Verfassungsänderung auf Kosten der Grundrechte

In Ägypten soll eine Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung entscheiden, die den Anti-Terror-Kampf absichern soll. Menschenrechts-aktivisten, wie Hafez Abu Saada, sehen darin jedoch eine massive Einschränkung der Grundrechte.

In Ägypten soll eine Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung entscheiden, die den Anti-Terror-Kampf absichern und die Bildung religiös-politischer Parteien verbieten soll. Menschenrechtsaktivisten, wie der Generalsekretär der Ägyptischen Organisation für Menschenrechte, Hafez Abu Saada, sehen darin jedoch eine massive Einschränkung der Grundrechte. Mit ihm hat sich Mahmoud Tawfik unterhalten.

Protestaktion von Oppositionellen in Kairo gegen die Verfassungsänderungen; Foto: AP
Viele Ägypter fürchten durch die Verfassungsänderung massive Einschränkungen der Grundrechte. Ein Boykott des Referendums ist dennoch nicht der richtige Weg, findet Hafez Abu Saada.

​​Herr Saada, Ägypten hat - zumindest laut offiziellen Angaben - der Verfassungsänderung zugestimmt. Es geht konkret um 34 Artikel, die nun geändert werden sollen. Was halten Sie davon?

Hafez Abu Saada: Am meisten hat uns als Menschenrechtsorganisation die Änderung des Artikels 179 enttäuscht. Über die restlichen Änderungen kann man streiten, aber die Änderung des Artikels 179 bedeutet eine deutliche Einschränkung anderer in der Verfassung verankerter Grundrechte: persönliche Freiheiten, das Recht auf Privatsphäre, das Postgeheimnis usw., das sind die in den Artikeln 41, 44 und 45 enthaltenen Grundrechte. Laut Regierung soll dies alles unter richterlicher Aufsicht geschehen. Aus der Erfahrung, die wir mit den Notstandsgesetzen haben, haben wir jedoch allen Grund, diese gesetzlichen Garantien anzuzweifeln. Deswegen sind wir enttäuscht.

Nicht nur Sie waren enttäuscht, sondern auch ein großer Teil der politischen Opposition, die zu einem Boykott des Referendums aufgerufen hat, mit dem die Verfassungsänderungen abgesegnet wurden. Hielten Sie das für einen klugen Schritt?

Abu Saada: Nein, ich war da anderer Meinung. Eines der Probleme Ägyptens ist, dass die öffentliche Teilnahme am politischen Leben ohnehin schwindend gering ist. Deswegen wundere ich mich über all jene, die zu einem Boykott der Abstimmung aufgerufen haben. Richtig wäre gewesen, die Leute dazu aufzufordern, mit "Nein" zu stimmen. Das wäre für mich eine Haltung, die die Teilnahme am politischen Leben unterstreicht.

Bald wird es in einem anderen Kontext wieder darum gehen, die Menschen an die Wahlurnen zu bitten, sei es während der Parlamentswahl oder während der Wahl des zweiten Abgeordnetenhauses, und in dieser Hinsicht sehen wir es als wichtig an, dass die Leute politisch aktiv werden, nicht, dass sie das politische Leben boykottieren.

Zurück zu den Anti-Terror-Maßnahmen. Was genau finden Sie so schlimm an den Anti-Terror-Gesetzen? In Ländern wie Deutschland oder den USA gibt es doch auch ausgeklügelte Anti-Terror-Gesetze. Und ist es nicht eigentlich positiv, wenn im Gegenzug, wie angekündigt, die Notstandsgesetze nicht mehr angewandt werden sollen?

Abu Saada: Im Grunde sind die Notstandsgesetze schon weit reichend genug. Und das ist auch das Argument, das in diesem Kontext vorgeschoben wird, dass die Notstandsgesetze sich nicht auf ein konkretes Delikt beziehen, während diese neue Verfassungsänderung sich auf einen konkreten Tatbestand bezieht. Aber unsere Erfahrung in diesen Dingen besagt, dass auch dies im Grunde nur bedeutet, dass Sicherheitskräfte freie Hand bekommen unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung.

Unter den Notstandsgesetzen kommt es oft vor, dass Menschen, die zuvor verurteilt worden waren, wieder frei gesprochen werden, und zwar, weil ein höheres Gericht feststellt, dass ihnen die Tat bloß angehängt wurde. Genau dasselbe Szenario erwartet uns bei der Umsetzung der Anti-Terror-Gesetze, dass also Beweise fingiert werden, um Menschen unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung vor Gericht zu zerren und einzusperren. Es besteht also die Möglichkeit, dass die Anwendung der Terrorgesetze auch Unbeteiligte mit einbezieht – und sei es nur in der Phase der Informationsbeschaffung und Ermittlung.

Das Gefährlichste ist jedoch, dass im Rahmen dieser Verfassungsänderung Verdächtigen auch vor einem Ausnahmegericht der Prozess gemacht werden kann. Da müssen wir uns dann natürlich fragen, was das denn nun damit zu tun hat, dass es hier angeblich darum geht, notwendige gesetzliche Rahmenbedingungen für den Kampf gegen den Terrorismus zu schaffen? Warum werden diese Verdächtigen nicht von einem normalen Gericht verurteilt, so dass wir uns dann auch vergewissern können, dass jene gesetzlichen Garantien, von denen die Rede ist, auch wirklich zum Tragen kommen.

Eine weitere umstrittene Verfassungsänderung – zumindest aus Sicht der ägyptischen Muslim-Brüder – ist jener Zusatz zum fünften Artikel der Verfassung: ein klares Verbot jeglicher politischer Aktivität mit religiösem Hintergrund sowie ein Verbot der Gründung von politischen Parteien, die in dieses Schema passen.

Abu Saada: In diesem Punkt sind wir uneins mit einigen Oppositionskräften. So leid es mir tut, wir können von unserem Standpunkt aus diesen Zusatz nur befürworten. Wir sind der Meinung, dass es keine Parteien mit religiöser Grundlage geben darf. Nun kann man darüber diskutieren, ob das Verbot sich unbedingt auf alle Formen der politischen Aktivitäten erstrecken muss, das wiederum ist nach unserer Ansicht etwas übertrieben.

Nun gibt es zum Beispiel die Änderung jenes Artikels, der sich mit der Wahl des ägyptischen Präsidenten befasst. Dieser Artikel – Artikel 76 – wurde ja vor rund zwei Jahren schon einmal unter starker Kritik der Opposition geändert. Allerdings wurden den Änderungen auch Ausnahmeregelungen hinzugefügt, aufgrund derer es letztlich doch zu den ersten freien Präsidentschaftswahlen überhaupt kommen konnte. Nun wurde derselbe Artikel nochmals umformuliert - und auch dieses Mal gibt es Ausnahmeregelungen.

Abu Saada: Was die Änderungen in diesem Artikel angeht so sind sie teils positiv, teils negativ ausgefallen. Zum einen wurde die Voraussetzung etwas gelockert, die eine Partei erfüllen muss, um einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl zu stellen. Vorher waren es fünf Prozent der Parlamentssitze, jetzt sind es nur noch drei Prozent. Und dann wurde noch eine Ausnahmeregelung hinzugefügt, die jener ähnlich ist, die damals hinzugefügt wurde, als dieser Artikel zum ersten Mal geändert wurde. Auch hier reicht es für den Zeitraum der kommenden zehn Jahre, wenn eine Partei einen einzigen Abgeordneten in einem der beiden Abgeordnetenhäuser stellt. Nach Ablauf der zehn Jahre gilt dann die Drei-Prozent-Hürde.

Im Wesentlichen also eine Verbesserung?

Abu Saada: Der überarbeitete Artikel schließt unabhängige Kandidaten von den Präsidentschaftswahlen de facto aus, weil er ihre Teilnahmebedingungen verschärft. Das hätte ich mir persönlich natürlich anders gewünscht, aber laut Regierung soll es ja darum gehen, die Rolle der Parteien in der Politik zu stärken, und das kann ich als Argument so akzeptieren. Zumindest können wir jetzt davon ausgehen, dass es bei den kommenden Präsidentschaftswahlen mehrere verschiedene Kandidaten geben wird.

Der letzte der Artikel, dessen Änderung bei vielen für Entrüstung gesorgt hat, ist Artikel 88. Da geht es um die Beaufsichtigung von Wahlen durch eine unabhängige Instanz, namentlich durch die ägyptischen Richter. Laut Änderung ist es jedoch nun nicht mehr zwingend notwendig, dass ein Richter pro Wahllokal dafür sorgt, dass alles reibungslos abläuft. Für viele ein deutliches Zeichen dafür, dass es in Zukunft wieder vermehrt zu Wahlfälschungen kommen wird.

Abu Saada: Diese Verfassungsänderung wurde damit begründet, dass die Anzahl der Richter nicht ausreicht, um alle Wahllokale abzudecken, und das ist in der Tat richtig – insbesondere, da die Regierung darauf besteht, dass nicht über mehrere Tage verteilt gewählt werden darf.

Trotzdem sind wir der Ansicht, dass man in dieser Hinsicht einen besseren Kompromiss hätte finden können. Denn wir und generell alle Menschenrechtsorganisationen finden es nach wie vor extrem wichtig, dass Wahlen unter richterliche Aufsicht gestellt werden. Das hat das Vertrauen der Bürger in den Wahlprozess sehr gesteigert und hat letzten Endes auch dazu geführt, dass sich mehr Menschen an den Wahlen beteiligen.

Interview: Mahmoud Tawfik

Aus dem Arabischen von Mahmoud Tawfik

© Qantara.de 2007

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