Merkel setzt bei EU-Beitrittsgesprächen mit Türkei auf Suspendierung statt Abbruch

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setzt in der Debatte um die Zukunft der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nun offenbar auf eine Aussetzung der Gespräche statt auf einen förmlichen Abbruch. "Es gibt auch die Möglichkeit, die Verhandlungen per Mehrheitsbeschluss zu suspendieren", sagte Merkel der "Passauer Neuen Presse" (Samstagsausgabe).

Zuvor hatten sich erst SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und dann auch Merkel in ihrem TV-Duell am 3. September für ein Ende der Beitrittsgespräche mit der Türkei ausgesprochen. Dies stieß aber bei den meisten EU-Staaten auf Ablehnung.

"Um Beitrittsverhandlungen zu beenden, brauchen wir einen einstimmigen Beschluss der Mitgliedsstaaten. Nicht alle EU-Partner sind dafür", räumte Merkel nun ein. Mit dem Vorschlag der Suspendierung deutete sie einen möglichen Kompromiss an: "Mir ist es wichtig, dass wir Europäer uns darüber keine offene Schlacht liefern, sondern einen gemeinsamen Weg finden", sagte die Kanzlerin.

Merkel kritisierte erneut das Vorgehen der Regierung in Ankara: "Die Türkei entfernt sich sehr schnell von rechtsstaatlichen Maßstäben." Es sei "empörend", dass eine Reihe von deutschen Staatsbürgern in der Türkei in Haft sitzt. "Wir werden unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Türkei weiter zurückfahren müssen und Projekte auf den Prüfstand stellen", kündigte die Kanzlerin an. Ziel sei es, "unsere Landsleute wieder in Freiheit zu bringen".

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) schloss mit Blick auf die Lage in der Türkei Verhandlungen über einen EU-Beitritt zum jetzigen Zeitpunkt aus. "Wir können nicht mit einem Land Beitrittsverhandlungen führen, das Menschenrechte missachtet, das Pressefreiheit missachtet, das Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union ohne sichtbaren Anlass ins Gefängnis steckt", sagte er dem SWR.

Für die Zukunft sprach sich Gabriel dafür aus, mit der Türkei über andere Formen der Zusammenarbeit als eine EU-Mitgliedschaft zu reden, aber auch das erst, "wenn sich die türkische Regierung wieder ändert". Vorbild könnte laut Gabriel die künftige Beziehung zwischen Großbritannien und der EU sein: "Vielleicht liegt im Brexit sogar die Chance, eine Form der Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der Europäischen Union zu entwickeln, die dann auch ein Beispiel für andere Länder sein kann", sagte der Außenminister.

In der Türkei wurden in den vergangenen Monaten zahlreiche Menschen inhaftiert, die als Gegner der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan gelten. Auch mehrere deutsche Staatsbürger sind dort seit Monaten in Haft, darunter die Journalisten Deniz Yücel und Mesale Tolu sowie der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner. Ihnen wird unter anderem Terrorunterstützung vorgeworfen, was die Bundesregierung für abwegig hält. (AFP)