An informelle Lösungen gewöhnt

Die kirgisische Interimsregierung unter Rosa Otunbajewa sitzt nach dem Sturz des autoritären Präsidenten Kurmanbek Bakijew politisch fest im Sattel. Doch wohin steuert das zentralasiatische Land nach dem Machtwechsel in Bischkek? Antworten von Edda Schlager

Demonstranten vor dem Regierungsgebäude in Bischkek; Foto: AP
Quo vadis Kirgistan? Wird sich das Land nach dem blutigen Umsturz unter der Übergangsregierungschefin Rosa Otunbajewa außenpolitisch wieder stärker an Russland annähern?

​​Seit der Tulpenrevolution vor fünf Jahren sind die Kirgisen jedes Frühjahr auf die Straße gegangen. Man hatte sich fast daran gewöhnt, auch an die Ursache der Proteste – die Unzufriedenheit über die kirgisische Regierung unter Kurmanbek Bakijew.

Der war selbst durch die damals friedliche Revolution ins Amt gekommen, sein Vorgänger Askar Akajew gestürzt worden. Bakijew galt damals als Hoffnungsträger für eine demokratische Entwicklung. Doch die fünf Jahre seiner Amtszeit brachten Ernüchterung. Vor allem nach seiner Wiederwahl im vergangenen Sommer, hatten sich die letzten Illusionen gelegt.

Bakijew baute mit der Hilfe der Familie seinen Machtapparat aus. So wurde die Agentur für Innovation, Investitionen und Entwicklung unter die Leitung von Bakijew-Sohn Maxim gegründet, die fortan alle ausländischen Fördergelder verwaltete.

Bruder Janysch räumte Bakijew weitgehende Vollmachten für die bewaffneten Sicherheitsdienste des Landes ein. Pressefreiheit und Menschenrechte wurden zunehmend unterdrückt, Zeitungen geschlossen, kritische Journalisten mussten um ihr Leben fürchten. Kurz, Bakijew agierte in den letzten Monaten immer rücksichtsloser, die Lage in Kirgistan wurde angespannter.

Gezielt gegen das eigene Volk

Auf das allerdings, was an diesem 7. April und den darauf folgenden Tagen passierte, war niemand vorbereitet – Bakijew ließ auf seine Landsleute schießen.

Die Demonstranten im Zentrum von Bischkek schreckte das nicht. Sie überrollten die bewaffnete Leibgarde des Präsidenten mit ihrer Wut. Nach einer Nacht, die in Plünderungen und Zerstörung eskalierte, triumphierten sie. Bakijew floh nach Südkirgistan in seine Heimatstadt Jalalabad.

Kurmanbek Bakijew; Foto: AP
Mit dem Rücken zur Wand: Kurmanbek Bakijew war nach den Unruhen zunächst in den Süden des Landes geflohen. Nach Angaben der OSZE ist er inzwischen ins Nachbarland Kasachstan ausgereist.

​​Über 80 Tote und mehr als 1.500 Verletzte waren nach der blutigen Auseinandersetzung zu beklagen. Der Aufstand erschütterte vor allem diejenigen, die an eine friedliche Demokratiebewegung in Kirgistan geglaubt hatten.

Dennoch haben die Kirgisen gezeigt, dass sie sich nicht alles gefallen lassen. Schon im Monat zuvor, anlässlich des fünften Jahrestags der Tulpenrevolution am 24. März, hatte es in Bischkek Demonstrationen gegeben – gegen gestiegene Preise für Strom und Gas, eine immer desolatere wirtschaftliche Lage und die offensichtliche Bereicherung des Bakijew-Clans.

Dennoch bezweifeln Beobachter, dass dieser Ausbruch ein Zeichen für eine "Demokratie von unten" sei. Zentralasien-Expertin Beate Eschment meint dazu: "Die Menschen in Kirgistan spielen bei von außen installierten Spielchen wie Wahlen mit, weil sie das aus der Zeit der Sowjetunion gewohnt sind. Genau wie damals erwarten sie die tatsächliche Regelung ihrer Probleme aber nicht auf einer institutionellen oder demokratischen Ebene, sondern informell – und nach der Erfahrung von 2005 eben auch durch Gewalt und Eskalation."

Flucht nach Kasachstan

Noch gut eine Woche nach dem Aufstand und nachdem eine Interimsregierung mit Rosa Otunbajewa an der Spitze bereits die Regierungsgeschäfte übernommen hat, konnte sich Bakijew noch immer im Land halten, bevor er an diesem Donnerstag (15.4.) nach Kasachstan ausgeflogen wurde. Im Süden Kirgistans versuchte er vergebens, Anhänger zu mobilisieren.

Er war bereit, sein Amt niederzulegen, wenn die neue Regierung ihm und seiner Familie Straffreiheit garantierte, erklärte er Journalisten. Derzeit sieht es daher so aus, als wenn Bakijew davon kommt. Die Interimsregierung sieht von seiner Verhaftung ab, man wolle ihn verschonen, wenn er das Land verlasse, hieß es.

Sollte die Lage aber doch angespannt bleiben, wächst die Angst vor einem Bürgerkrieg. Vor allem Russland warnte mehrfach davor, der russische Präsident Dmitri Medwedew sieht gar die Möglichkeit eines "zweiten Afghanistan".

Doch steckt dahinter nicht ein bewusstes Taktieren der Großmacht, um ein stärkeres Engagement Russlands in Kirgistan notwendig scheinen zu lassen? Unter Bakijew waren die Beziehungen Kirgistans zu Russland stark abgekühlt.

Zwischen den Stühlen

Russland hatte zu Beginn des Jahres 2009 ein Hilfspaket von 2,15 Milliarden US-Dollar für Kirgistan geschnürt, unter anderem sollte damit der Ausbau des Wasserkraftwerks Karambata-1 finanziert werden. Im Gegenzug erwartete Russland von Bakijew, dass er die US-Basis auf dem Flughafen Manas in Bischkek endlich schließen ließe.

Rosa Otunbajewa; Foto: AP
Die Chefin der Übergangsregierung, Rosa Otunbajewa, hatte Bakijew aufgefordert, das Land zu verlassen. In diesem Fall sollte er freies Geleit erhalten.

​​Für die USA ist Manas ein wichtiger Stützpunkt zur Versorgung der in Afghanistan stationierten Truppen – nach wie vor. Denn dem Appell Russlands kam Bakijew nie nach, im Gegenteil. Auch eine spätere Zusicherung an die Amerikaner, die Basis nicht zu schließen, ließ sich Bakijew bezahlen.

Wie es jetzt mit der Militär-Basis weitergeht, ist offen. Otunbajewa versicherte, die Verträge mit den Amerikanern nicht anzutasten. Auch die Amerikaner selbst gehen davon aus. Zwei Tage nach den Ausschreitungen nahmen sie die Versorgungsflüge nach Afghanistan wieder auf.

Otunbajewa, so viel ist klar, will die engen Beziehungen zu den USA aufrecht erhalten – aber auch die zu Russland wieder verbessern. Sie hatte sich schon am Wochenende nach der Regierungsübernahme an Moskau gewandt und um Unterstützung gebeten.

Russland hatte die neue Regierung auch als erstes Land anerkannt. Und derzeit weilt eine Regierungsdelegation unter Interims-Vizepremier Almasbek Atambajew in Moskau, um konkrete Finanzierungspläne zu besprechen. Ob dabei auch über Manas erneut diskutiert wird, ist unklar.

Keine definitive Spaltung

Die außenpolitische Strategie wird für die Interimsregierung zunächst jedoch hinter den innenpolitischen Aufgaben zurückstehen. Zunächst gilt es, das Land zu befrieden. Eine weniger starke Rolle als häufig angenommen, so Beate Eschment, spiele dabei die Spaltung zwischen dem russisch orientierten Norden und dem stärker muslimisch geprägten Süden.

"Bakijew war der erste Präsident aus dem Süden. Die Menschen im Norden haben das 2005 akzeptiert und sogar Hoffnungen auf ihn gesetzt." Das zeige, dass die Spaltung so definitiv nicht sei. Auch scheine "der" Süden jetzt auch nicht automatisch für Bakijew auf die Straße zu gehen.

In sechs Monaten, so teilte die Interimsregierung mit, plane man Neuwahlen. Die Hauptaufgabe dieser neuen Regierung wird es sein, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes zu stabilisieren, vor allem aber, nicht der gleichen Gier nach Selbstbereicherung zu erliegen und die Bevölkerung teilhaben zu lassen.

Edda Schlager

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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