Verhandlungen auf Eis gelegt

Noch immer gehen die Meinungen über den EU-Beitritt der Türkei in vielen europäischen Staaten und durch alle parteipolitischen Bänke weit auseinander. Daniela Schröder fasst die verschiedenen europäischen Positionen zusammen.

Noch immer gehen die Meinungen über den EU-Beitritt der Türkei in vielen europäischen Staaten und durch alle parteipolitischen Bänke weit auseinander. Daniela Schröder fasst die verschiedenen europäischen Positionen zusammen.

Fotomontage Halbmond und EU-Symbol; &copy DW/Bilderbox
Die Türkei im Mittelpunkt parteipolitischer Querelen über einen künftigen Beitritt zur Europäischen Union

​​Es bleibt beim "vielleicht" – zugeknallt hat die EU ihre Tür dem umstrittenen Beitrittskandidaten Türkei im vergangenen Dezember nicht. Ob das Land aber wirklich willkommen ist, wenn eines Tages alle Bedingungen erfüllt sein sollten, ist auch nicht sicher.

Der Verhandlungsstart in wichtigen Bereichen ist aufgeschoben, das Verhältnis der EU-Staaten zur islamisch geprägten Türkei bleibt ungeklärt.

Der deutschen EU-Ratspräsidentschaft unter Bundeskanzlerin Angela Merkel kann die auf Eis gelegte Türkeifrage nur Recht sein. Schließlich ist es in den Gesprächen mit Ankara bisher regelmäßig zum Streit gekommen – meist über Ankaras anhaltende Weigerung türkische Häfen und Flughäfen für Verkehr aus dem EU-Mitglied Zypern zu öffnen. Regelmäßig in den Haaren liegen sich auch die Staats- und Regierungschefs der EU, wenn das Thema Türkei-Beitritt zur Debatte steht.

Geteilte Meinung zwischen SPD und CDU

Innerhalb der Bundesregierung vertreten sogar die in den kommenden Monaten der deutschen EU-Präsidentschaft entscheidenden Personen gegensätzliche Positionen: Während Bundeskanzlerin Angela Merkel alle Optionen für möglich hält, favorisiert die CDU/CSU-Chefin Merkel eine so genannte "privilegierte Partnerschaft" mit der Türkei.

Der türkische Ministerpräsident Erdogan zu Besuch bei Kanzlerin Merkel in Berlin; Foto: AP
Gegen eine EU-Vollmitgliedschaft - für eine privilegierte Partnerschaft, so der politische Kurs der CDU gegenüber der Türkei

​​Ankara hätte demnach die gleichen Pflichten wie alle anderen EU-Mitglieder, jedoch kein Recht die EU-Politik mitzuentscheiden. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dagegen sieht die Türkei als Brücke zwischen dem christlichen und dem islamischen Kulturkreis und wirbt für eine Vollmitgliedschaft.

EU-Experten bezeichnen das im Dezember 2006 beschlossene Aufschieben der Verhandlungen zur Übernahme des Regelwerks der Europäischen Union in Handels- und Wirtschaftsfragen zwar als deutlichen Rüffel für die türkische Regierung. Mehr als politische Signalwirkung habe es jedoch nicht.

Zwar starten die Gespräche in diesen Bereichen erst, wenn Ankara ein Zoll-Abkommen mit der EU voll umsetzt und türkische Häfen und Flughäfen auch für den zypriotischen Verkehr öffnet.

Und auch alle künftig geöffneten Verhandlungsfelder werden erst abgehakt, wenn die Türkei ihre Verpflichtungen in Sachen Zollunion erfüllt hat. Allerdings kann Ankara weiter ungehindert daran arbeiten, den Rechtsbestand der Europäischen Union zu übernehmen. Spätere Verhandlungen würden dann einfacher und schneller ablaufen können.

Verhandlungen mit offenem Ausgang

Es hätte auch schlimmer kommen können. Als sich die EU-Außenminister im vergangenen Dezember darauf einigten, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei in acht von 35 Bereichen auszusetzen, blieben sie damit weit unter den Forderungen einzelner Mitgliedsstaaten, die bis zu einem Abbruch der Gespräche reichten.

Der Beschluss deckte erneut die Kluft zwischen Beitrittsbefürwortern und Beitrittsgegnern zu. Zu der entscheidenden Frage, was die Europäische Union letztendlich mit der Türkei will, steht eine Antwort jedoch nach wie vor aus.

Als die EU-Mitglieder im Oktober 2005 beschlossen, Beitrittsgespräche mit der Türkei zu beginnen, ließen sie offen, was am Ende der Verhandlungen stehen wird. Automatisch tritt das Land der Europäischen Union jedenfalls nicht bei. So wandelten die EU-Staaten ihre unterschiedlichen Meinungen in einen Prozess um und vermieden eine politische Entscheidung.

Nach wie vor erhoffen eine Reihe von Mitgliedstaaten wie Österreich, Frankreich oder die Niederlande, aber auch die deutschen Christdemokraten, dass die Türkei kein EU-Mitglied wird.

Dagegen steht das deutliche "Ja" zur Vollmitgliedschaft aus Großbritannien, Italien, Spanien, Schweden und Finnland sowie vom sozialdemokratischen Partner in der Bundesregierung. Die im Mai 2004 der EU beigetretenen Länder aus dem Osten Europas sind zumindest nicht gegen ein Neumitglied namens Türkei.

Kluft zwischen Beitrittsgegnern und Befürwortern

Der britische Premierminister Tony Blair machte sich zwar direkt nach dem EU-Gipfel im Dezember für eine neue Dynamik in den Gesprächen mit Ankara stark, doch seine Tage an der Regierungsspitze sind gezählt und die Position seines Nachfolgers Gordon Brown eher europakritisch.

Frankreichs Innenminster Nicolas Sarkozy; Foto: AP
Gehört zu den vehementesten Gegnern eines EU-Beitritts der Türkei - Frankreichs Innenminster Nicolas Sarkozy

​​Abzuwarten bleibt auch, ob ein möglicher französischer Präsident Nicolas Sarkozy, der als derzeit amtierender Innenminister Frankreichs zu den offensten Gegnern eines Türkei-Beitritts zählt, die unter Jaques Chirac zuletzt vertretene positive Haltung ändert.

Sarkozy hat bereits eine Volksabstimmung angekündigt. Auch Wien will die Bürger entscheiden lassen. Und das Auftauen der eingefrorenen Verhandlungskapitel können die EU-27 nur einstimmig beschließen.

"Die EU-interne Lage müsste eigentlich zu einem Abbruch der Verhandlungen führen, die ja unter dem Grundsatz der Einstimmigkeit stehen", urteilt Heinz Kramer, Türkei-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Sicherheitspolitische Aspekte

Doch auch die Beitrittsgegner seien sich der sicherheitspolitischen Bedeutung der an den Irak, Syrien, Iran und den Kaukasus grenzenden Türkei bewusst. Zudem würde ein definitives "Aus" der Gespräche negative Signale an die islamische Welt senden.

Von der EU zurückgewiesen, könnte Ankara sich auch von Europa abwenden und den Anschluss an alternative Verbündete wie etwa Russland suchen.

Als 1963 das Assoziierungsabkommen zwischen dem Vorgänger der EU, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Türkei geschlossen wurde, sagte der Christdemokrat Walter Hallstein, damaliger Präsident der EWG-Kommission: "Die Türkei ist ein Teil Europas."

Sein Parteigenosse Hartmut Nassauer, Vizevorsitzender der EVP-ED-Fraktion im Europaparlament, sieht das heute anders: "Die Türkei ist kein europäisches Land."

Als zweitgrößtes NATO-Mitglied sei die Türkei zwar ein wichtiger politischer Verbündeter und spiele eine zunehmend bedeutendere Rolle für die Energieversorgung und Energiesicherheit der EU. Allerdings gehöre die Türkei zu "einem anderen Kulturkreis, der auch Elemente der Fremdheit hat", so Nassauer. Es sei daher besser, das Land als Partner zur Seite zu haben, denn als Mitglied.

Martin Schulz, Chef der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, ruft die Türkei dazu auf, grundlegende Reformen weiter voran zu treiben. Vor allem im Bereich Menschenrechte und Grundfreiheiten müsse Ankara Fortschritte machen.

Lösung der Zypernfrage als wichtiges Kriterium

"Langfristig ist die Mitgliedschaft der Türkei im Sicherheitsinteresse und im ökonomischen Interesse Europas", sagt Schulz. Beide EU-Abgeordnete betonen jedoch, dass ohne ein Öffnen der türkischen Häfen für Verkehr aus Zypern kein Beitritt möglich sei.

​​Das Beispiel der Türkei zeigt, dass das Erfüllen der Kriterien für eine EU-Mitgliedschaft nicht länger nur eine technische Angelegenheit ist, sondern auch eine politische Entscheidung bedeuten kann. Zwar hört sich der Zankapfel Zypern nach einer reinen Verfahrensfrage an, doch verbirgt sich dahinter für die Türkei ein Anerkennen der griechisch-zypriotischen Regierung als die einzig legitime auf der umstrittenen Insel.

Da die EU auf dem Erfüllen des Ankara-Protokolls beharrt, kann nur ein Durchbruch in der Zypernfrage neue Dynamik in die Beitrittsgespräche bringen, sagt SWP-Experte Kramer. Gelöst werden könne das Problem nur durch die Vereinten Nationen.

Der EU selbst seien die Hände gebunden, da sie mit dem Beitritt der Republik Zyperns zu einer Partei im Streit um die Insel geworden sei. Mehr noch, sagt Kramer: Die Zypernfrage sei für viele in der EU nur ein Vorwand, um ihre beitrittsfeindliche Haltung mit Sachargumenten zu stützen.

Absehbar ist ein Durchbruch in Sachen Zypern nicht. Allerdings bekannte sich Nikosia im Dezember im Gegensatz zur bisherigen Haltung dazu, dass der Konflikt mithilfe der Vereinten Nationen politisch gelöst werden müsse. Zudem gab die zypriotische Regierung jüngst ihren Widerstand gegen direkten Handel des türkisch kontrollierten Nordens der Insel auf.

Die EU-Außenminister beschlossen Mitte Januar einstimmig, dass Gespräche über einen Direkthandel "unverzüglich" aufgenommen werden sollen. EU-Diplomaten hoffen, dass dieser Entscheid die türkische Regierung nun zu einem neuen Schritt in der Zypernfrage bewegt.

Daniela Schröder

&copy Qantara.de 2007

Daniela Schröder arbeitet als freie EU-Korrespondentin in Brüssel für den englischen Dienst der dpa und schreibt unter anderem für die Zeitung "Das Parlament".

Qantara.de

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