''Die Arabellion inspiriert auch die Saudis''

Ahmed al Omran ist einer der bekanntesten Blogger Saudi-Arabiens. Auf seinem Blog Saudijeans.org schreibt er seit sieben Jahren über Politik und Gesellschaft in seiner Heimat. Im Gespräch mit Benno Müchler spricht er über die Lage in seinem Land, und warum dort der Aufruhr bislang ausblieb.

2012 ist das Jahr der Revolutionen und Proteste in der arabischen Welt, bislang jedoch nicht in Saudi-Arabien? Warum eigentlich nicht?

Ahmed al Omran: Die Situation ist von Land zu Land verschieden. Jedes Land hat doch andere Umstände, eine andere Dynamik. Man kann nicht einfach eine Revolution an einem Ort kopieren und dann an einem anderen einfügen. Es gibt einige Gründe, warum es in Saudi-Arabien keinen Volksaufstand gibt. Zum einen fehlt den Saudis das politische Bewusstsein, das Menschen in anderen Teilen der Region haben.

Saudi-Arabien ist ein sehr junger Staat. Das Land war nie eine Kolonie. Es musste niemals durch irgendeine Art Unabhängigkeitskrieg gehen. Deshalb gibt es keine Zivilgesellschaft, keine politische Traditionen, keine Wahlen, keine politischen Parteien.

Ahmed Al Omran; Foto: © Saudijeans.org
Al Omran: "Der langsame Wandel frustriert sehr viele junge Saudis. Sie wollen, dass ihr Land schneller freier und demokratischer wird."

​​So wissen die Saudis nicht viel von Rechten, die ihnen eigentlich zustehen müssten. Ihnen wurde über viele Jahre hinweg gelehrt, dass Saudi-Arabien der perfekte islamische Staat sei. Jetzt beobachten sie den Aufruhr in den Nachbarländern, und das inspiriert sie.

Aber Saudi-Arabien hat viel Geld, mit dem es um sich werfen kann. Als die Regierung im Frühjahr nervös wurde, verteilte sie Geldgeschenke und andere finanzielle Hilfen an die Menschen in Höhe von insgesamt 135 Milliarden Dollar. Die Strategie, die Leute auf diese Art und Weise zu befrieden, ist - so wie es aussieht - vorerst gelungen.

Wer hat Geld von der Regierung bekommen?

Al Omran: Alle, die im Staatsdienst arbeiten, haben einmalig zwei Monatsgehälter bekommen sowie auch viele Studenten. Auch mein staatliches Stipendium für das Studium in New York wurde aufgestockt. Ein sehr großer Teil der Bevölkerung hat so direkt oder indirekt finanziell vom Staat profitiert. Viele kritisieren das, weil das saudische Volk keine Almosen brauche, sondern echte soziale und politische Reformen.

Wie frei sind die Medien in Saudi-Arabien, und wie steht es generell um die freie Meinungsäußerung?

Al Omran: Es gibt es sehr viele Beschränkungen. Doch das Recht der freien Meinungsäußerung hat sich in den letzten fünf, sechs Jahren seit der Machtübernahme durch König Abdullah ausgeweitet. Die saudischen Medien berichten heute immer öfter über Dinge, die früher tabu waren, wie das religiöse Establishment, Religionsfreiheit und Frauenrechte. Aber die Medien sind nach wie vor nicht so frei wie in anderen Ländern.

Also kann man zum Beispiel offen das Königshaus kritisieren?

Al Omran: Die königliche Familie ist eine große rote Linie, die die Medien nicht übertreten dürfen. Aber man kann schon die Regierung kritisieren.

Sind Sie durch Ihren Blog in Schwierigkeit geraten?

Al Omran: Nein. Aber ich kenne andere Blogger, die verhört wurden oder sogar für Monate in Haft waren. Vermutlich habe ich bislang keine Probleme bekommen, weil ich auf Englisch schreibe. Andere, die auf Arabisch schreiben, und zwar auch über Tabu-Themen wie die Situation der politischen Häftlinge in unserem Land, wurden vorübergehend verhaftet. So erging es zum Beispiel Fouad al-Farhan, der im Dezember 2007 verhört und verhaftet wurde und damals mehr als vier Monate eingesperrt war.

König Abdullah von Saudi-Arabien; Foto: AP
Trotz zaghafter Reformen König Abdullahs: "Die königliche Familie ist eine große rote Linie, die die Medien nicht übertreten dürfen." Auf der "Reporter ohne Grenzen"-Rangliste der Pressefreiheit des Jahres 2010 befindet sich Saudi-Arabien auf Platz 157 von 178 Staaten.

​​Die Regierung wird sich aber bald eingestehen müssen, dass sie Meinungsfreiheit online nicht einfach unterbinden kann. Zumal es doch einfach ist, an all den Blockaden und Restriktionen vorbeizukommen, die im Internet errichtet werden.

Wie viele Menschen in Saudi-Arabien nutzen das Internet?

Al Omran: Von den rund 26 Millionen Einwohnern Saudi-Arabiens nutzen zwischen 30 und 40 Prozent das Netz. Aber diese Zahlen sind sehr ungenau. Viele Menschen, die keinen festen Internet-Zugang haben, nutzen auch oft das Netz. Es gibt auch immer mehr Menschen, die Smart Phones benutzen und so auf die Informationen im Internet zugreifen können. Man muss auch daran denken, dass 60 Prozent der Bevölkerung jünger als 30 Jahre alt ist.

Dieser Bevölkerungsteil ist sehr stark mit dem Internet verbunden. Sie sind als digitale Nutzer groß geworden, sie sind mit dem Internet aufgewachsen. Das Internet ist ein wichtiger Teil in ihrem Leben. Und viele von ihnen üben dort die Dinge, die sie im realen Leben nicht tun können, wie politische Partizipation oder Beziehungen zwischen Mann und Frau.

Wie wahrscheinlich ist ein Wandel in Saudi-Arabien?

Al Omran: Der Wandel, den wir bisher hatten, geschah sehr, sehr langsam. Und dieses langsame Tempo frustriert sehr viele junge Leute. Sie wollen, dass sich ihr Land schneller ändert, schneller freier und demokratischer wird. Und dieses Verlangen wird größer durch die Dinge, die sie im Moment in der Region vor sich gehen sehen.

König Abdullah Universität; Foto: AP
Zeichen eines vorsichtigen gesellschaftlichen Wandels: Die neue König Abdullah Universität bei Jiddah ist auch für Frauen geöffnet.

​​Eine andere Sache ist, dass der Wandel der letzten Jahre stark an die Person des Königs gebunden ist und bislang nicht institutionalisiert wurde. So gibt es einige Reformer im Land, die Angst haben, dass alle Reformen wieder rückgängig gemacht werden, wenn der König stirbt und ein neuer an die Macht kommt. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass der nächste König viel konservativer sein wird.

Was ist ein Beispiel für eine Reform von König Abdullah?

Al Omran: Ein Beispiel ist die Öffnung der König Abdullah Universität für Wissenschaft und Forschung auch für Frauen. Es ist die erste Bildungseinrichtung in Saudi-Arabien, in der Männer und Frauen zusammen studieren können, nebeneinander sitzen und miteinander arbeiten. Das hat der König ermöglicht. Es war seine Idee.

Wird es also keine Proteste oder Aufstände wie in Ägypten, Tunesien, Syrien oder Libyen geben?

Al Omran: Ich denke nicht, dass die Saudis in naher Zukunft auf die Straße gehen werden. Danach sieht es im Moment nicht aus. Auch hat die Regierung noch die Chance, ähnlich wie in Marokko Reformen einzuleiten.

Werden Sie nach dem Studium in den Vereinigten Staaten als Journalist nach Saudi-Arabien zurückkehren?

Al Omran: Ja, auch wenn es natürlich sehr schwierig werden wird. Ich habe viele Freunde, die in Amerika studiert haben und dann zurückgegangen sind. Und wenn ich mit ihnen rede, sind sie alle sehr frustriert. Sie haben sozusagen einen umgekehrten Kulturschock durchlebt. Aber wenn alle Leute, die Wandel und Reformen wollen, aus Frust das Land verlassen, dann wird sich niemals etwas ändern.

Interview: Benno Müchler

© Qantara.de 2011

Der 27 Jahre alte saudiarabische Blogger Ahmed al Omran studierte ein Jahr Journalismus in New York und absolviert zurzeit eine Hospitanz beim amerikanischen Radiosender NPR.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de