Amina Waduds Durchbruch

Die Kontroverse um Amina Wadud, eine Islamgelehrte, die in New York als Vorbeterin das Freitagsgebet leitete, hält an. Der Aufschrei in der islamischen Welt erinnert an Reaktionen auf Salman Rushdies Roman "Die satanischen Verse", meint Luthfi Assyaukanie.

Die Kontroverse um Amina Wadud, eine Islamgelehrte, die in New York als Vorbeterin das traditionelle Freitagsgebet leitete, hält an. Der Aufschrei in der islamischen Welt erinnert an Reaktionen auf Salman Rushdies Roman "Die satanischen Verse", meint Luthfi Assyaukanie vom Liberal Islam Network in Indonesien.

Ihre Kritiker geißeln sie als Häretikerin: Amina Wadud. So erklärte beispielsweise der ägyptische Islamgelehrte Dr. Yusuf Qardhawi, seine Kollegin habe sich über eine 14 Jahrhunderte alte islamische Tradition hinweggesetzt. Ganz ähnlich bezeichnete der Großmufti Abdul Aziz al-Sheikh sie als eine "Feindin des Islam", die "das Gesetz Gottes übertreten" habe.

Diffamierungen und Todesdrohungen

Ägyptische und saudi-arabische Zeitungen berichteten auf den Titelseiten über den Gottesdienst in New York und bezeichneten Wadud als "verwirrte Frau", die sich zum Schaden des Islam mit westlichen Ungläubigen gemein mache.

Diese Reaktionen sind ausgesprochen beunruhigend, zeigen sie doch, dass manche Muslime Veränderungen gegenüber nicht offen sind und sogar geradezu paranoid reagieren, wenn solcher Wandel die traditionelle Religionsausübung betrifft. Mitunter sind die Reaktionen sogar extremistisch, denn außer mit Verachtung und Kritik sah Wadud sich – einem Bericht der "Daily Times" zufolge – auch mit Todesdrohungen konfrontiert, weil sie angeblich dem Islam "Schaden zugefügt" hatte.

Während Islamgelehrte sich über den Schleier, die unislamische Natur von Bankzinsen, Euthanasie oder über gemischt-konfessionelle Ehen streiten, hat Wadud es als erste Frau gewagt, auf ein im Kontext der islamischen Gesetze kompliziertes Problem eine ganz praktische Antwort zu geben. Damit ist sie über das, was Debatten bewirken können, weit hinausgegangen.

Die übertriebenen Reaktionen muslimischer Religionsgelehrter und Intellektueller zeugen vom blanken Unwillen, aus der Geschichte zu lernen. Im selben Geiste haben beinahe alle Islamgelehrten seit Anfang des 20. Jahrhunderts Bankzinsen, Frauenberufstätigkeit, Familienplanung und bestimmte technische Errungenschaften im Namen der Religion verdammt.

Fortschrittliche Ansätze

Doch solch konservatives Denken, das sich jedem Wandel entgegenstellt, fällt notwendigerweise schließlich dem historischen Fortschritt zum Opfer. So ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis eine "Imamim", also eine weibliche Vorbeterin, geduldet wird.

Schließlich ist auch Muhammad Abduh, ein Reformer, der Bankzinsen zugelassen hat, von ägyptischen Gelehrten kritisiert worden, und Ali Abd al-Raziq musste Kritik dafür einstecken, dass er das Kalifat als unislamisch bezeichnet hatte. Dennoch werden diese einst als ausgesprochen kontrovers geltenden Standpunkte inzwischen von vielen Muslimen akzeptiert.

Manche Islamgelehrte und Intellektuelle sind heute der Ansicht, dass es Frauen nur aufgrund der patriarchalen Struktur der arabischen Gesellschaft versagt geblieben ist, religiöse Ämter zu bekleiden. Mit anderen Worten: Dahinter steckt kein göttlicher Wille, sondern ein soziokulturelles Konstrukt.

Dr. Khaled Abou el-Fadl, islamischer Rechtsgelehrter an der University of California, behauptet sogar explizit, der Koran verbiete es Frauen keinesfalls, Imame zu werden. Und in Indonesien glaubt Scheich Hussein Muhammad aus Cirebon, dass sie tatsächlich gemischte Gebete von Frauen und Männern leiten können.

Dass Frauen und Männer getrennt beten sollen, entbehrt ohnehin jeder Grundlage, insofern dies nicht einmal am heiligsten Ort der muslimischen Welt selbst geschieht, in der Heiligen Moschee in Mekka.

Intoleranz und Extremismus nicht hinnehmbar

Was wir aus dem Fall Wadud leider lernen, ist, dass Muslime kaum dazu in der Lage sind, unterschiedliche Ansichten zu akzeptieren, vor allem nicht in Bezug auf Religion.

Tatsächlich konnte Wadud überhaupt nur ein Freitagsgebet leiten, weil sie sich in Amerika befand, und selbst dort war es aufgrund der Drohungen aus fundamentalistischen Kreisen nicht leicht, einen Ort dafür zu finden. Schließlich musste das Gebet in einer Einrichtung der Anglikanischen Kirche stattfinden, wobei die Gläubigen von Sicherheitskräften geschützt wurden.

In einem muslimischen Land wäre ein solches Ereignis überhaupt nicht möglich gewesen. Offenbar verfallen Muslime leicht darauf, ihren religiösen Überzeugungen mit Hilfe von Gewalt oder der Androhung von Gewalt Ausdruck zu verleihen. Diese Kombination von Intoleranz und Extremismus ist nicht länger hinzunehmen.

Wadud verdient unsere Unterstützung. Hier geht es letzten Endes nicht um die Gleichberechtigung der Geschlechter oder die Form der Religionsausübung, sondern im ganz grundsätzlichen Sinne um Toleranz in Glaubensdingen.

Um von Freiheit und Demokratie etwas zu haben, müssen Muslime hinnehmen, dass bestimmte Sichtweisen und Interpretationen von Religion sich im Laufe der Zeit verändern können – dass Religion in der Praxis nichts Statisches ist.

Luthfi Assyaukanie

© Liberal Islam Network 2005

Aus dem Englischen von Ilja Braun

Qantara.de

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