Für die entrechteten Frauen des Sahel

Nigers führende Frauenrechtlerin Mariama Cissé erhielt den Menschenrechtspreis des Deutschen Richterbundes. Ein Portrait von Sandra von Edig

Mariama Cissé, Foto: Sandra van Edig
Mariama Cissé

​​„Schon als Jugendliche bin ich mit meinen Freundinnen nachmittags ins Gericht gegangen, um Prozesse zu verfolgen”, erzählt Mariama Cissé. „Bereits damals hatte ich nur ein Ziel: Ich wollte Juristin werden!” Nun ist sie über das Ziel hinausgeschossen: Der Deutsche Richterbund hat der Richterin aus Niger am Montag seinen Menschenrechtspreis verliehen – eine jährlich vergebene Auszeichnung, die auch dem Schutz der Preisträger im eigenen Land dienen soll.

Mariama Cissés Karriere ist keine Selbstverständlichkeit in einem Land wie Niger, in dem der Großteil der Mädchen nicht einmal eingeschult wird. Geboren wurde sie 1962 im südnigrischen Fillingue als Zweitälteste von acht Kindern. Ihr Vater, ein arabischer Kaufmann, schickte alle seine Kinder zur Schule. Später studierte sie in Niamey und Paris und kehrte 1989 als Richterin in die nigrische Hauptstadt Niamey zurück. Sie wurde Assistentin des Staatsanwaltes und später Richterin am Gerichtshof.

Hilfe für Frauen nicht nur privat

Cissés Engagement beschränkte sich nicht auf das Gericht. Auch nach Feierabend, oft spät abends, stand die dreifache Mutter Rat suchenden Frauen zur Verfügung: Es ging vor allem um Scheidung und Erbangelegenheiten. Mariama Cissé wollte diesen Frauen helfen, und zwar nicht nur privat. So gründete sie mit anderen Juristinnen die „Vereinigung zum Schutz der Rechte von Frauen und Kindern” und die „Nigrische Juristinnenvereinigung” (AFJN). Zu Hilfe kam ihr damals die politische Situation in Niger. Seit 1989 befand sich die vorherige Militärdiktatur in einem Demokratisierungsprozess. Überall im Land gründeten sich Vereinigungen zur Stärkung der Zivilgesellschaft.

Die AFJN machte es sich zum Ziel, Frauen den Zugang zu ihrem Recht zu ermöglichen. In Niger, einem extrem traditionalistisch geprägten islamischen Land in Afrikas Sahelzone, können 90 Prozent der Frauen weder lesen noch schreiben. Damit sind ihnen die geschriebenen Gesetzestexte, die zumeist auf Französisch verfasst sind, versperrt. Dies zu ändern war Cissés Anliegen. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen reiste sie in den 90er-Jahren quer durch das Land, um Frauen aufzuklären. Die Juristinnen der AFJN luden zu offenen Debatten ein, sie verhandelten mit den Dorfchefs. Manche Frauen auf dem Land ließen sich von der AFJN zu Hilfsjuristinnen ausbilden, die vor Ort Rechtshilfe leisten können.

Erfolg im Kampf gegen Beschneidung von Mädchen

Im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung gründete Cissé außerdem mit anderen Frauen das „Nigrische Komitee zu traditionellen Praktiken mit Auswirkungen auf die Gesundheit von Frauen und Mädchen” (Coniprat), das versucht, die traditionelle Mädchenbeschneidung in Niger zu stoppen. Mariama Cissé nahm aktiv an Aufklärungskampagnen teil. Außerdem schrieb sie an einer Gesetzesvorlage. Dieses Jahr wurde der Text von Nigers Parlament angenommen. Von nun an ist Beschneidung von Mädchen in Niger eine Straftat.

Als engagierte Frauenrechtlerin stößt Mariama Cissé in islamistischen Kreisen auf Missfallen und ist nicht selten Drohungen ausgesetzt. Doch sie hat sich nie einschüchtern lassen. Sie will durch ihr Engagement die junge Demokratie in Niger stärken, Vorbild sein und den Aufbau einer Zivilgesellschaft unterstützen, sagt sie. Denn nur so habe die Demokratie in Afrika eine Chance und mit ihr die Menschenrechte.

SANDRA VAN EDIG

Quelle: die tageszeitung, 17.09.2003

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Seit 1991 verleiht der Deutsche Richterbund alle zwei Jahre einen Menschenrechtspreis an einen Richter, Staatsanwalt oder Rechtsanwalt, der sich in besonderer Weise um die Verwirklichung der Menschenrechte verdient gemacht hat.