Demokratie schützt vor repressivem Islam

Ethnische Spannungen, wirtschaftliche Probleme - Malaysia steht an einem kritischen Punkt. Die vorzeitige Haftentlassung des wegen Korruption verurteilten ehemaligen Vizepremiers heizt die Spekulationen an. Lennart Lehman berichtet.

Ethnische Spannungen, wirtschaftliche Probleme - Malaysia steht an einem kritischen Punkt, meinen Beobachter. Die vorzeitige Haftentlassung des wegen Korruption verurteilten ehemaligen Vizepremiers heizt die Spekulationen an. Lennart Lehman berichtet.

​​Die Haftentlassung des ehemaligen malaiischen Finanzministers und Vizepremiers Anwar Ibrahim sorgt weiterhin über Malaysia hinaus für Aufregung. Nachdem die seit über fünfzig Jahren regierende Vereinigte Malaiische Nationalorganisation (UMNO) es abgelehnt hat, Ibrahim wieder in ihren Reihen mitspielen zu lassen, plant er jetzt die Gründung einer neuen Partei.

Nach Informationen seines Sprechers und Anwalts, Sivarasa Rahsia, auf Einladung des Zentrum Moderner Orient (ZMO) in Berlin, soll die neue "Gerechtigkeitspartei" (PJP) für Demokratie und Pluralismus stehen und eine Fusion aus der von Ibrahim 1998 gegründeten "Nationalen Gerechtigkeitspartei" (NJP) und mehreren NGOs sein.

"Das ist deswegen etwas Neues, weil Politik in Malaysia einen kommunitären Charakter hat", so der malaysische Politikwissenschaftler Farish A. Noor. Bisher repräsentieren die Parteien ethnische oder religiöse Gruppen des Vielvölkerstaates. Und immer wieder kommt es zu gewalttätigen Ausbrüchen zwischen der muslimisch-malaiischen Bevölkerung und der chinesischen Minderheit.

Absage an radikalen Islam

Foto: www.freeanwar.net
Anwar Ibrahim nach seiner Entlassung

​​"Die Regierung hat die Spannungen zwischen den Gruppen bewusst geschürt, um ihre repressiven politischen Maßnahmen zu rechtfertigen. Ein moderner Staat stützt so seine Macht auf prämoderne Taktik Die Asienkrise 1998 hat dieses System offen gelegt. Bis dahin konnten sich repressive Diktaturen in Asien hinter dem wirtschaftlichen Erfolg und dem Schlagwort eines 'asiatischen Weges' der so genannten Tigerstaaten verstecken."

Das will Ibrahim nun ändern. Allerdings hat die NJP, die während der Haft Ibrahims von dessen Frau Wan Azizah weiter aufgebaut wurde, bisher Schwierigkeiten, eine klare Position zu beziehen. Als oppositionelles Sammelbecken vereint sie viele widersprüchliche Interessen.

"Entscheidend wird sein, ob es Ibrahim gelingt, eine klare Position zu beziehen, in der er dem radikalen Islam eine Absage erteilt und gleichzeitig der muslimischen Mehrheit eine interessante Vision bietet", so Noor. Dafür müsste Ibrahim einen Spagat hinlegen: Auf der einen Seite gilt er international als progressiver muslimischer Politiker. In Kuala Lumpur als auch in Washington hofft man, er könne beschwichtigend auf radikale Islamisten einwirken.

Vom Islamisten zum Philosophen

Ibrahim startete seine Karriere als islamistischer Aktivist und hat sehr gute Kontakte in deren internationale Szene. Er warb wiederum während der Asienkrise 1998 für Konsolidierungsvorschläge der Weltbank, wogegen sich der damalige Premier Mahatir Mumammad vehement sträubte. Kann er so bei der chinesischen und indischen Minderheit in Malaysia punkten und der starken islamistischen Oppositionspartei (PAS) Konkurrenz machen?

"Anwar Ibrahim ist der einzige Politiker in Malaysia, der glaubwürdig eine antirassistische Position vertreten kann, gerade weil er aus dem dominierenden malaiisch-islamischen Umfeld kommt", sagt Noor. Ibrahims Sprecher Rahsia schildert Ibrahim als einen geläuterten, reflektierten, philosophischen Mann. Vom politischen Islam der 70er Jahre habe Ibrahim sich abgewendet.

"Die Islamisierung, die man auch in Malaysia beobachtet, ist ein globales Phänomen. Demokratisierung ist der Schlüssel, um den Teufelskreis aus Islamisierung und Repression aufzubrechen. Wir brauchen offene demokratische Diskurse. Bis dato gibt es in Malaysia keinen öffentlichen Raum, wo so etwas stattfinden kann."

Vertrauen in Staat gestört

Die Entwicklung in Malaysia spielt für Asien eine wichtige Rolle, da das Land in der Region nach wie vor als Vorbild gilt. Zwar ist das Land wirtschaftlich teilweise sehr erfolgreich, der Staatsapparat gilt aber als repressiv.

"Die willkürlich scheinende Verhaftung Anwar Ibrahims 1998, nachdem er sich zu einem starken Gegner Mahatirs entwickelt hatte, hat das Vertrauen in Staat, Politik und Polizei massiv gestört", so Noor. "Gleichzeitig können sich die Leute nach fünfzig Jahren Einparteienherrschaft durch die UNMO aber nicht vorstellen, dass politischer Wechsel etwas Normales ist und die Welt nicht unter geht. Es ist also eine Herausforderung für die PJP, diese Leute zu erreichen."

Mahatirs Nachfolger als Ministerpräsident, Abdullah Badawi, ist vorsichtig darum bemüht, nach der Ära Mahatir das Entwicklungsgefälle zwischen Stadt und Land, ausufernden Filz und Korruption zu bekämpfen. Er hat sich durch die Freilassung Ibrahims moralische Pluspunkte bei der Bevölkerung verschafft. Die freigelassenen Geister könnten sich aber schon bald gegen ihn wenden.

Lennart Lehmann

© Qantara.de 2004