Plädoyer für mehr Demokratie und Transparenz

Um als Organisationsform handlungsfähiger und akzeptabler für den deutschen Staat und die Gesellschaft zu werden, bedarf es einer strukturellen Neuorientierung muslimischer Organisationen, argumentiert Aiman A. Mazyek.

Um als Organisationsform handlungsfähiger und akzeptabler für den deutschen Staat und die Gesellschaft zu werden, bedarf es einer strukturellen Neuorientierung muslimischer Organisationen, argumentiert Aiman A. Mazyek, Chefredakteur des Webportals islam.de und ehemaliger Pressesprecher des Zentralrats der Muslime in Deutschland.

Aiman Mayzek, Foto: privat
Aiman A. Mayzek fordert gemeinsame Ansprechpartner für Muslime in Deutschland und einen Demokratisierungsschub in den muslimischen Verbänden

​​Wenn in Deutschland Vertreter aus Politik und Gesellschaft nach dem Pendant zum Zentralrat der Juden oder der Katholischen Bischofskonferenz bei den Muslimen gefragt werden, wird deutlich, dass die Muslime gegenwärtig noch nicht soweit sind, eine einheitliche Plattform zu präsentieren.

Konflikte um Ansprechpartner und Meinungsführer

Seit Jahren ist das ein willkommener Grund, dass sich die Politik aus der Verantwortung stiehlt – mit dem Hinweis, die Muslime sprächen nicht mit einer Stimme. Abgesehen davon, dass dies die Christen in Deutschland auch nicht tun, werden dadurch Themen wie z.B. Integration, Religionsunterricht oder gesellschaftliche Mitspracherechte von Muslimen einfach unter den Tisch gekehrt. Dadurch werden die Probleme jedoch nicht gelöst.

An diesem Dilemma haben auch muslimische Funktionäre ihren Anteil, weil sie in der Vergangenheit keine nennenswerten Weichen gestellt haben, um die Frage zu klären: Wie schaffen es die Muslime in Deutschland, dass ihre Strukturen unter dem Dach eines gemeinsamen Ansprechpartners künftig demokratischer und transparenter werden?

Nicht selten wurde in Talkshows, Interviews oder von Seiten einiger Politiker versucht, den Vorsitzenden des Islamrats in Deutschland (IR), der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) und dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) Begehrlichkeiten zur Meinungsführerschaft zu entlocken. Oft mit Erfolg.

Auf der Suche nach Vertretern eines "Islam light"

Während IR und ZMD sich in den letzten Monaten in dieser Hinsicht auffallend zurückhaltend äußerten, verkündete die DITIB in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. Februar dieses Jahres: "Wir sind bereit, alle Muslime in Deutschland zu vertreten."

Dieses Selbstbewusstsein ist sicherlich auch eine Folge manch verlockender Töne aus der Politik, die in der DITIB - den neuen Prototypen eines "Islam light" zu entdecken glaubt. Zuvor hatte dies lange Zeit der Zentralrat für sich beansprucht.

Doch damit wird weder die Frage nach einem gemeinsamen Ansprechpartner auf Bundesebene beantwortet, noch der so dringend benötigte Demokratisierungsschub in den muslimischen Verbänden eingeleitet.

Von ihrer theologischen Ausrichtung sind die Verbände und deren angeschlossene Moscheegemeinden kaum unterscheidbar – sie halten weitestgehend an den klassischen Rechtsschulen fest. Das deutsche Grundgesetz ist längst anerkannt, praktisch aber haben die Gemeinden erst in den letzten Jahren damit begonnen, Muslimsein in einer pluralistischen, europäischen Gesellschaft religiös-theologisch zu thematisieren und auf der Grundlage des Grundgesetzes zu reflektieren.

Islamische Charta als Wegweiser

Die Islamische Charta des Zentralrats der Muslime ist ein wichtiger Wegweiser dessen, zeigt aber auch gleichzeitig, dass dieser Prozess sich noch in den Anfängen befindet.

Zudem ist er Gegentendenzen, wie etwa der ideologischen Segregation oder der geistigen Abschottung, innerhalb der muslimischen Community ausgesetzt. Diese sind nicht zuletzt auch ein Resultat der zunehmenden Unsicherheit, welche die Muslime hierzulande spüren – nämlich nicht in dieser Gesellschaft angekommen zu sein.

Neben diesen Problemen wird deutlich, dass kaum ein führender Vertreter der Verbände deutlich machen kann, wie es mit dem Islam in Deutschland weitergehen soll. Vonnöten ist eine Art Vision, wie ein zeitgemäßer Islam hier in Deutschland gelebt und vor allem vorgelebt werden kann.

Hier obliegt insbesondere deutschen Muslimen eine führende Rolle. Allerdings werden sie sowohl in der deutschen Gesellschaft wie auch in der muslimischen Community als "Paradiesvögel" wahrgenommen – entweder als so genannte "Vorzeige-Muslime" oder als "geistig bzw. kulturell verirrte" Deutsche.

Weitere Ursachen liegen in den heutigen muslimischen Moscheestrukturen. Natürlich sind diese Probleme nicht immer hausgemacht - Vorurteile, Islamphobie und der fehlende "Goodwill" seitens der Politik erschweren diesen Prozess erheblich.

Oft ist es auch so, dass die Verantwortlichen der Verbände und Moscheegemeinden überproportional der ersten Generation der Einwanderer entstammen. Die erste Generation der Muslime hat in den "Gründerzeiten" eine Menge auf sich genommen.

Fehlende Mitbestimmung der jüngeren Generation

Sie haben die Moscheen, die heutige "islamische Infrastruktur" gebaut, sind gleichzeitig ihrer Arbeit oder Ausbildung nachgegangen und haben Familien gegründet. Doch mit der Zeit haben sie neuen, unverbrauchten Kräften immer weniger Platz eingeräumt.

Die jüngere Generation muss oft mit ansehen, wie ihnen, trotz erfolgreicher Karriere im Berufsleben und eines teilweise wesentlich höheren Bildungsniveaus, das Recht auf Mitbestimmung in ihrer eigenen Community nicht gerade erleichtert wird. Eine für die muslimischen Gemeinden so dringende Erneuerung größeren Ausmaßes blieb somit bisher aus.

Auch schleppen einige Moscheegemeinden weiterhin historische Altlasten mit sich: Oft importierten deren Vertreter religiös-politische Ansichten bestimmter Bewegungen aus ihren Heimatländern in die Gemeinden. Während ihres Exil- und Studentendaseins, insbesondere in den 70er und 80er Jahren, verloren sie ihre politischen Vorstellungen kaum aus den Augen.

Die Vermengung von religiösen und sozialen Aufgaben auf der einen Seite und die Unterstützung von Aktionen für politische Veränderung jenseits der deutschen Grenze in den unterschiedlichsten Formen - von der Gründung von Parteien bis hin zum Zusammenschluss von Geheimbünden - konnte auf langer Sicht nicht gut gehen.

Diese Aktivitäten, die fast immer auf das Herkunftsland fixiert waren, gingen zumeist an den religiösen Bedürfnissen der anwachsenden hiesigen Community vorbei. Doch erfreulicherweise haben sich viele der Moscheegemeinden mittlerweile davon verabschiedet.

Defizite der islamischen Verbände

Auf der anderen Seite können die unter ausländischer (staatlicher wie nichtstaatlicher) Einflussnahme stehenden Verbände in Deutschland, wie z.B. die DITIB, auch keine wirkliche Alternative darstellen, wenn sie ihre Strukturen nicht an deutsche Vorgaben anpassen.

Sie sind aufgrund der strukturellen Fremdbestimmung kaum in der Lage, die Frage nach einem einheitlichen Ansprechpartner befriedigend zu lösen. Die DITIB scheint dieses Problem inzwischen erkannt zu haben, und deren Dialogbeauftragter spricht zumindest bei seinen öffentlichen Auftritten von einem Wandel in naher Zukunft.

Ein anderes Beispiel ist der Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ). Dieser war als zahlenmäßig größter Mitgliedsverband im Jahr 2000 aus dem ZMD ausgetreten.

Die Gründe dafür lagen darin, dass nach dem Tod ihres Führers in der Türkei der dortige Führungskader den alten Vorstand in Deutschland fristlos entließ und der aktiv betriebene Dialog mit den Kirchen und der Gesellschaft zum Schaden der Muslime eingestellt wurde.

Verbände als Spielball politischer Interessen

Einige Vertreter in den Verbänden haben nun erkannt, dass sie alleine wenig ausrichten können, nicht selten zum Spielball politischer Interessen wurden und teilweise immer noch erhebliche demokratische Defizite in ihren eigenen Strukturen aufweisen.

Sie folgerten, dass man nur gemeinsam etwas unternehmen kann: So fand am 26. und 27. Februar 2005 in Hamburg zum ersten Mal eine Tagung statt, auf der fast alle großen muslimischen Verbände, mitwirkten: der Zentralrat, der Islamrat und der Verband Islamischer Kulturzentren. Sie diskutierten die Frage, wie neue Strukturen zur innerislamischen Arbeit und der Repräsentanz von Muslimen in Staat und Gesellschaft vorbereitet werden sollten.

Die DITIB blieb dieser Veranstaltung trotz des starken Werbens des Zentralrates im Vorfeld fern, aber auf lange Sicht dürfte sich die DITIB dem Einheitsgedanken der Muslime nicht verschließen können, zumal ZMD, IR und VIKZ gemeinsam die Mehrheit der "organisierten Muslime" ausmachen und die eigene Basis der DITIB schon immer auf lokaler Ebene mit den anderen Moschee kooperiert.

Eine so genannte Steuerungsgruppe wurde damit beauftragt, auf dieser Grundlage eine konsensfähige Struktur zu erarbeiten, die nach Möglichkeit innerhalb eines Jahres verwirklicht werden sollte.

Zusammenschlüsse und Muslimparlament

Die Ideen reichen von einem etwaigen Zusammengehen der Verbände bis zu einem "Muslimparlament", welches sich aus demokratisch gewählten Vertretern aus den jeweiligen Moscheegemeinden zusammensetzt.

Am Ende eines sicherlich noch steinigen und mit vielen unverhofften Detailfragen ausgewiesenen Weges - insbesondere scheint die föderale Gestaltung auf Länderebene ein Knackpunkt zu sein - wird wohl eine Mischform zu Stande kommen.

In der neuen Struktur werden die Spitzenverbände (insbesondere ZMD und IR) "ihre Schuldigkeit getan haben" und die in den 70er und 80er Jahren organisch gewachsenen Organisationen, wie die türkischen, bosnischen und arabischen Verbände, werden zugunsten neuer demokratisch legitimierter Landes- und Bundeskammern an Bedeutung verlieren.

Dadurch wird schließlich die neue Organisationsform handlungsfähiger und transparenter für den deutschen Staat und die Gesellschaft. Ob sie dann auch anerkannt wird, ist eine andere Frage. Die Muslime sind heutzutage nicht so naiv, an einen Automatismus zu glauben.

Demokratisierung und Vereinheitlichung sind keine Garantien dafür, als Ansprechpartner auch letztlich anerkannt zu werden. Denn dafür bedarf es des politischen Willens, der heute in Berlin und in den anderen Landeshauptstädten kaum ausgeprägt ist.

Demokratische Strukturen und Transparenz sind aber Garanten dafür, dass die muslimische Community den modernen Herausforderungen in diesem Land standhalten und ihre ureigene Aufgabe als Religionsgemeinschaft – nämlich die religiöse Betreuung – adäquat erfüllen kann. Dafür lohnt es allemal, den Weg der Einheit und Demokratie fortzuschreiten. Und für die Muslime speziell lohnt es sich nicht nur, es ist eine dringend gebotene und existentielle Notwendigkeit.

Aiman A. Mazyek

© Qantara.de 2005

Aiman Mazyek ist Chefredakteur des deutsch-islamischen Webportals islam.de und stellvertretender Vorsitzender der Grünhelme. Er war früher Pressesprecher des Zentralrats der Muslime in Deutschland.

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