Ein schmerzhafter, aber kein anti-türkischer Film

In einem Berlinale-Special hatte der neue Film der italienischen Regisseure Paolo und Vittorio Taviani Weltpremiere. Thema ist der Völkermord an den Armeniern. Panagiotis Kouparanis hat mit den beiden Filmemachern gesprochen.

In einem Berlinale-Special hatte der neue Film der italienischen Regisseure Paolo und Vittorio Taviani Weltpremiere. Sein Thema ist der Völkermord an den Armeniern. Panagiotis Kouparanis hat sich den Film angesehen und mit den beiden Filmemachern gesprochen.

​​Osmanisches Reich im Jahre 1915. In einer verstaubten Kleinstadt irgendwo in der anatolischen Provinz feiern im Haus der wohlhabenden armenischen Familie Avakian Türken, Griechen und Armenier gemeinsam. Es herrscht ausgelassene Fröhlichkeit.

Mehr noch: Die Tochter des Hauses ist in einen jungen türkischen Offizier verliebt, der sie anbetet, und der Vater pflegt einen respektvollen und freundschaftlichen Umgang mit dem türkischen Militärgouverneur.

Nur wenige Minuten später wandelt sich die Szene radikal. Die Armenier, die zu sehen waren, werden zu Opfern, die Türken zu Tätern. Aber - nicht alle.

Das Grauen kommt mit kleinen Gesten und potenziert sich schlagartig ins Unermessliche: Anfangs weigern sich die Knechte des Hauses, ein Piano aus dem Wagen zu laden, weil sie angeblich zu müde seien.

Schon am nächsten Tag gießt ein türkischer Soldat eine Suppenschüssel auf dem angerichteten Esstisch aus, und eine Szene später schlägt ein türkischer Offizier dem verdutzten Hausherrn den Kopf ab, den er dessen Ehefrau in den Schoß wirft, die gegen dieses Grauen nur stumm anschreien kann.

Kein Dokumentarfilm

Obwohl alle Begebenheiten dokumentiert sind, betont Paolo Taviani, dass man keinen Dokumentarfilm gedreht habe:

Paolo und Vittorio Taviani; Foto: Berlinale
Die Regisseure Paolo und Vittorio Taviani

​​"Wir sind Filmemacher, wir sind keine Historiker. Deshalb äußern wir uns nicht zu der Frage, ob es ein Völkermord oder ein Massaker war. Unser Film nimmt gelebte Realität zum Ansatz und fügt Einbildung und Phantasie hinzu, wie es eben das Wesen des Spielfilmes ist."

Grundlage des Films "Das Haus der Lerchen" ist der gleichnamige Roman von Antonia Arslan. Darin beschreibt die im italienischen Padua lebende Literaturprofessorin die Geschichte ihrer eigenen Familie.

Dass dieser Film auch in der Türkei gezeigt werden soll, hält Vittorio Taviani für wichtig.

"Wir wissen, dass dieser Film ein sehr schmerzhaftes Erlebnis sein wird, so wie es bei uns in Italien die Filme des Neorealismus nach dem Kriege waren, in denen wir sahen, wie der italienische Faschismus Italiener und auch Juden quälte und bestialisch tötete. In Deutschland ist es wiederum auch nicht einfach, die Filme über die Nazizeit zu sehen. Aber früher oder später muss man diesen Schritt gehen", so der Regisseur, der wie sein Bruder ein Befürworter des EU-Beitritts der Türkei ist.

Gedämpfte Reaktion

Die Reaktion von türkischer Seite auf der Berlinale war gedämpft. Atilla Dorsay zum Beispiel, ein renommierter türkischer Filmkritiker, hatte hauptsächlich inhaltliche Einwände, die auch von den meisten seiner deutschen Kollegen geteilt werden.

Er hält den Film für ausgewogen. Er zeige auch die guten Türken, die nicht mit dem Abschlachten einverstanden seien, die versuchten, den Armeniern zu helfen.

"In diesem Sinne ist es kein antitürkischer Film, er hält die Balance", sagt Dorsay. "Aber es ist kein guter Film, weil er nicht immer zu überzeugen vermag. Und mit Ausnahme von einigen Szenen bleibt nichts im Gedächtnis haften. Als Türke sage ich aber, dass solche Filme gedreht werden sollten."

Panagiotis Kouparanis

© DEUTSCHE WELLE 2007

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