Sieg des Pragmatismus

In der Ausstellung "Venise et l´Orient" spürt das "Institut du Monde Arabe" in Paris den Beziehungen Venedigs mit dem "Orient" nach. Susan Javad hat sich die Ausstellung angeschaut.

​​"Zu groß, zu behaart" findet Nur Banu, die Mutter des osmanischen Sultans Murad III. (1574-1595) die beiden Schoßhunde, die sie von den venezianischen Händlern auf ihre Bestellung hin erhalten hat.

Umgehend reagieren diese auf die Beschwerde der einflussreichen Kundin und besänftigen sie mit einer Auswahl kostbarer Geschenke. Denn der Grundsatz, dass man der Kundschaft nicht vor den Kopf stoßen dürfe, wurde von den Händlern Venedigs über fast tausend Jahre eisern beherzigt.

Der Handel mit Hunden stellte dabei eine exzentrische Ausnahme dar. Glasware, Gewürze, Teppiche, Metallware, Seiden- und Brokatstoffe waren dagegen an der Tagesordnung und wurden zur Basis des Reichtums der Stadt.

Dass es sich bei den Handelspartnern um Muslime handelte und diese im Verlauf der Geschichte immer wieder in heftige kriegerische Auseinandersetzungen mit der christlichen Welt verwickelt waren, störte dabei kaum. Der Handel zwischen Venedig und den Gebieten "des Orients" blieb davon nahezu unbeeinflusst und wurde selbst während der Kreuzzüge aufrechterhalten.

Ein Schutzheiliger aus Ägypten

In Kooperation mit dem Metropolitan Museum of Art, New York beleuchtet das "Institut du Monde Arabe" (IMA) diesen Austausch zwischen dem Stadtstaat an der Adriaküste und der so genannten Levante über mehrere Jahrhunderte hinweg.

Zweihundert Objekte sind hierfür aus rund sechzig Museen, unter anderem auch aus Berlin und München, zusammengetragen worden und werden dem Publikum noch bis zum 18. Februar 2007 in den Räumlichkeiten des IMA präsentiert. Danach wird die Ausstellung in New York zu sehen sein.

​​Im Zentrum des Interesses der venezianischen Händler standen Städte wie Damaskus, Istanbul und Alexandria. Mit letzterer verband Venedig ein besonderes Verhältnis, das weit über den Handel hinausging:

Der Legende nach raubten zwei venezianische Kaufleute 828 die Gebeine des heiligen Markus aus dem ägyptischen Alexandria und brachten sie in ihre Heimatstadt. St. Markus wurde somit zum Schutzpatron der Mittelmeermetropole, und ihm zu Ehren erbaute Venedig die imposante St. Markusbasilika (geweiht 1094), deren große, in die Länge geplusterten Kuppeln denen ägyptisch-mamelukischer Bauart nachempfunden wurden.

Ambition und Didaktik

Der Raub der Reliquien des heiligen Markus bildet den chronologischen Ausgangspunkt der Ausstellung. Sie endet mit der Eroberung Venedigs durch die napoleonischen Truppen 1797 und umspannt eine Periode von fast eintausend Jahren. Ein ambitioniertes Projekt, dessen Gelingen sinnvolle Schwerpunktsetzung voraussetzt, damit der Besucher den Überblick behält.

Dies gelingt weitgehend. Im Mittelpunkt stehen die Beziehungen Venedigs zu den Mameluken (1250-1517), die von Kairo aus die Gebiete des heutigen Ägyptens bis nach Syrien beherrschten und zum anderen die Interaktion mit dem Osmanischen Reich (1299-1923), das ab dem frühen 16. Jahrhundert den gesamten östlichen Mittelmeerraum umfasste.

Es ist die Perspektive Venedigs, die dominiert. Kaum etwas erfährt man leider über die Einflüsse Venedigs auf seine Handelspartner und insofern zeigt diese hochinteressante und didaktisch sehr gut aufbereitete Ausstellung nur eine Seite des Austauschs.

Fusion aus Ost und West

Dieser ist in erster Linie kommerzieller Natur. Doch die engen Handelsbeziehungen hinterlassen auch deutliche Spuren im venezianischen Handwerk und der Kunst. In vielen Bereichen kommt es zu einer Fusion von Ost und West, und venezianische Handwerker und Künstler bauen über Jahrhunderte hinweg Motive der islamischen Kunst in ihre Arbeiten ein.

Gute Beispiele hierfür sind die bereits erwähnte St. Markusbasilika und die ab dem 17. Jahrhundert in Europa in Mode kommende Keramik "alla turchesca" (türkischer Art), die - mit den dominierenden Farben blau, grün und rot auf weiß - Keramik aus dem osmanischen Iznik imitiert.

Sultan Mehmed II. - Gentile Bellini zugeschrieben (Kopie), wahrscheinlich 16. Jahrhundert
Sultan Mehmed II. - Gentile Bellini zugeschrieben (Kopie), wahrscheinlich 16. Jahrhundert

​​Ebenso deutlich zeigt sich der Einfluss der islamischen Handwerkstradition in aufwendig gestalteten Buchausgaben, die in Venedig entstehen - edel geprägtes, verzierten Leder außen und "orientalisch" inspirierte Miniaturmalereien im Text.

Eines der wichtigsten Ausstellungsstücke ist das Portrait Mehmed II. (1432-1481), das Gentile Bellini zugeschrieben wird, dem einzigen Maler Venedigs, der tatsächlich eine zeitlang auf der anderen Seite des Mittelmeers, in Istanbul, gelebt hat.

Auf Wunsch des Sultans malte er dessen lebensechtes Portrait - ein absolutes Novum im islamischen Raum, wo die bildliche, lebensechte Darstellung von Personen religiös verpönt war.

Pragmatismus geht vor

Zu sehen sind ebenso mehrere Gemälde, die Märtyrerszenen aus der christlichen Heilsgeschichte zeigen. In anachronistischer Weise spielen sich diese Märtyrerszenen in einem muslimischen Dekor des 15. und 16. Jahrhunderts ab und zeigen den Märtyrer unter anderem umgeben von Turban tragenden Aggressoren.

Dies verdeutlicht, dass bei aller Kenntnis des "Anderen" und eines regen kommerziellen Austauschs gewisse Gegensätze doch bestehen blieben, diese jedoch einem gesunden Pragmatismus, dem Imperativ des Handels, untergeordnet wurden.

Eine kulturelle und finanzielle Erfolgsformel für Venedig, deren Gültigkeit man sich nach dem Besuch dieser faszinierenden Ausstellung auch für heute wünschen möchte.

Susan Javad

© Qantara.de 2006

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