HipHop-Projekt mit gesellschaftspolitischem Anspruch

Künstler leiten in Schulen Workshops, in denen Kunst und gesellschaftspolitische Themen verknüpft werden – das ist die Idee von "ORIENTierung". Sarah Ruth Sippel hat einen der Workshops besucht.

Rappen mit Künstlern; Foto: www.orientierung2005.de
Im Workshop können die Jugendlichen die Musik, die ihnen gefällt, selbst produzieren

​​Donnerstagmorgen in einer Hauptschule in Siegburg: Aus einem Klassenraum dringen Bassrhythmen und eine rappende Jungenstimme: "Ich bin Hasim, und ich bin voll cool, wer mir dumm kommt, der frisst meinen Schuh!" Hasim ist ein schmächtiger Junge mit schwarzem Haarschopf – seine Rappergestik kommt aber schon recht professionell rüber.

Der Mann mit der markanten Brille und der karierten Hose, der an seinem Laptop Hasims Stimme aufzeichnet, ist selbst HipHoper und leitet diesen Workshop. "Klingende Brücken - Crossing Cultures" heißt er und findet im Rahmen des Projekts "ORIENTierung" statt. Ein "klingender Brückenschlag" zwischen Orient und Okzident soll dabei entstehen.

Der Musiker und Pädagoge Markus Brachtendorf ist hier der einzige aus dem "Okzident", seine sieben Rapper sind Migrantenkinder türkischer oder kurdischer Abstammung, einer ist Kosovoalbaner, alle sind sie Muslime. Während des Workshops haben die Vierzehnjährigen eine ganze Woche die Möglichkeit, selbst die Musik zu machen, die ihnen gefällt: HipHop.

Zwei eigene Lieder sind mit der Unterstützung von Markus Brachtendorf entstanden. Zwei Lieder, mit denen sie sich identifizieren: "Das macht viel mehr Spaß als das, was wir im Musikunterricht machen", sind sie sich einig.

Rap und HipHop seien populäres Allgemeingut, das die Jugendlichen sehr stark verinnerlicht hätten, sagt Markus Brachtendorf. "Rap bietet sich an, denn bevor die Schüler anfangen zu singen, fällt ihnen das Sprechen schon mal leichter; außerdem ist es superpopulär. Sprechen, das ist noch eine Hürde unter Singen, also fange ich damit an."

Künstler statt Pädagogen

Das Konzept von ORIENTierung: Künstler, im Idealfall im Tandem – einer aus dem "Okzident", einer aus dem "Orient" – bieten in Schulen Kunstprojekte zu gesellschaftspolitischen Themen für Kinder und Jugendliche an.

"Was wir mit dem Projekt wollen, ist die Phantasie und die Kreativität der Jugendlichen beflügeln", sagt Mike Müller, Leiter des Begegnungsprojekts. Die Workshops finden in allen Kunstsparten statt, so gibt es neben den Musikworkshops Schreibwerkstätten, es werden Theater- und Tanzprojekte und bildende Kunst angeboten.

Bewusst werden die Werkstätten von Künstlern, nicht von pädagogischem Fachpersonal geleitet, die in den Augen der Schüler einen anderen Status hätten. Dies habe sich als sehr positiv herausgestellt, erzählt Mike Müller.

So zeigten Schüler in den Workshops oft ganz andere Seiten, als die Lehrer es von ihnen gewöhnt seien: "So ist es uns gelungen, Schüler zu erreichen, die sich sonst nicht so hervortun. Da ist ein großes kreatives Potential zu erkennen."

Die Resonanz der Schulen ist dementsprechend groß. Dabei legen die Künstler und Organisatoren von ORIENTierung Wert darauf, Schulen zu erreichen, an denen sonst weniger Projekte angeboten werden, wie es oft an Haupt- und Realschulen der Fall ist.

Diskussion über die Liebe

Im Klassenraum in Siegburg wird das zweite Lied geprobt. "Es ist so wie es ist, ich bin Moslem und Du bist Christ" lautet der Refrain. Und weiter: "Die ganze Welt weiß, dass wir uns lieben, nur meine Eltern akzeptieren es nicht." Verbotene Liebe ist das Thema, die Liebe zwischen einer Türkin und einem Deutschen, die "nicht sein darf".

Dieses Lied sei aus einer sehr kontroversen Diskussion heraus entstanden, erzählt Markus Brachtendorf: "In dem Lied sollte es um Liebe gehen, und da habe ich mal so die Frage in den Raum geworfen, was denn passieren würde, wenn sich ein muslimisches Mädchen und ein christlicher Junge ineinander verlieben."

So eine Liebe ist unmöglich, das sei sofort klar gewesen, erinnert er sich. Wichtig war auch, dass in dem Lied das Mädchen Türkin ist: "Da hat sich gezeigt, dass das für türkische Mädchen viel komplizierter ist, als umgekehrt." Was also sollte mit den beiden Liebenden in dem Lied geschehen? "Die erste Lösung, die vorgeschlagen wurde, war: die beiden begehen Selbstmord", erzählt Markus Brachtendorf.

Schließlich aber einigten sich die Jugendlichen auf ein weniger dramatisches Ende: Der Junge konvertiert. "Ich nehme deinen Glauben an, ich tu es für uns zwei. Jetzt bin ich Moslem, genau wie Du mein Schatz" lautet der Text. So haben die beiden den Segen der Eltern und können heiraten.

Was aber bedeutet diese Konvertierung, geht das so einfach? Für die Sieben scheint dies kein Problem darzustellen, er müsse sich einfach beschneiden lassen, meint einer. Dann aber wird deutlich, dass zum muslimischen Glauben doch noch ein wenig mehr gehört: das muslimische Glaubensbekenntnis müsse er schon ablegen und auch den Koran lesen lernen.

Aber ist dies wirklich die einzige Lösung für so eine Liebe? An dieser Frage entspannt sich erneut eine lebhafte Diskussion, es bilden sich zwei Lager: Für Yeta gibt es da kein Wenn und Aber, eine Muslimin dürfe niemals einen Christen heiraten. Gülçi hingegen springt für die Liebe in die Bresche: "Wenn man sich wirklich liebt, dann ist das wichtiger als die Religion."

Den Anderen respektieren lernen

Für Diskussionen wie diese ist im normalen Schulunterricht meistens kein Platz – in den Workshops des Projektes "ORIENTierung" aber würde sich immer wieder herausstellen, wie groß der Drang nach Austausch sei, sagt Mike Müller:

"Unter der Oberfläche divergieren die kulturellen Unterschiede sehr stark. In so einem Workshop kommt da vieles zu Tage an Ansichten und Meinungen, was dann endlich einmal greifbar wird."

Indem den kontroversen Meinungen Raum gegeben würde, lernten die Kinder und Jugendlichen, Toleranz zu praktizieren, den Anderen in seiner Ansicht zu respektieren und ein Demokratieverständnis zu leben, ohne dass ihnen dies direkt bewusst werde.

Am Ende des Projekts wartet noch ein großer Auftritt auf die Jugendlichen: im Rahmen der Abschlusspräsentation werden die Ergebnisse der verschiedenen Projekte vor großem Publikum vorgestellt. Eine prägenden Erfahrung, denn nur die wenigsten haben vorher schon einmal auf einer Bühne gestanden.

"Die Abschlusspräsentation ist oft ein großes Erfolgserlebnis", erzählt Mike Müller. "So wird den Jugendlichen durch die Workshops etwas zuteil, was sie sonst selten erfahren: Anerkennung."

Sarah Ruth Sippel

© Qantara.de 2005

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