Kick it like FC Karame!

Seit 1978 existiert der palästinensische Fußballclub FC Karame in Berlin. Ein Verein der arabischen Jugendlichen nicht nur alles rund um den Ball vermittelt, sondern ihnen auch Diskussionsforen und Lebensorientierung in Deutschland bietet. Ursula Trüper stellt den Verein vor.

Foto: AP

​​Gelaal steht im Tor und hat nichts zu tun, denn die Action findet im gegnerischen Strafraum statt. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als vor Erregung von einem Bein aufs andere zu hopsen und das Spiel zu kommentieren. "Jawoll, gut, Hussein! Schieß Yusouf! Jaaa, schöne Aktion!!!"

Eine eher hässliche Ecke im Berliner Bezirk Wedding. Ringsum wuchtige Wohnblöcke aus den 70er Jahren. Im Hintergrund ein S-Bahnhof, von dem das Geratter der Waggons herüberdringt. Außerdem der Lärm der Flugzeuge, denn der Platz liegt in der Einflugschneise des Flughafens Tegel. Früher spielte Hertha BSC auf diesem Platz. Jetzt trainiert hier regelmäßig die D-Jugend des FC Karame.

Gelaal ist 13 Jahre alt, besucht ein Gymnasium und ist in Berlin geboren. Er hat die deutsche Staatsangehörigkeit, aber, so betont er, "ich bin ein Palästinenser." Seinen Fußballclub findet er toll: "Die Mannschaft passt zu mir, weil die meisten Mitglieder Araber sind."

Tradition aus Flüchtlingslagern

Auch sein Vater macht mit beim FC Karame, bei den "alten Herren". Er ist so etwas wie die Verkörperung der Vereinstradition: "Diese Mannschaft hat schon im Libanon existiert", erzählt er. "Jedes Flüchtlingslager hatte eine Mannschaft und die haben dann immer gegeneinandergespielt. Also das Flüchtlingslager Taal Zataar gegen das Flüchtlingslager in Sidon oder das Flüchtlingslager in Tripoli."

Die Mannschaft von Taal Zataar hieß "Karame" - ein arabisches Wort, das mit "Ehre" oder "Würde" übersetzt werden kann. "Die Würde des Menschen ist unantastbar" steht heute auf dem Vereinslogo.

Ein Pfiff vom Schiedsrichter. Ein Junge von Karame hat einen gegnerischen Spieler angerempelt. "War doch nicht mit Absicht!", ruft ein Zuschauer. Der Rempler hilft seinem Gegner auf die Beine und reicht ihm zur Entschuldigung die Hand. Das rettet ihn zwar nicht vor dem Elfmeter, aber so gehört es sich nun mal unter Sportsleuten.

Erster Vorsitzender des FC Karame ist Mohamad Zaher. Er und Gelaals Vater kennen sich schon lange. Beide sind in libanesischen Flüchtlingslagern aufgewachsen. Ihre Lebensgeschichten sind – wie bei den meisten Palästinensern ihrer Generation - untrennbar mit dem Nahost-Konflikt verknüpft.

Zaher z.B. kommt 1949 in dem Dorf Tira bei Haifa zur Welt, ein Jahr nach der Gründung des Staates Israel. Sein Vater ist ein Bauer, der Oliven anbaut und mit Öl handelt. 1948 überfallen israelische Militäreinheiten sein Heimatdorf. "Nicht ein einziger ist geblieben", berichtet Zaher: "Die sind alle geflohen - viele nach Jordanien, Syrien oder in den Libanon."

Über eine halbe Million Palästinenser wurden damals vertrieben. Die Zahers gingen nach einem kurzen Aufenthalt in Syrien schließlich in den Libanon. Dort, im Flüchtlingslager Taal Zataar, wächst der junge Mohamad auf, entdeckt das Fußballspiel für sich und macht schließlich eine Ausbildung als Sportlehrer. 1970 geht er zum Studium nach Deutschland.

Bald danach bricht der libanesische Bürgerkrieg aus. Mehr als ein Jahrzehnt liefern sich der Staat Israel, die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO und verschiedene libanesische Gruppierungen einen blutigen Machtkampf. Vielen Palästinensern bleibt nichts als die Flucht. Nur in den Ostblock können sie problemlos einreisen. Das Schlupfloch ist der Ostberliner Flughafen Schönefeld.

Die Geburtsstunde des FC Karame

"Und dann ging es durch die Friedrichstraße in den Westen", erinnert sich Gelaals Vater. "Dort haben wir erst mal Asyl beantragt. Es war leichter als heute, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Damals gab es genug Arbeit. Jeder, der hier reinkam, hatte die Möglichkeit zu arbeiten und hat auch gearbeitet."

Die meisten palästinensischen Flüchtlinge bleiben gleich da. Heute existiert in Berlin die größte palästinensische Gemeinde in Deutschland, mit 20.000 bis 25.000 Mitgliedern.

Nicht nur Erwachsene, sondern auch immer mehr unbegleitete Jugendliche trafen damals in Berlin ein. "Diese Jugendlichen hatten bisher nur in einer Bürgerkriegsatmosphäre gelebt", berichtet Zaher. "Sie hatten erfahren: Wer stärker ist, hat Recht. Und nun sollten sie von einem Tag auf den anderen lernen, dass sie rote und grüne Ampeln beachten müssen."

Die erwachsenen Palästinenser fühlen sich für sie verantwortlich. "Wir dachten, warum gründen wir nicht eine Fußballmannschaft, damit sich diese Jugendlichen beschäftigen können und sich besser in die Gesellschaft integrieren?"

Und die sind von der Idee begeistert und so wird 1978 der FC Karame in Berlin neu gegründet. Viele der inzwischen erwachsen gewordenen Jugendlichen sind ihrem alten Fußballverein treu geblieben. Neben der D-Jugend und den "alten Herren" gibt es auch noch zwei Herren-Mannschaften.

Training und Lebenshilfe für Jugendliche

Seit einigen Jahren bietet der Fußballverein offene Jugendarbeit an, auch für Mädchen. Er bietet den jungen Leuten einen Ort, wo sie offen diskutieren können. Zum Beispiel über die Palästina-Politik des Staates Israel. "Wenn ich mir das so ansehe im Fernsehen, was dort passiert, das ist wirklich furchtbar", sagt Gelaal empört. "Wenn ich könnte, würde ich das alles verhindern. Aber das geht nicht."

Die deutschen Lehrer seien den jungen Palästinensern oft keine große Hilfe, mit ihren Gefühlen von Hilflosigkeit und Zorn umzugehen, so Zaher. Viele von ihnen hätten den Eindruck, dass ihre Lehrer sich undifferenziert mit der israelischen Position identifizieren. Und glauben ihnen dann auch nicht, wenn sie im Geschichtsunterricht von der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland hören.

Hier versucht Zaher, einzugreifen. "Wir versuchen, mit den arabischen Jugendlichen in Berlin zu diskutieren über die Geschichte der Juden in Deutschland. Und was der Unterschied ist zwischen der Scharon-Politik in Palästina und den Juden, die damals in Deutschland gelebt haben."

Fairness als oberstes Gebot

"Fowl!" brüllt Gelaal jetzt, "Fowl!!!" Ein Junge aus der gegnerischen Mannschaft hat einem Spieler von Karame ein Bein gestellt. Der ist wütend und will es dem Rüpel heimzuzahlen. Da ertönt auch schon der Pfiff. "Keine Handgreiflichkeiten!", mahnt der Schiedsrichter. Die anderen bekommen einen Elfmeter aufgebrummt, den Karame allerdings nicht in ein Tor verwandeln kann.

Anders als die Politik bietet der Sport eine Welt, in der Fairness herrscht. Mit einem Schiedsrichter, der für die Einhaltung der Spielregeln sorgt. "Unser Ziel ist es, dass unsere Jugendlichen in Frieden leben und dass wir Gewalt vermeiden können", beschreibt Zaher seine pädagogischen Bemühungen.

Wie ihre Zukunft aussehen soll, darüber haben die Mitglieder des FC Karame durchaus unterschiedliche Vorstellungen. Gelaals Vater beispielsweise hat einen Traum, den viele Palästinenser seiner Generation teilen: Er möchte irgendwann wieder zurückkehren in die "richtige Heimat", nach Palästina.

Sogar die Besitzurkunde des Grundstücks seiner Vorfahren hat er noch. Der etwa 30jährige in Berlin geborene Bilaal hingegen sieht die Sache eher pragmatisch: "Sicher wäre es schön, mal zu Besuch dorthin zu fahren. Aber dort zu leben, das wäre vermutlich eine große Umstellung, weil die Leute eine ganz andere Mentalität haben als wir."

Und Gelaal? Der weiß vor allem eins: "Ich möchte später Rechtsanwalt werden. Und wenn ich dann noch Zeit habe, will ich weiter Fußball spielen."

Ursula Trüper © Qantara.de 2004