Gegen Abschottung und Blockadedenken

Nicht nur Deutschland feiert 20 Jahre Mauerfall. Auch der Jemen überwand 1990 seine Teilung. Doch die jemenitische Einheit ist brüchig. Das Goethe-Institut bringt in Sanaa Künstler aus beiden Landesteilen zusammen. Klaus Heymach informiert.

Aufbau von Künstlerexponaten vor dem Nationalmuseum in Sanaa; Foto: Klaus Heymach
Insgesamt nahmen acht Künstlerinnen und Künstler aus dem Jemen an dem Projekt Mauerreise des Goethe-Instituts teil. Ihre Mauerexponate sind noch bis zum 25. Juni im Nationalmuseum von Sanaa zu sehen.

​​ Im Hof des Nationalmuseums von Sanaa mischen sich Nord und Süd, als sei die jemenitische Einheit beispielhaft vollendet. Die Kulisse gehört unverkennbar in den Norden: Hochhäuser aus gebrannten Lehmziegeln, ihre Fenster verziert mit weißem Gips.

Die Folklore, die aus dem Kassettenrekorder dudelt, stammt dagegen aus dem Süden: Der Sänger mit der Laute kommt aus der Nähe von Aden. Die Künstler, die hier mit Acryl und Ölfarbe ihre Leinwände bemalen, arbeiten Hand in Hand: die schwarz verschleierte Malerin aus Sanaa Seite an Seite mit dem Bildhauer aus Aden.

"Wir haben viele Gemeinsamkeiten, wir wurden im gleichen Jahr vereinigt", sagt der Maler Kamal al-Makrami, der aus Aden stammt. Er findet das vor allem deswegen so spannend, weil er selbst schon einmal in Deutschland war und die Geschichte der Teilung kennt.

Über die Grenzen hinweg - Projekt Mauerreise

Acht Künstler hat das Goethe-Institut in Sanaa zusammengebracht: vier aus dem einst sozialistischen Südjemen und vier aus dem Norden. Ihre Aufgabe: die Gestaltung von Mauersteinen. Die mit Leinwand bespannten Styroporblöcke stehen symbolisch für die Berliner Mauer. Am 9. November sollen sie in Deutschland wie Dominosteine vor dem Brandenburger Tor fallen.

Maler Kamal al-Makrami; Foto: DW/Heymach
Dem Maler Kamal al-Makrami geht es bei der Gestaltung der Mauersteine auch um die jemenitische Vergangenheit. Schließlich gebe es Checkpoints auch im Jemen, so al-Makrami.

​​ Auf seinen Mauerstein malt Makrami eine Faust, die eine schwarz-rot-goldene Flagge umfasst. Auf die Rückseite kommen zwei Ölfässer. "Die sollen an den Checkpoint Charlie in Berlin erinnern", erklärt der 48jährige. "Aber zugleich geht es mir auch um die jemenitische Vergangenheit, denn Checkpoints gibt es hier auch."

Im gleichen Jahr wie die Bundesrepublik und die DDR schlossen sich ganz im Süden der Arabischen Halbinsel auch zwei völlig unterschiedliche Staaten zur Republik Jemen zusammen: der einst sozialistische Südjemen mit der Hauptstadt Aden und die von konservativ-islamischen Stämmen geprägte Republik mit der Hauptstadt Sanaa im gebirgigen Norden.

"Gottlose Biertrinker" und "rückständige Stammeskrieger"

So wie es in Deutschland Differenzen zwischen Ossis und Wessis gibt, lästern auch die Jemeniten übereinander: Die Sozialisten im Süden gelten als "gottlose Biertrinker", umgekehrt ziehen die Bewohner des Südens über die "rückständigen Stammeskrieger" im Norden her.

Nordjemenitischer Stamm; Foto: DW/Heymach
Manche Stammestraditionen, die Rolle der Religion und die Stellung der Frau im Norden sind al-Makrami, der aus Aden kommt, völlig fremd. Doch die Reise nach Sanaa tritt der Künstler häufig an.

​​ Auch der Maler Makrami kommt sich in dem von Krummdolchträgern bevölkerten Sanaa oft noch wie ein Fremder vor. "Es gibt riesige Unterschiede zwischen Aden und Sanaa", sagt er.

"Vor der Vereinigung waren das die Hauptstädte von zwei unterschiedlichen Ländern. Ich bin viel durch Europa gereist damals, aber im Nordjemen bin ich nie gewesen." Doch der Maler fühlt sich nicht nur fremd. Ihn belastet auch das Gefühl der Benachteiligung: Jetzt nach der Vereinigung dominiere der Norden, klagt er:

"Wir im Süden mussten unsere Traditionen aufgeben, Frauen müssen sich heute verschleiern, vieles hat sich geändert für uns."

Wirklich eins ist der Jemen nie geworden. Zwar gelang es dem seit drei Jahrzehnten amtierenden Präsidenten Ali Abdullah Saleh bis heute, das Land zusammenzuhalten, indem er Geld und Ämter verteilte. Doch das wird schwieriger, denn die Ressourcen gehen aus.

Schwere Zeiten für Jemens Sozialisten

Der Jemen ist eines der ärmsten Länder der Welt, Öl und Wasser werden knapp. Das sorgt vor allem im Süden für Unmut, wo die letzten Ölvorräte liegen, aber wenig von den Einnahmen ankommt. Diese Kombination aus Wirtschaftskrise und Misstrauen führte bereits vor 15 Jahren dazu, dass die Sozialisten wieder die Abspaltung erklärten - Auftakt für einen Bürgerkrieg, in dem der Norden endgültig über den Süden siegte.

Plattenbauten in Aden; Foto: DW/Heymach
Rückfall um Jahrzehnte: "Die Machthaber haben den Süden lange als ihr Eigentum betrachtet" - Aden, die einstige Hauptstadt des sozialistischen Südjemen.

​​ Wer heute die Zentrale der Sozialisten in Sanaa besucht, kann erahnen, wie wenig Macht die Partei noch hat. Das Gebäude ist heruntergekommen, der große Sitzungssaal verwaist. Abspaltung sei für seine Partei heute kein Thema mehr, versichert Fraktionschef Aiderus an-Nagib.

Über die Proteste im Süden, wo bereits Hunderttausende auf die Straße gingen, habe seine Partei keine Kontrolle. Die Regierung müsse dringend handeln. "Die Machthaber haben den Süden lange als ihr Eigentum betrachtet", sagt er.

"Sie haben sich Ländereien und Besitz unter den Nagel gerissen und die Menschen vertrieben. Mit dieser Ungerechtigkeit muss jetzt Schluss sein."

Die Regierung müsse Ämter, Land und Immobilien an jene zurückgeben, denen sie gehören, fordert Nagib. Mehr als 200.000 Beamte und Soldaten dürften seit dem Bürgerkrieg nicht mehr zur Arbeit gehen.

Proteste gegen die Einheit

"Sie müssen endlich ihre Jobs zurückerhalten und für die letzten 15 Jahre entschädigt werden." Lange hat Präsident Saleh diese Forderungen ignoriert. Doch die Proteste im Süden werden immer lauter, das Militär schießt scharf auf die Demonstranten. Nun warnt Saleh selbst davor, das Land könne in Stämme und Clans zerfallen, sollte Aden sich tatsächlich abspalten.

Während in Sanaa noch die Mauersteine bemalt werden, gehen in Aden wieder Tausende auf die Straße und protestieren gegen die Einheit. Der 20. Jahrestag der Vereinigung im kommenden Jahr sei nicht nur Grund zur Freude, das sagt auch der Maler Makrami, als er die Faust auf seiner Leinwand skizziert.

"Manche werden feiern, andere nicht, da bin ich sicher." Doch welchen Ausweg gibt es aus der Krise? "Jene, die die Macht in ihren Händen haben, müssen an ihr Land denken", sagt Makrami. "Sie müssen einfach mal überlegen: Was wir tun – ist das gut für unser Land, oder nur gut für uns? Dann werden sie ganz schnell den Ausweg finden", sagt der Maler.

Klaus Heymach

© Qantara.de 2009

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Das Projekt Mauerreise im Jemen