Religion sollte nicht Grundlage des Dialogs sein

Eine Welt, die immer stärker zusammenrückt, braucht vielleicht einen moralischen Code für die Politik eines religiösen Austauschs, meint Pratap Bhana Mehta, Präsident des Zentrums für Politische Forschung in Neu-Delhi.

Papst Benedikt XVI. und der türkische Mufti Mustafa Cagrici; Foto: AP
In der Türkei hatte man gereizt auf die Forderung des Papstes reagiert, dass Europa seine im Kern christliche Identität neu entdecken und schützen müsse - Papst Benedikt XVI. mit dem türkischen Mufti Mustafa Cagrici

​​Die Beziehungen zwischen der islamischen Welt und dem Westen waren zwar bereits vor der Vorlesung des Papstes an der Regensburger Universität angespannt, diese Rede aber war Wasser auf die Mühlen derjenigen, die glauben, dass der "Kampf der Kulturen" unvermeidlich sei.

Auch in der Türkei, wo man gereizt auf die Forderung des Papstes reagiert hatte, dass Europa seine im Kern christliche Identität neu entdecken und schützen müsse, war eine wachsende Verbitterung zu spüren. Doch auch in der übrigen islamischen Welt halten die Proteste an.

An Kritik an den theologischen und historischen Argumentationen des Kirchenvaters mangelt es also keinesfalls, wohl aber am Nachdenken über die eigentlichen Ursachen für den Disput.

Erfordert die Globalisierung womöglich einen moralischen Code des religiösen Austauschs? Brauchen wir bestimmte Normen, Konventionen und Beschränkungen, die den interreligiösen Austausch regeln?

Verbindung von Terrorismus und Islam

Was die Herausforderung des interreligiösen Austauschs so drängend erscheinen lässt, ist der Umstand, dass terroristische Gewaltakte nur mit einer einzigen religiösen Gruppe verbunden werden: der islamischen.

Mit einer Religion also, die sich schon zuvor in der Defensive sah, in einer Art Belagerung gefangen, und damit noch sehr viel empfindlicher war für eine - ihrer Meinung nach - unzutreffende Darstellung ihres religiösen Wesens. Dass dies die Empfindlichkeit der Gläubigen nur noch mehr steigert, sorgt paradoxerweise nur für neue Stereotype und lässt einen Teufelskreis der Missverständnisse entstehen.

Eine Möglichkeit, diesem Teufelskreis zu begegnen, ist es, den komplexen Wurzeln des Terrorismus in der modernen Welt nachzuspüren. Terrorismus lässt sich nicht einer einzelnen religiösen Anschauung zuordnen.

Seine Wurzeln finden sich im Nationalismus ebenso wie in der Religion. Die Suche nach den Ursachen terroristischer Gewalt darf staatliche Gewaltakte, wie den "war on terror" nicht ausnehmen. Damit wird der Terrorismus nicht gerechtfertigt, wohl aber lässt sich so vielleicht eine Diskussionsbasis finden, die den Diskurs über terroristische Gewalt nicht zum Vorwand macht, einzig den Islam zu treffen.

Zweifellos erfordert dies auf beiden Seiten große Anstrengungen und Zugeständnisse. Der päpstliche Lapsus und die Bemerkungen Präsident Bushs über den "islamischen Faschismus" erinnern uns daran, wie schnell der Dialog in einen Diskurs des religiösen Konflikts münden kann.

Gleichzeitig gibt es in Westasien keine politische Führung, die in der Lage wäre, die Stereotype, die ihnen zugeschrieben werden, wirkungsvoll zu widerlegen.

Religiöse Proteste

Weltweit sind wachsende religiöse Empfindlichkeiten zu beobachten. Sie alle lassen einen moralischen Code für den interreligiösen Austausch als notwendig erscheinen.

Hindus protestierten gegen Lehrbücher, die den Hinduismus mit der Unterdrückung im Kastenwesen in Verbindung brachten. Der Film "Der Da Vinci-Code – Sakrileg" führte in vielen Teilen der Welt zu Demonstrationen. Muslimische Gruppen protestieren häufig gegen die Darstellung ihrer Religion. Religiöse Gruppierungen protestieren immer wieder dagegen, wie sie von anderen präsentiert werden.

All diesen Protesten liegt eine unausgesprochene Prämisse zugrunde: dass es eine "korrekte Darstellung" der historischen Glaubensgrundsätze und Doktrinen einer Religion gebe. Gefordert wird, dass eine Darstellung keinen der Gläubigen der porträtierten Religion beleidigt oder seinen Glauben offen in Frage stellt.

Diese Forderung wird häufig auch von denen unterstützt, die selbst nicht der betreffenden Religion angehören. Der Gedanke, dass wir alle Religionen respektieren und sorgsam mit den Gefühlen Andersgläubiger umgehen sollten, scheint eine vernünftige und weise Regel zu sein.

Respekt als Lösung?

Zudem erscheint es als Möglichkeit, uns die mannigfaltigen kulturellen Ressourcen nutzbar zu machen, mit denen unterschiedliche Kulturen und Glaubensrichtungen versuchen, die Welt zu erklären, und mit deren Hilfe sie ihrem Leben einen Sinn geben wollen. Die falsche Darstellung einer Religion verletzt somit nicht nur ihre Anhänger, sondern verleugnet zugleich einen reichen Schatz kultureller Leistungen.

Die Forderung nach Respekt gegenüber allen Religionen wäre somit schon ein sehr einleuchtender "Kandidat" für den erwähnten Code des interreligiösen Austauschs. Und auf den ersten Blick scheint diese Forderung sehr vernünftig.

Die Weltpolitik wäre sicher eine für alle Beteiligten bessere, wenn alle Akteure verantwortungsvoller und sensibler mit den Befindlichkeiten der jeweils anderen Seite umgingen. Und doch ist aus dem Verlangen nach Respekt paradoxerweise eine Quelle der Zwietracht geworden, und zwar, weil es eine im Kern nicht zu erfüllende Forderung ist.

Ballast der Kirchen

Religionen müssen vier Tatsachen anerkennen: So ruhmreich das religiöse Erbe auch wirken mag, so tragen doch fast alle organisierten Kirchen einen unangenehmen Ballast mit sich herum. Jede Art von Unterdrückung und Gewalt wurde bereits mit dem Hinweis auf den Glauben gerechtfertigt.

Es lässt sich darüber diskutieren, ob bestimmte Religionen hierfür eher in Frage kommen als andere. Und doch ist es wohl unmöglich, die historische Entwicklung einer bestimmten Religion zu beschreiben, ohne dass sich zumindest einige ihrer Anhänger verletzt fühlen. Die Darstellungen sollten natürlich weder bösartig sein noch sollten sie gänzlich unwidersprochen bleiben, unbequem aber sind sie in jedem Fall.

Zweitens ist es eine simple Wahrheit, dass es - trotz aller Appelle, sich gegenseitig zu respektieren – schlichtweg unmöglich ist, eine andere Religion bis in die feinsten Verästelungen ihrer Glaubenssätze als wirklich gleichwertig zu akzeptieren. Jede religiöse Rede schafft eine Hierarchie, ein "Besser" und ein "Schlechter".

Drittens ist der Glaube kein Akt des Willens. Wir können andere Menschen nicht zwingen, auf eine bestimmte Art und Weise über die Historie oder die Theologie zu denken. Wir können nur hoffen, dass ihre religiösen Schlussfolgerungen in gutem Glauben gemacht werden und nicht das Ergebnis böswilliger Fehlinterpretationen sind.

Die Grenze aber zwischen dieser wohlwollenden Beschäftigung mit einer anderen Religion und abwertenden Urteilen ist in den Augen der meisten Gläubigen sehr schmal.

Keine universelle Ethik

Schließlich ist der Forderung nach Respekt gleich in zweifacher Hinsicht ein kompetitiver Aspekt eigen: Zum einen gibt es bereits eine Tendenz zur Eskalation. Wir haben die Phase, in der der Empörung böswillige Fehldarstellungen vorausgingen, hinter uns und befinden uns in einer, in der bereits die normale historische Diskussion zu Protesten führen kann.

Religiöse Gruppen verteidigen sich gegen jede Beleidigung, schweigen aber, wenn es die anderen sind, die beleidigt werden. Muslimische Gruppen protestieren nur selten gegen eine schreckliche Darstellung des Westens oder der Juden.

Hindus hingegen reagieren in der Regel sehr schnell und heftig, wenn es heißt, dass der Papst ihre Glaubensbrüder angreife, sie schwiegen aber, als er seine Bemerkungen zum Islam machte.

Kurz, die Politik des Respekts ist keine universelle Ethik. Stattdessen ist es ein Wettbewerb, in dem unterschiedliche religiöse Gruppen sich in Szene setzen und ihre Macht demonstrieren, und dies nicht zuletzt, indem sie Respekt für die eigenen Anschauungen einfordern.

Verschiedene Lösungsansätze

Es scheint, dass die Chancen auf eine globale Ehtik des interreligiösen Austauschs gegenwärtig in einer Sackgasse stecken. Die Forderung, dass jede Äußerung zur Religion ein gleichzeitiges Bekenntnis zu gegenseitigem Respekt notwendig macht, ist eine nicht zu erfüllende Aufgabe. Sie brachte eine Politik hervor, bei der verschiedene Religionen durch das ständige Einfordern von Respekt in immer schärferen Wettbewerb miteinander getreten sind.

Die zweite Option ist eine Art weltweiter Vertrag, der im Grunde besagen müsste, dass die bloße Erwähnung einer anderen Religion eine Taktlosigkeit darstelle. Solch eine Nachsicht aber würde schwere Einschränkungen der Freiheit mit sich bringen und ließe sich zweifellos nur sehr schwer durchhalten.

Die dritte Option hingegen ist eine neue Form des interreligiösen Dialogs. Auch wenn ein solcher Dialog dazu beitragen kann, grobe Missverständnisse zu vermeiden, ist die Hoffnung darauf, dass alle Schwierigkeiten gänzlich überwunden werden können, sehr schwach.

"Kultur der Rechte"

Die einzige Lösung besteht demnach darin, die Grundlage des Dialogs zu verlagern, und zwar weg von der Religion. Eine globale Diskussion, die von allen Äußerungen "gesäubert" wurde, von denen sich der eine oder andere Gläubige verletzt fühlen könnte, ist nicht vorstellbar; ebenso wenig können wir die Menschen dazu zwingen, in einer bestimmten Weise zu denken oder über andere Religionen zu sprechen.

Wir können nur hoffen, dass wir eine Kultur schaffen, in der die individuellen Grundrechte eines jeden Einzelnen geschützt werden. Eine solche Kultur ist eine sehr viel aufrichtigere Strategie als das Einfordern gegenseitigen Respekts.

Aber diese "Kultur der Rechte" muss zwei Voraussetzungen erfüllen: Religiöse Ungleichheiten müssen von politischen Bruchlinien strikt getrennt werden. Wichtiger aber noch ist, dass die religiösen Gruppen ihre Empfindlichkeit überwinden und den Vorstellungen, die sich andere über sie machen, mit mehr Selbstbewusstsein begegnen.

Eine Kultur des religiösen Austauschs kann nur dann aufrechterhalten werden, wenn die Anhänger einer Religion beginnen, darauf zu vertrauen: "Unser Gott kann sich selbst besser verteidigen, als wir es können".

Pratap Bhanu Mehta

© 2006 Yale Center for the Study of Globalization

Pratap Bhanu Mehta ist Präsident des Center for Policy Research in Neu-Delhi, Indien.

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