Emanzipation von europäischer Obhut

Die zwischen der EU und Tunesien vereinbarte Kooperation im Agrarbereich soll eingeschränkt werden. Darunter leiden kleinere Projekte, wie die Teppichweberei in El Kef. Audrey Parmentier zeigt, wie die Weberei trotz versiegender Gelder weiter arbeitet.

Die zwischen der EU und Tunesien vereinbarte Kooperation im Agrarbereich soll eingeschränkt werden. Darunter leiden vor allem kleinere Projekte, wie die Teppichweberei in El Kef. Audrey Parmentier zeigt, wie die Weberei trotz versiegender Gelder weiter arbeitet.

Foto: www.kelim-art.de
Trotz auslaufender Hilfsgelder will die Organisation El Kef den Kelimweberinnen auch weiter eine berufliche Perspektive bieten.

​​Eine winzige ehemalige Garage in einem Außenbezirk von El Kef, 200 Kilometer westlich von Tunis. Die Webstühle schnarren vor sich hin. Sie stehen dicht an dicht. Zwanzig junge Frauen sitzen hier auf engstem Raum nebeneinander.

Sie weben farbenprächtige Teppiche nach alten tunesischen Mustern, so genannte Kelims. Mehr als zwei Wochen brauchen sie, um nur einen Quadratmeter fertig zu stellen. Heraus kommen wahre Kunstwerke, die mittlerweile sogar über einen eigenen Katalog angeboten werden.

Khaula und ihre Kolleginnen sind froh, auf diesem Weg Arbeit gefunden zu haben. Denn die ist knapp in Tunesien, wo bis zu zwei Drittel aller jungen Menschen auf dem Land ohne Arbeit sind.

Die Geburtsstunde von El Kef

Mit vereinten Kräften hatten die nach der Ortschaft benannte Nichtregierungsorganisationen El Kef und das tunesische Landwirtschaftsministerium das Projekt einst mit Geldern der Europäischen Union ins Leben gerufen. Möglich wurde dies damals erst, nachdem Tunesien und die EU ein Assoziierungsabkommen unterzeichnet hatten – also im Jahr 1995.

Die Bewohner der umliegenden Dörfer wissen die präzise Arbeit der Weberinnen zu schätzen. Auf dem Markt, dem Souk von El Kef, finden die Teppiche reißenden Absatz. Und auch die Bestellungen per Katalog gehen gut.

Daran hätten die Weberinnen noch vor wenigen Jahren nie geglaubt. Für viele ist die Arbeit in dem EU-Entwicklungsprojekt der erste Job überhaupt. Die Frauen sind zufrieden – und das ist ihren strahlenden Gesichtern auch anzusehen.

Hilfe zur Selbsthilfe

Kemal Ben Kelifa dagegen hat noch viele Verbesserungs-Vorschläge. Der knapp Sechzigjährige ist eigentlich der Tierarzt des Dorfs und hatte das Projekt Mitte der 90er Jahre angeschoben: "Wir sind gerade dabei, eine komplette Vermarktungsstruktur zu schaffen.

Die Mädchen sind ausgebildet worden. Jetzt fangen sie an, Sachen zu produzieren, die man verkaufen kann. Um dieses Projekt weiter voranzutreiben und damit diese Mädchen durch ihre Arbeit wirklich Geld verdienen, muss man ein Verkaufszentrum gründen. Uns schwebt eine Genossenschaftszentrale vor."

Kemal ben Kelifa engagiert sich in vielen Entwicklungsprojekten. Genauso wie die Weberin Inès Azziza. Sie kommt jeden Tag von 8 bis 14 Uhr extra hierher, um den jungen Frauen beizubringen, wie man die traditionellen Muster webt. Alle haben sich für diese Kurse freiwillig angemeldet und sie kommen über Jahre.

Am Ende bekommen sie ein Zeugnis – das erhöht die Chancen auf einen der raren Arbeitsplätze in einem Land, in dem zwei Drittel aller jungen Menschen arbeitslos sind. Eine Garantie aber ist es nicht.

Die Begründer der Nichtregierungsorganisation El Kef sind trotzdem davon überzeugt, dass das Projekt den Frauen eine Perspektive eröffnet. Hafidha Kadhraoui von El Kef hat sich hohe Ziele gesteckt:

"Bei uns geht es um Hilfe zur Selbsthilfe. Wir wollen, dass alle Akteure hier im Ort sich daran beteiligen: die Frau, der Mann, die Institutionen – alle, die mitwirken können. Was das Handwerk betrifft, haben wir mit 15 Frauen angefangen. Mittlerweile sind es 70. Unser Ziel lautet: die Frauen in den Wirtschaftskreislauf zu integrieren und ihre Einkommen zu verbessern – für sie und ihre Kinder."

Demokratieförderung statt Landwirtschaftsprojekte

Das ist auch das Ziel der EU-Vertretung in Tunis. Die Armut auf dem Land zu bekämpfen sei das Wichtigste, sagt EU-Vertreter Giacomo Durazzo: "Tunesien hat enorme Fortschritte gemacht, was die Armutsbekämpfung betrifft.

Inzwischen leben nur noch 6 bis 8 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Vor ein paar Jahren noch war die Zahl doppelt so hoch. Es gibt aber eine Gruppe, die nur knapp über dieser Armutsgrenze lebt Das ist eine schmale Gratwanderung. Sollte es irgendwelche Schwierigkeiten geben, besteht ein hohes Risiko, dass diese Gruppe erneut unter die Armutsgrenze fällt."

Das ist der Grund, warum die EU in acht verschiedenen Regierungsbezirken Tunesiens Projekte finanziert. Immer in Zusammenarbeit mit dem tunesischen Landwirtschaftsministerium. Auf lokaler Ebene übernehmen kleine Nichtregierungsorganisationen die Verantwortung – so wie in El Kef. Denn sie sind näher an der Bevölkerung dran und kennen deren Bedürfnisse.

Ab 2007 jedoch sind viele dieser Projekte gefährdet, denn Brüssel hat die Finanzierung dafür aufgekündigt. Der Grund dafür ist, dass Tunesien die Bedingungen nicht erfüllt hat: mehr politische Reformen, mehr Demokratisierung, strikte Einhaltung der Menschenrechte. Außerdem ist die EU der Meinung, dass die ländliche Entwicklung in Tunesien inzwischen auch ohne Förderungsgelder weiter laufe.

Ausdehnung auf Märkte jenseits des Mittelmeers

Statt also weiter Agrarprojekte zu fördern, wollen Giacomo Durazzo und seine Kollegen jetzt vor allem zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen, welche die Demokratie vorantreiben. Die Weberinnen und ihre Helfer bedauern diesen Entschluss. Aber sie sind schon dabei, eigene Initiativen zu entwickeln – und das sogar im internationalen Maßstab.

Abdelkarim Chida, Präsident von El Kef, ist darauf sehr stolz: "Wir sind gerade dabei, den Besuch von einer Gruppe von Spanierinnen vorzubereiten – unter anderen ist die Präsidentin der 'Organisation der spanischen Landfrauen' dabei.

Es ist eine sehr dynamische Organisation, die sich um die spanischen Landfrauen und Bäuerinnen kümmert – und die sind längst nicht so zahlreich wie hier in Tunesien. Sie werden viel besser betreut. Die Regierung hat sie gebeten, einen internationalen Verein zu gründen. Inzwischen gehören dazu auch Deutsche und andere Europäer, viele Leute aus Lateinamerika. Für uns ist das eine tolle Chance, Kontakt nach außen zu bekommen und unsere Erfahrungen auszutauschen."

Die Weberinnen von El Kef jedenfalls sind fest entschlossen, ihre Teppiche künftig auch ohne die Hilfe der EU weiterzuverkaufen. Und demnächst vielleicht nicht mehr nur auf dem nächstgelegenen Markt im Ort - sondern auch auf den Märkten jenseits des Mittelmeers.

Audrey Parmentier

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005