"Falsches Signal" an die Türkei

Eine EU-Delegation reiste Anfang März 2004 nach Ankara, wo sie sich mit der türkischen Regierung traf, um die Fortschritte der Türkei zu diskutieren. Dabei ging es unter anderem um das Thema Menschenrechte. Kerstin Winter berichtet.

Türkischer Außenminister Abdullah Gül, Foto: AP
Türkischer Außenminister Abdullah Gül

​​Der Europarat in Straßburg, der sich für Menschenrechte einsetzt, hat angekündigt, ab April 2004 die Türkei von der Liste der Staaten zu nehmen, deren Umgang mit Menschenrechten intensiv überwacht wird.

In einem Sonderbericht, der im März 2004 veröffentlicht wurde, werden die demokratischen Reformen in der Türkei als wichtiger Schritt auf dem Weg in die EU gewürdigt. Menschenrechtsorganisationen halten diese Entscheidung des Europarats für falsch.

Wie viele Fälle von Menschenrechtsverletzungen es in der Türkei tatsächlich gibt, lässt sich schwer schätzen. Aber es seien immer noch zu viele, als dass man den deklarativen Äußerungen der Regierung in Ankara vertrauen könne, meint Amke Dietert von Amnesty International:

"Dass die Türkei Null-Toleranz gegenüber der Folter erklärt hat - das ist eine politische Erklärung des Premierministers. Aber wir bekommen ständig neue Folterberichte."

Seit 1996 steht die Türkei auf der so genannten "Monitoring-Liste für Demokratie-Defizite" des Europarats. Das heißt, er überprüft kontinuierlich, ob und wie die Türkei sich an die Europäische Menschenrechtskonvention hält.

Zwei Berichterstatter der Überwachungs-Kommission machen sich vor Ort ein Bild der Lage, indem sie mit Nicht-Regierungs-Organisationen und der Regierung sprechen. Außerdem haben sie freien Zugang zu Polizeistationen, Gefängnissen und anderen Orten, wo Menschenrechtsverletzungen gemeldet wurden.

"Fortschritte sollten gewürdigt werden"

Allerdings: Ab April 2004 will der Europarat die Türkei von dieser Liste streichen und nur noch auf Berichte der Regierung und von Menschenrechtsorganisationen zurückgreifen. Auf zwölf Punkte will der Europarat weiterhin besonderes Augenmerk richten. Dazu zählen Minderheitenrechte, Meinungsfreiheit und Verfassungsänderungen.

"Wir sind nicht so blauäugig jetzt zu sagen: es ist alles in Ordnung in der Türkei", sagt die luxemburgische Parlamentarierin Mady Delvaux-Stehres, eine der bisherigen Europarats-Berichterstatter. "Aber ich bin in der Zwischenzeit überzeugt, dass da ein starker Wille besteht sich anzupassen."

Mit der Entscheidung, das Monitoring zu lockern, wolle man die Fortschritte, die die Türkei in den vergangenen zwei Jahren gemacht habe, würdigen, so Mady Delvaux-Stehres. Und man wolle das Land politisch unterstützen - insbesondere, was die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union angehe.

Zu optimistisch?

Menschenrechtsorganisationen halten es dennoch für falsch. "Im Grunde genommen sendet der Europarat das Signal aus, dass er sich mit Absichtserklärungen zufrieden gibt und nicht darauf achtet, wie es mit der Umsetzung aussieht", meint Amke Dietert von Amnesty International.

Der Europarat weist seinerseits darauf hin, dass die Türkei bereits die Todesstrafe abgeschafft, die Befugnisse des Sicherheitsrates der Armee eingeschränkt und die Gesetze zur Presse- und Meinungsfreiheit verbessert habe.

Für Jonathan Sugden von Human Rights Watch ist das Theorie. Es habe erst in diesem Januar wieder einen Fall gegeben, bei dem ein Radio-Journalist für ein Jahr inhaftiert wurde, weil er das Parlament wegen der Truppenstationierung im Irak kritisiert hatte.

Sugden spricht zwar von einem "insgesamt guten Bericht". Aber in einigen Bereichen sei er zu optimistisch, zum Beispiel wo die Rolle der Armee analysiert werde. Freie Überwachung durch Nicht-Regierungs-Organisationen und die Zivilbevölkerung wären für Sugden ein Beweis, dass die Türkei es wirklich ernst mit der Achtung der Menschenrechte meine.

Kerstin Winter

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004