Gräben und erbitterte Kämpfe. Welche Gesellschaftsordnungen in Zukunft eine Mehrheit finden werden, bleibt ein offener Prozess. Interessant wäre es gewesen, dazu auch jüngere Frauen zu hören, die – wie Sumaya Naser-Farhat sagte – andere Prioritäten und Sichtweisen haben, als die Feministinnen der Generation, die in Berlin auf dem Podium vertreten war.

Katrin Schneider, © 2003 Qantara.de