Mit dem Koran für Gleichberechtigung

Im Jemen spielen muslimische Geistliche eine große Rolle bei der Bildung der öffentlichen Meinung. Eine Frauenorganisation will nun, dass religiöse Prediger dabei behilflich sind, für mehr Gleichberechtigung zu kämpfen. Von Martina Sabra

Frauen in der Altstadt Sana'as; Foto: AP
Im Jemen verschleiern sich die meisten Frauen von Kopf bis Fuß. Die traditionelle bunte Tracht wird immer mehr vom schwarzen Baltus abgelöst.

​​Der 28jährige Abdelqawi Hassan lebt in Taiz, einer jemenitischen Handelsstadt mit rund 600.000 Einwohnern, auf halbem Weg zwischen der Hauptstadt Sanaa und Aden.

Früher war er Prediger in der größten Moschee in Taiz. Eines Tages sprach er dort über das Thema Ehescheidung. Er sagte, es sei besser, wenn Scheidungen vor ordentlichen Gerichten verhandelt würden. Damit der Ehemann nicht willkürlich schalten und walten könne, wie es im Jemen oft der Fall sei.

Danach bekam er Probleme mit der Moscheeleitung und darf dort zurzeit nicht mehr predigen.

Noch vor wenigen Jahren wäre es für den ausgebildeten Religionsgelehrten undenkbar gewesen, sich beim Freitagsgebet in einer Moschee für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen einzusetzen.

Abdelqawi Hassan war - wie viele junge Jemeniten - von konservativen und dogmatischen wahabitischen Theologen aus dem benachbarten Saudi-Arabien beeinflusst.

"Ich war einhundertprozentig gegen alles Neue, und gegen die Meinungsvielfalt. Wir lehnten die Teilnahme von Frauen am öffentlichen Leben ab. Und wir waren auch gegen die Organisationen, die sich für Frauenrechte einsetzen. Wir dachten, dass sie nur Ideen des Westens importieren wollten", erzählt Hassan.

Westen oder Islam

Für ihn gab es nur eins: entweder den Westen oder den Islam. Friedliche Koexistenz schien unmöglich. Dass der junge Prediger heute immer noch tief religiös ist, aber in Gender- und Menschenrechtsfragen reformislamische Positionen angenommen hat, verdankt er - neben seiner Fähigkeit zur Selbstkritik - der innovativen Strategie einer jemenitischen Frauengruppe.

Das unabhängige Frauenforum für Forschung und Ausbildung (Women's Forum for Research and Training), kurz WFRT, ist eigentlich eine säkulare Organisation, die die Trennung von Staat und Religion sowie die Einhaltung internationaler Frauen- und Menschenrechtsstandards fordert.

Doch nach der Vereinigung des Nord- und Südjemens und dem Erstarken islamistischer Kräfte sei es immer schwieriger geworden, ausschließlich mit solchen universalen Wertvorstellungen zu arbeiten, erklärt die Vorsitzende und Gründerin Suad Ata El-Gedsi.

"Klar, wir sind für die universalen Menschenrechte. Aber wir müssen uns auch der Wirklichkeit stellen." Natürlich wolle man, dass der andere irgendwann so denkt wie man selbst. Aber so sei es eben nicht.

"In den Augen der meisten Jemeniten sind wir verwestlicht. Wir befinden uns außerhalb des kulturellen Rahmens - wenn sie uns nicht gleich als Ungläubige ansehen", meint die Jemenitin.

Universale Menschenrechte und soziale Realität

Mittlerweile hat WFRT mit vielen Leuten, die so dachten, zusammengearbeitet. "Sie glauben nicht, wie viele Anfragen wir aus dem ganzen Jemen bekommen", sagt El-Gedsi. In den Männerrunden, wo das Qat (pflanzliche Alltagsdroge) gekaut wird, verteidigten heute viele Leute sogar ihre Ansichten.

Sich der Realität stellen - das hieße im Jemen, die Religion als wichtigsten kulturellen und sozialen Faktor anzuerkennen, erklärt Suad Ata El-Gedsi. Allerdings dürfe die Religion nicht zur Rechtfertigung von Unterdrückung und Gewalt missbraucht werden.

Das Frauenforum hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, islamische Reformkräfte im Jemen zu unterstützen. Zunächst hätte das Forum bei arabischen Geldgebern um Unterstützung gebeten, erzählt El-Gedsi.

Doch ohne Erfolg. Jetzt werden die Projekte von westlichen Geldgebern mitfinanziert - unter anderem auch aus Deutschland. Suad Ata El-Gedsi bedauert, dass selbst aus relativ liberalen arabischen Kreisen eine Ablehnung kam.

Rechtfertigung durch die Religion

"Ich bin eine Tochter dieses Landes, dieser Gesellschaft, dieser Wirklichkeit", sagt sie. El-Gedsi wurde mit 14 Jahren verheiratet und musste damals die Schule verlassen.

Es hat sie Jahre gekostet, um doch noch einen Bildungsabschluß zu schaffen und zu studieren. Als sie sich endlich scheiden lassen konnte, mußte sie auf alle finanziellen Rechte verzichten.

Ihre Kinder zog sie alleine groß, während sie arbeitete und Betriebswirtschaft studierte. "Die Gesellschaft war ganz und gar gegen mich. Wenn ich aus dem Haus ging, fragte man mich: wohin gehst Du? In deinem Haus gibt es keinen Mann!"

Kaum Recht auf Schulbildung, massive Diskriminierungen in den Gesetzen und im Alltag, Zwangsheiraten - die Benachteiligung von Frauen ist im Jemen massiv. Und gerechtfertigt wird sie fast immer mit dem Verweis auf den Islam.

Doch der Islam sei nicht prinzipiell frauenfeindlich, sagt der junge Prediger Abdelqawi Hassan. Er selbst habe durch die Lektüre islamischer Reformtheologen gelernt, die heiligen Texte neu und ganz anders zu lesen.

Vergleichende Lektüre

Bei den Seminaren des Frauenforums über Emanzipation, Menschenrechte und Staatsbürgertum und Islam erhalten die Teilnehmenden keine internationalen Menschenrechtstexte.

Qat-Handel im Jemen ; Foto: AP
Der Qat-Konsum ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Darunter leiden vor allem Kinder und Frauen, denn das Einkommen des Mannes wird mehr für die Droge und weniger für Nahrung und Bildung ausgegeben.

​​Stattdessen können sie die Aussagen des Korans mit internationalen Texten vergleichen ohne sich für eins von beiden entscheiden zu müssen.

Für Abdelqawi Hassan gab dieser respektvolle Umgang mit dem Islam und mit seinem Bedürfnis nach Identität den Ausschlag, sich auf mehr einzulassen. Bei der vergleichenden Lektüre wurde ihm klar, dass manche universellen Wertvorstellungen in Bezug auf Demokratie und Gleichberechtigung auch im Koran zu finden sind.

Abdelqawi Hassan hatte die angeblich "verwestlichten Frauenrechtlerinnen" ursprünglich widerlegen wollen. Mittlerweile setzt der jungen Prediger jedoch seine Überzeugungskünste für die ehemaligen Gegnerinnen ein: er arbeitet beim Frauenforum als Projektkoordinator - für das Thema Islam und Frauenrechte.

"Meine persönliche Identität ist sehr gestärkt. Selbst wenn ich im Westen leben würde - ich bliebe immer Muslim", ist sich Hassan sicher. Aber er sehne sich nach Freiheit. Viele Muslime redeten sich ein, dass sie als einzige ins Paradies kämen.

Hassan ist inzwischen glaubt, dass sich dort Juden, Christen, Muslime und andere begegnen werden. Mittlerweile sei ihm egal, welche Religion jemand hat. Das Wichtige sei doch, dass er oder sie an Gott glaubt und Gutes tut.

Martina Sabra

© DEUTSCHE WELLE 2008

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