Reformer, Verweigerer und Strenggläubige

  In ihrem Essay zeigt die Politikwissenschaftlerin Susan Blackburn die vielen Gesichter des weiblichen Islam in Indonesien nach dem Fall der Suharto-Dikatur auf.



In Indonesien ist der Islam auf dem Vormarsch. Das Land erlebt seit den 1980er Jahren ein islamisches Wiedererwachen. Religiöse Aktivitäten aller Art weiten sich als Reaktion auf die Freiheit aus, die durch den Fall des autoritären “New Order“-Regimes 1998 enstanden ist.

Inzwischen gibt es eine Kontroverse darüber, was dies für Frauen bedeutet. Auf welche Weise haben Frauen davon profitiert oder darunter gelitten, dass mehr Indonesier versuchen, ihre Religion mit größerer Ernsthaftigkeit auszuüben?

Indonesien hat die größte muslimische Bevölkerung der Welt, fast 90 Prozent der 240 Millionen Einwohner sind Muslime. Die moderate Version des Islams in Indonesien wird als beispielhaft im Vergleich zur restlichen islamischen Welt gesetzt.

Frauen und Religiosität

Es gibt indonesische Musliminnen, die im Zuge dieser Entwicklung religiöser geworden sind. Man beobachtet Frauen, die ein beeindruckendes Engagement auf ihrer Suche nach religiösem Wissen vorweisen, indem sie regelmäßig Gebetsrunden und andere religiöse Versammlungen besuchen.

So nehmen beispielsweise ältere Frauen in Bandung regelmäßig wöchentlich an vier bis sechs religiösen Lerngruppen teil und reisen auf ihren spirituellen Pilgerfahrten durch die ganze Stadt. Ein Grund für die Frömmigkeit dieser Frauen ist die Sorge über soziale Probleme wie Korruption und erhöhte Kriminalität. Sie glauben, dass die Aneignung religiösen Wissens dazu beiträgt, die Gesellschaft gegen solche Gefahren zu stärken.

Indonesische Frauen in einer Sozialeinrichtung in West-Jakarta; Foto: DW
Aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben: Auch ältere Frauen partizipieren regelmäßig an religiösen Lerngruppen und reisen auf spirituellen Pilgerfahrten durch Indonesien.

​​Im Kontrast zu diesem Streben nach spirituellem Wissen und der Art, wie die Frauen es an ihre Familien weitergeben, fällt das religiöse Regelverhalten der Männer auf, die, teilweise deshalb, weil sie weniger Zeit haben, es als ausreichend empfinden, einmal in der Woche eine Moschee zu besuchen.

Gleichzeitig erfreuen sich islamische Zeitschriften für indonesische Frauen großer Beliebtheit. Der Inhalt dieser Magazine reflektiert die Interessen ihrer Käufer aus der städtischen Mittelschicht: Sie suchen sowohl spirituelle als auch praktische Anleitung, wie sie als muslimische Frauen mit einem sozialen Gewissen leben sollen. Das Magazin “NooR“ gibt an, dass seine Leserinnen berufstätige oder in Teilzeit beschäftigte Frauen sind, die eine moderne Form des Islam als Stütze für ihre Karriere suchen.

Dem Sufi-Mystizismus verpflichtet

Innerhalb des indonesischen Islam gibt es viele Strömungen, von denen einige weniger bekannt sind als andere. Zu den weniger bekannten gehören die mystischen Bewegungen, innerhalb derer auch Frauen aktiv sind. Frauen können trotz einiger Hindernisse Führungspositionen innerhalb der indonesischen Sufi-Tradition übernehmen. Solche weiblichen Führer sind darauf bedacht, ihre männlichen Kollegen nicht offen herauszufordern.

Eine andere Form der mystischen Praxis sind Gesangsgruppen, die Muslimen jeden Alters und Geschlechts offen stehen. In der Bewegung “Salawat Wahidiyah“ gibt es spezielle Rituale für Frauen, die auch die Rolle von Predigern übernehmen können.

Das Wiederaufleben des Islam und islamische Frömmigkeit werden oft als rein männliches Phänomen dargestellt, ohne dass darauf eingegangen wird, welche Rolle Frauen dabei tatsächlich spielen. Dennoch sind Frauen oft religiöser als Männer und das Aufkommen weiblicher religiöser Führung ist eine der interessantesten Entwicklungen im heutigen Indonesien.

Beobachter, die sich mit den Auswirkungen negativer Tendenzen im indonesischen Islam auf Frauen beschäftigen, konzentrieren sich auf bestimmte Entwicklungen seit dem Ende des “New Order“ 1998: Eine davon ist der Raum, der Lokalregierungen im Zuge der Dezentralisierung eröffnet wurde, um diskriminierende Bestimmungen unter dem Deckmantel des Kampfes gegen öffentliche Sittenlosigkeit einzuführen.

Polygamie und Anti-Pornographie-Gesetz

Eine Frau in balinesischer Tracht protestiert gegen das Anti-Pornographie-Gesetz; Foto: AP
Kreativer Widerstand gegen Anti-Pornographie-Gesetz: Das Dekret sieht für einige Verstöße bis zu 15 Jahre Haft vor. Küssen in der Öffentlichkeit und das Zurschaustellen erotischer Kunst ziehen Geldstrafen nach sich.

​​Eine andere ist die Verabschiedung des Anti-Pornographie-Gesetzes von 2008. Dieses Gesetz beinhaltet eine sehr weite Definition von Pornographie, die viele Frauen der Gefahr von strafrechtlicher Verfolgung aussetzt. Viele Beobachter werfen der Zentralregierung zudem vor, dass sie diskriminierende Handlungen gegenüber Frauen ignoriere, und vertreten die These, dass Polygamie heute zum Nachteil der Frauen öffentlich in einem Maße toleriert werde, wie es unter dem “New Order“-Regime niemals geschehen sei. (Gemäß dem Ehegesetz von 1974 war Polygamie an verschiedene Bedingungen geknüpft, über die sich heute entweder offen hinweggesetzt wird oder die durch inoffizielle Ehen umgangen werden – sie werden zwar nach religiöser Tradition gefeiert, aber nicht offiziell registriert.)

Im Jahr 2001 erregte die Entscheidung der Zentralregierung, der Provinz Aceh die Einführung von Scharia-Recht zu erlauben, großen Anstoß. Die Entscheidung stellt eine Abkehr von der nationalen Politik dar, um die separatistischen Bewegungen in der Gegend ruhig zu stellen.

Einige muslimische Gruppen und Individuen bemühen sich jedoch, diese Schritte der Regierung anzufechten – gewöhnlich, indem sie darauf hinweisen, dass sie für Indonesien ungeeignet sind und aus der Kultur des Mittleren Ostens stammen – und nicht auf dem Geist des Islam basieren. Gemäß moderater indonesischer Auffassung ist Religion gänzlich vereinbar mit Demokratie und Geschlechtergleichheit.

Der indonesische Islam hatte lange Zeit in vielerlei Hinsicht einen ganz eigenen Charakter. Mit am bemerkenswertesten ist dabei die Existenz zweier sehr großer islamischer Volksorganisationen, der “Muhammadiyya“ und der “Nahdlatul Islam“ (NU), deren Ursprünge zurück ins frühe 20. Jahrhundert reichen. Die Unterschiede zwischen den beiden Organisationen, von denen die “Muhammadiyya“ im Allgemeinen als modern, die NU als traditionell gilt, haben sich im Laufe der Jahre abgeschwächt, obwohl die Mitglieder der Muhammadiyya weiterhin eher städtisch, national orientiert und besser ausgebildet sind, während das Kernland der NU die ländlichen Regionen auf Java bleiben.

In beiden Organisationen sind auch Millionen Frauen vertreten, und sowohl in der “Muhammadiyya“ als auch in der “Nahdlatul Islam“ fanden seit den 1980er Jahren einige der interessantesten Entwicklungen im Geschlechterverhältnis innerhalb des indonesischen Islam statt.

Pioniere des islamischen Feminismus

Innerhalb dieser Organisationen sind sowohl männliche als auch weibliche Feministen hervorgetreten, die hart dafür arbeiten, um sie frauenfreundlicher zu machen und misogyne Diskurse zurückzubilden. Das ist ein unverkennbares Merkmal des indonesischen Islam.

Muslimische Frauen beim Tarawih-Gebet in der Istiqlal-Moschee in Jakarta; Foto: AP
Rückbesinnung zu Spiritualität und Glauben. Immer mehr Frauen entdecken seit dem Ende des "New Order"-Regimes der Suharto-Ära zum Islam, schreibt Blackburn.

​​Lies Marcoes-Natsir und Farha Ciciek Asegaf sind seit den 1980ern Pioniere des islamischen Geschlechterbewusstseins und mit den bestehenden Interpretationen des Islam unzufrieden. Beide Frauen haben daran mitgewirkt, dass Raum für feministische Interpretationen des Islam in Indonesien geschaffen und Religion mit Frauenrechten verknüpft wird. Sie verfolgen ihre Ziele mithilfe verschiedener Nicht-Regierungsorganisationen, die sie selbst mit aufgebaut haben.

Mit Unterstützung einiger anderer herausragender Feministen, haben diese zwei Frauen begonnen, die diskriminierenden Lehren umzuwandeln, denen Frauen im Bildungssystem der NU begegnen. Ähnliche Reformen wurden von der respekteinflößenden Siti Musdah Mulia innerhalb der Muhammadiyya angestoßen und an Indonesiens Religionsministerium herangetragen.

Siti Musdah Mulia versucht (bisher ohne Erfolg) das staatliche islamische Recht zu reformieren, um mehr Gleichheit für Frauen zu erreichen. Der Kampf dieser Feministinnen geht weiter, aber schon jetzt lässt sich sagen, dass ihre Bemühungen in Indonesien einen einzigartigen Fall in der islamischen Welt darstellen.

Leitfiguren wie Marcoes-Natsir und Farha Ciciek Asegaf stehen in ihrem Kampf für die Gleichbehandlung indonesischer Frauen jedoch auch vor Hindernissen. Abgesehen von der Opposition von Hardlinern innerhalb der NU und Muhammadiyya sowie der lautstarken Minderheit sehr kleiner, konservativer Gruppen, die seit dem Fall des “New Order“-Regimes in der Öffentlichkeit stärkere Präsenz zeigen, gibt es auch in Teilen der Gesellschaft tief verwurzelte Widerstände.

Aufgrund der in der Bevölkerung verankerten Islam-Anschauungen, die durch das indonesische Ehegesetz noch bestärkt werden, werden nur Männer als Familienoberhäupter anerkannt, was somit denjenigen Frauen das Leben erschwert, die die eigentliche Hauptstütze ihrer Familien darstellen.

Es gibt viele Beispiele von Frauen als Familienoberhäupter: verlassene Frauen, Witwen und Frauen, deren Männer sich weigern, ihre Familien zu unterstützen. Es ist erschreckend ungerecht, dass in Indonesien, wo Frauen schon immer sowohl innerhalb als auch außerhalb des Hauses gearbeitet haben, deren Leistung derart missachtet und sogar verunglimpft wird.

Widerstand islamischer Hardliner

Einige Frauen in Indonesien bemühen sich aber selbst, die gesellschaftliche Stellung der Frau zu zementieren. Dazu gehört eine Gruppe junger konservativer Musliminnen aus Yogyakarta, die sich gegen Säkularismus einsetzt, den für sie ein Wegbereiter westlicher Sittenlosigkeit ist. Bemerkenswert ist auch ihre Gegnerschaft gegen Sexualerziehung für Jugendliche, wenn man bedenkt, dass islamische Organisationen wie die NU für gesundheitliche Aufklärung werben. Solche konservative muslimische Gruppen versuchen, einen sehr strengen Verhaltenskodex für junge Frauen durchzusetzen.

In Banda Aceh wird Körperstrafe im Rahmen der Scharia gegen eine Frau angewendet; Foto: AP
Drakonische Strafen gegen Frauen: Zu Beginn des Jahrtausends hatte die indonesische Regierung die Einführung der Scharia in Aceh gefördert.

​​Eine besonders heftige Kontroverse über Religion wird in Aceh geführt, der Region Indonesiens mit den am strengsten gläubigen Muslimen. Dort gibt es Frauenorganisationen, die gegen die verbreitete Überzeugung eintreten, dass muslimische Frauen sich nicht an der Politik beteiligen sollten.

Da nur wenige Frauen in das Parlament der Provinz gewählt wurden, hat sich das als eine schwierige Aufgabe erwiesen. Allerdings können Organisationen, die für politische und soziale Rechte islamischer Frauen kämpfen, auf internationale Fördermittel zurückgreifen.

Gleichermaßen werden auch vom Mittleren Osten Geldmittel für konservative Aktivitäten zur Verfügung gestellt, wie beispielsweise der Veröffentlichung von Broschüren, die aus dem Arabischen ins Indonesische übersetzt werden und Einschränkungen für Frauen propagieren, wobei sie sich auf den Schutz ihrer Sittlichkeit berufen. Einflüsse von Außen spielen also eine wichtige Rolle im Kampf um die „Seele“ des indonesischen Islam.

Der Aufruhr im Inneren

Es lassen sich somit gegenwärtig einige widersprüchliche Tendenzen innerhalb des indonesischen Islam ausmachen – zumindest was die Frauen angeht. Diese Tendenzen spiegeln den demokratischen Umbruch wider, in dem sich Indonesien heute befindet, und die regionale Vielfalt, die aufblüht, seit man sich von der Zwangsjacke des “New Order“-Regimes befreit hat.

Offen ist weiterhin, welche Auswirkungen das Wiederaufleben des Islam auf nicht-muslimische Frauen (und Männer) hat. Manche – wie in Aceh – könnten sich unter Druck gesetzt fühlen, sich islamischen Standards anzupassen, oder gar zu Außenseitern in der eigenen Gesellschaft gemacht werden.

Balinesische Hindu-Frauen beispielsweise reagierten sehr vehement auf das Anti-Pornographie-Gesetz, das sie als Angriff auf ihre Kultur werteten. Einzig die Anstrengungen von islamischen Leitfiguren wir Farha Ciciek, die versuchen, die breitere Gemeinschaft mit einzubeziehen, werden Nicht-Muslimen ein Gefühl der Sicherheit in ihrer eigenen Identität geben.

In jedem Fall ist positiv anzumerken, dass sich in der islamischen Öffentlichkeit solche demokratischen Tendenzen entwickelt und etabliert haben. Nie zuvor wurde das Thema von Frauen im Islam so öffentlich diskutiert und nie zuvor haben indonesische Frauen eine derartig prominente Rolle dabei gespielt, den Islam zu interpretieren und die religiösen Vorstellungen und Praktiken der Menschen zu beeinflussen.

Susan Blackburn

Dr. Susan Blackburn ist Politikwissenschaftlerin und Professorin an der Monash-Universität Melbourne sowie Autorin des Buches “Frauen und Staat im modernen Indonesien“.

© Inside Indonesia 2011

Übersetzung aus dem Englischen von Susanne Kappe

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de