"Bosnischer Islam" als Vorbild?

Wie lässt sich der Islam in Europa integrieren? Eine Antwort könnte das Modell des bosnischen Islam bieten. In der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart trafen Fachleute, um die Rolle des bosnischen Islam zu erörtern. Zoran Arbutina fasst die Diskussion zusammen.

Wie lässt sich der Islam in Europa integrieren? Eine Antwort könnte das Modell des bosnischen Islam bieten. In der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart trafen kürzlich Fachleute aus Religion, Wissenschaft und Politik zusammen, um die Rolle des bosnischen Islam zu erörtern. Zoran Arbutina fasst die Diskussion zusammen.

Moschee in Sarajewo; Foto: Fabian Schmidt, DW
Neu gebaute Moschee im Stadtteil Otoka in Sarajevo, Bosnien und Herzegowina

​​Obwohl die Migranten aus den muslimischen Ländern schon seit Jahrzehnten in Europa leben und dorthin einwandern, sind sie erst in den letzten Jahren ins Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit gerückt. Nicht zuletzt durch die Anschläge vom 11. September 2001.

Die Folge: Der Kampf gegen den Terrorismus rückte ganz oben auf die politische Agenda. Und auch Aussprüche wie "die islamische Gefahr" oder Zerrbilder über Muslime und ihre Religion wurden jetzt deutlich hörbarer.

Andererseits aber wuchs die Erkenntnis, dass der Islam ein Teil der europäischen Wirklichkeit geworden ist und in die mehrheitlich christliche Gesellschaft integriert werden soll. So begann die Suche nach dem so genannten "europäischen Islam".

Ein europäischen Normen angepasster Islam

Findig ist man in Bosnien-Herzegowina geworden. Schon seit Jahrhunderten wird dort die islamische Religion praktiziert, bereits zu Zeiten der osmanischen Eroberungen, wenn auch in gemäßigter Form.

Auch hat man in diesem osteuropäischen Land längere Erfahrungen mit dem Leben in einer multireligiösen Gesellschaft, erklärt Prof. Thomas Bremer vom Ökumenischen Institut der Universität in Münster. Er glaubt, dass die Besonderheiten des bosnischen Islam darin liegen, dass es eine lange Erfahrung des Zusammenlebens mit Christen gegeben hat:

"Die bosnischen Muslime haben viele Jahrhunderte im Osmanischen Reich zusammen mit Katholiken, Orthodoxen und auch mit Juden gelebt und haben auch in der jugoslawischen Zeit nach 1918 einen speziellen Ansatz entwickelt, der offen für den Dialog mit anderen Religionsgemeinschaften ist. Sie haben auch ein sehr starkes Bewusstsein dafür, dass sie einen Islam entwickeln müssen, der zu den europäischen Normen und Werten passt.”

"Mein Sultan sitzt in Brüssel!"

Diese Tradition spiegelt sich auch in der heutigen Zeit wieder. Der oberste Vertreter der bosnischen Muslime, der Großmufti von Sarajevo, Reis-ul-Ulema Mustafa efendi Ceric, sagte neulich: "Mein Sultan sitzt nicht im Osten, mein Sultan sitzt in Brüssel!"

Die Botschaft bosnischer Muslime heißt "Wir sind Europäer", meint denn auch Munir Hodzic, Imam der Bosniakischen Gemeinde in Frankfurt am Main: "Wir sind nicht nach Osten orientiert, wie viele denken, unsere Perspektive ist der Westen. Unsere Zukunft liegt in den europäischen Integrationsprozessen. Wir sind ein Teil von Europa, da sind wir geboren und niemand kann uns woanders hin verpflanzen. Wir sind hier!”

Das ist auch ein wichtiges Argument in der Diskussion darüber, ob der Islam überhaupt in Europa seinen Platz hat, glaubt Lale Akgün, Integrationsbeauftragte der Sozialdemokratischen Fraktion des deutschen Bundestages: All diejenigen, die sagen, dass Europa und der Islam nicht zusammengehören, werden schon dadurch ad absurdum geführt, dass mitten in Europa Muslime leben – und zwar völlig unproblematisch mit ihren Nachbarn und miteinander, so Lale Akgün.

Nach den zahlreichen terroristischen Anschlägen im Namen des Islam, auch mitten in Europa, setzte man vielerorts die Muslime pauschal mit Extremisten gleich. Auch um dieser Stimmung entgegenzuwirken, stellt die bosnische Erfahrung des Islam eine attraktive Alternative dar.

Die Phänomene, die man als Fundamentalismus oder Islamismus kenne, gebe es eigentlich in Bosnien nicht, meint denn auch Thomas Bremer, oder wenn, dann zumindest recht sporadisch. Der bosnische Islam stehe vielmehr für Offenheit und Dialogfähigkeit.

Partner der lokalen Behörden

Eine Besonderheit des Islam in Bosnien ist auch seine einheitliche Organisation. An der Spitze dieser islamischen Gemeinschaft steht der "Reis-ul-Ulema", als gewählter und von allen anerkannter oberster Mufti.

Ahmet Alibasic, Professor an der Fakultät für Islamwissenschaften in Sarajevo und Direktor des dortigen Instituts für interreligiöse Studien, ist überzeugt davon, dass auch diese Erfahrung für Europa sehr wichtig sein könnte:

"Ich glaube, dass das Konzept der bosnischen islamischen Gemeinschaft als eine Organisation für alle Muslime in einem Land, die ein Partner der lokalen Behörden darstellt und dennoch unabhängig ist, ihr die Glaubwürdigkeit sichert und sie dadurch selbst glaubwürdig macht", so Ahmet Alibasic.

"Dann werden sich die lokalen Muslime nicht nach transnationalen religiösen Autoritäten aus dem Jemen oder anderswoher orientieren, die ihnen Vorschriften erteilen, mit denen sie im westlichen Kontext wenig anfangen können."

Diese Ideen sind auch für die deutschen Behörden sehr interessant, obwohl das bosnische Modell des Islam in einem historischen Kontext entstanden ist und deswegen nicht unverändert hierzulande übertragen werden kann.

Grundlage für eine Integration des bosnischen Islam ist aber immer zuerst die ausreichende Sprachkenntnis. Selbst in Deutschland lebende und predigende Imame können in der Regel miteinander nicht kommunizieren, weil die meisten der deutschen Sprache nicht mächtig sind.

Bosnische Imame, die ihren Gläubigen immer wieder sagen: "Integriert euch!", haben schon vor Jahren angefangen, Religionsunterricht für Kinder in deutscher Sprache zu geben. Inzwischen arbeitet man zusammen mit deutschen Behörden an einem Projekt, erklärt Ferid Kugic, Imam der Bosniakischen Gemeinschaft in Stuttgart:

"Dabei geht es um die Ausbildung der Imame, die in Deutschland geboren und hier zur Schule gegangen sind. Sie sollen hier studieren, einschließlich eines Studienaufenthaltes in Sarajevo. Also, es ist nicht wichtig, ob das ein Araber ist, oder ein Afghane oder Bosniake. Wichtig ist, dass der Unterricht und die ganze Kommunikation in deutscher Sprache stattfinden. Dann kann aus allen diesen Nationalitäten ein so genannter "deutscher Islam" entstehen.

Zoran Arbutina

© DEUTSCHE WELLE 2007

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