Der höfliche Junge mit der Sturmfrisur

In der vergangenen Bundesliga-Saison sorgte Mesut Özil nicht nur sportlich für allerhand Furore – auch auf politischer Ebene stand er im Rampenlicht. Von André Tucic

Mesut Özil; Foto: dpa
Matchwinner im Pokalfinale: Mesut Özil ergatterte für sein Team Werder Bremen mit seinem Treffer der goldenen Pott.

​​Ende Mai erzielte Mesut Özil im DFB-Pokal-Finale den Siegtreffer zum 1:0 Endstand gegen Bayer Leverkusen. Werder Bremen gewann den Pott, der Jungspund glänze dabei als Matchwinner und legitimer Nachfolger von Diego – dem zu Juventus Turin scheidenden brasiliansichen Spielmacher. Özil bescherte Werder also einen versöhnlichen Abschluss einer launischen Bundeliga-Saison: Die Spielzeit begann mit einem spektakulären 5:1 gegen Bayern München und endete mit einem schnöden 1:5 gegen den Meister Wolfsburg sowie dem zehnten Tabellenrang. Eine weitere Pleite musste das Team von der Weser im UEFA Cup-Finale gegen Schachtjor Donzek aus der Ukraine erleiden. Ein Glück, dass der erst 20-jährige Özil jenes Tor gegen Leverkusen erzielte. Der höfliche Junge mit der Sturmfrisur hatte allerdings schon vor dem Treffer im DFB-Pokal für allerhand Furore gesorgt. Vor rund anderthalb Jahren zerrten sowohl der deutsche als auch der türkische Fußballverband an dem gebürtigen Gelsenkirchener wie zwei getrennte Eheleute an einem Scheidungskind. Halbmond oder Bundesadler Özil hatte bereits über zwanzig Spiele für deutsche Junioren-Nationalmannschaften bestritten und Ende 2007 seine türkische Staatsbürgerschaft abgelegt. Dennoch reklamierte die türkische Nationalelf Ansprüche auf den 'Verlorenen Sohn'. Um Özil zu kämpfen lohnte sich aus sportlichen Gesichtspunkten, aber es ging auch ums Prestige: man überlässt dem DFB nur ungern einen Türken. "Wir werden alles tun, damit er bei uns spielt", erklärte damals Nationaltrainer Fatih Terim, der seinen kantigen Statements gerne den pathetischen Unterton einer nationalen Angelegenheit verleiht. Özil hatte zu dem Zeitpunkt erst ein Freundschaftsspiel im DFB-Trikot bestritten und hätte theoretisch auch künftig für die Türkei auflaufen können. Erst nach einer offiziellen Partie – also einem Qualifikations-, EM- oder WM-Spiel – kann ein Spieler nicht mehr die Seiten wechseln. Doch Özil zierte sich.

Fatih Terim; Foto: dpa
Fatih Terim: "Wir werden alles tun, damit Özil bei uns spielt!"

​​ Letzten Endes hat er die Nominierung von Terim ausgeschlagen und absolvierte stattdessen ein Länderspiel mit der deutschen U 21-Nationalmannschaft. Er sei sich sicher für Deutschland spielen zu wollen, gab er zu Protokoll. Trotz der klaren Ansage, stand Özils Meinung dann aber doch noch einmal auf der Kippe. "Hör auf dein Herz" Denn Funktionäre vom türkischen Fußballverband TFF baten die Altintop-Zwillinge im Fall Özil Überzeugungsarbeit zu leisten. Immerhin haben sich die ebenfalls in Gelsenkirchen geborenen Altintops einst entschieden, für die Türkei aufzulaufen.

Mesut Özil imTrikot des DFB; Foto: AP
Eine Frage von nationaler Tragweite: am Ende der Auseinadersetzung entschied sich Özil doch für das Team des DFB.

​​"Hör auf dein Herz", appellierten sie an den Bruder im Geiste. Nach diesem emotional aufgeladenen Ratschlag war sich Özil nicht mehr sicher, ob er mit dem Halbmond oder dem Bundesadler auflaufen sollte. In der Türkei entfachte daraufhin eine hitzige Diskussion um Wurzeln, Ehre und Vaterland. Im deutschen Boulevard wurde er zeitweise "Schnözil" genannt, da er seine Entscheidung pro DFB infrage stellte. Das monatelange Tauziehen gewann der DFB, der Spieler indes musste einen hohen Preis dafür bezahlen. Von der Politik instrumentalisiert Kurz nach Özils abschließendem Bekenntnis musste das Gästebuch seiner Website geschlossen werden, zu viele Beleidigungen seitens einiger türkischer Heißsporne prasselten auf ihn nieder. Ein türkischer Abgeordneter gratulierte ihm zwar im Sinne der freundschaftlichen Verbundenheit der beiden Nationen zu seiner Entscheidung, nationalistische Stimmen sahen dies aber grundlegend anders und quittierten die Entscheidung mit Spott.

Mesut Özil; Foto: AP
Mesut Özil beim Amtsantritt bei Werder Bremen. Der Verein ist bekannt dafür, sich besonders für seine Profis zu engagieren.

​​In Deutschland meldeten sich Staatsministerin Maria Böhmer sowie die Grünen-Bundesvorsitzenden Cem Özdemir und Claudia Roth zu Wort. Letztere war geradezu aus dem Häuschen: "Dass er sich für den DFB entschieden hat, ist ein tolles Signal! Özil kann ein Vorbild sein für Millionen Menschen in der Bundesrepublik", so die ehemalige Ton-Steine-Scherben Managerin. Özil habe bewiesen: sich einzubringen lohnt sich, der soziale Aufstieg ist möglich. Der Vorfall zeigt, wie bemüht, aber auch unbeholfen die deutsche Politik bisweilen die gelungene Integration herbeiredet. Dabei scheut sie nicht davor zurück, einen gerade erst volljährigen Jungspund vor ihren Karren zu spannen und für das unbeschwerte Multikulti-Image einer Partei zu instrumentalisieren. Im Fahrwasser der Integrationsdebatte Werder Bremen, ein Verein, der für den respektvollen Umgang mit seinen Profis bekannt ist, schottete seinen Arbeitnehmer damals entsprechend konsequent ab. In Absprache mit Werders Presseabteilung sollte vermieden werden, dass Özil laufend zu seiner Herkunft befragt wird. Der Deutsch-Türke aus dem Ruhrpott sei schließlich Fußballprofi und nicht daran interessiert, als Musterbeispiel für Integration herzuhalten – geschweige denn in das riskante Fahrwasser der deutschen Integrationsdebatte sowie türkischer Nationalstolz-Diskussionen gerissen zu werden. Werder Bremen hat Recht. Özil ist gerade einmal 20 Lenze alt und ein eher genügsamer Zeitgenosse: Er hört gerne Rap-Musik von "Bushido", mag Filme mit Will Smith und gab an, Kunst als schlimmstes Schulfach empfunden zu haben. Er will in erster Linie Fußball spielen, einfach nur Fußball spielen – Frau Roth. André Tucic © Qantara.de 2009

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