"Mein Roman zeigt Aisha als starke Frau"

Kurz vor der Veröffentlichung von Sherry Jones' Roman über das Leben von Aisha, der Frau Mohammeds, stoppte der Verlag Random House das Buchprojekt aus Angst, es könnte die religiösen Gefühle der Muslime verletzen. Im Interview mit Nimet Seker spricht Sherry Jones über den Vorfall und ihre Motivation, den "Juwel von Medina" zu schreiben.

Bild Sherry Jones; Foto: privat
"Spannend an diesem Vorfall ist, dass er eine weltweite Diskussion über das Thema Zensur und freie Rede ausgelöst hat", so Sherry Jones über die Schwierigkeiten der Romanveröffentlichung.

​​ Ihr Roman wurde von einigen Kritikern als "Softporno" bezeichnet, von anderen als harmloser Geschichtskitsch abgetan. Was war Ihr Ziel, als Sie dieses Buch schrieben?

Sherry Jones: Meine Absicht war es, eine großartige Geschichte zu schreiben und gleichzeitig sowohl muslimischen wie nicht-muslimischen Lesern zu zeigen, welch entscheidende Rolle Frauen für die Gründung der frühen muslimischen Gemeinschaft spielten. Sie werden im ganzen Buch keine Sexszenen finden, dafür aber sehr wohl Szenen, in denen Frauen neben Männern in der Moschee beten, an ihrer Seite in Schlachten kämpfen und den Propheten Mohammed in politischen Angelegenheiten beraten.

Sie werden auch von den frühen Schlachten des Islam lesen und vieles über Mohammed lernen, seine ihm nahestehendsten Gefährten, seine Frauen und Konkubinen. Alle werden als menschliche Wesen gezeigt, mit menschlichen Schwächen und Makeln, aber auch mit ihrem Mut und ihrer Intelligenz.

Außerdem werden Sie, so hoffe ich, von Aisha inspiriert werden, nicht als Heilige, sondern als Frau aus Fleisch und Blut, die an ihrer Eifersucht litt, wenn sie den Mann, den sie liebte, ein ums andere Mal heiraten sah; sie hatte schwierige Lektionen zu lernen über die wahre Bedeutung der Liebe und des Glaubens und musste gegen die Zwänge ihrer Herkunft kämpfen, um ihr wahres Potenzial auszuschöpfen.

Nach und nach, so denke ich, werden Sie auch etwas lernen über die Anfänge des Islam und Mohammeds Beweggründe als Religionsstifter und dabei erkennen, dass Gewalt, Hass und die Unterdrückung der Frau nichts mit dem Islam zu tun haben.

Mit anderen Worten gesagt, hoffe ich, zu einem besseren Verständnis des Islam in seiner reinen Form und damit auch zu einer Ächtung jeder Form des Rassismus gegen Muslime beizutragen.

Wie beurteilen Sie, dass sich Random House auf Anraten der Islamexpertin Denise Spellberg entschlossen hat, Ihr Buch nicht zu veröffentlichen?

Jones: Sie war nicht die einzige, die von der Veröffentlichung abriet, noch zwei andere Gelehrte äußerten sich dahingehend, ebenso der Chef der verlagseigenen Sicherheitsabteilung. Um aber auf Ihre Frage einzugehen, denke ich, dass hier die Angst die Oberhand gewonnen hat und die Entscheidungsträger deshalb überreagierten. Ich kann ihre Entscheidung dennoch nachvollziehen.

Unsere gesamte Kultur in den USA ist seit den Angriffen auf das World Trade Center und das Pentagon vom 11. September 2001 von Angst und dem Abscheu gegenüber dem Islam durchdrungen. Das begann mit den Fernsehbildern von Menschen, die aus brennenden Häusern sprangen und setzte sich fort mit der Rhetorik von Präsident Bush und seinem Wort von der "Achse des Bösen". Ich habe es immer abgelehnt, mich dieser Angstmacherei zu beugen, sonst hätte ich dieses Buch weder geschrieben, noch es veröffentlicht.

​​Spannend an diesem Vorfall aber ist, dass er eine weltweite Diskussion über das Thema Zensur und freie Rede ausgelöst hat. Es geht gar nicht nur um Random House, es geht vor allem um unsere Antwort als Kulturnation auf die wahrgenommene Gewaltandrohung durch jene, die sich von einigen Formen der Meinungsäußerung, auch künstlerischen Formen, verletzt fühlen. Viele ähnliche Fälle der Selbstzensur gibt es immer wieder, mit Rücksicht auf Extremisten unterschiedlichster religiöser Provenienz.

Durch die Verschiebung des "Juwels von Medina" wachen die Menschen auf und erstmals fällt ihnen die Demontage der freien Rede auf. Und das ist eine gute Sache, denn wenn wir uns der freien Rede nicht bedienen, werden wir sie verlieren.

Wie beurteilen Sie die Debatte in den westlichen Medien, die, wie es Spellberg tat, mit Angriffen von Seiten radikaler Islamisten rechnen – und in diesem Fall sogar schon, bevor ihr Roman herauskam?

Jones: Ich halte es für rassistisch, anzunehmen, dass ein Muslim, der sich religiös verletzt fühlt, gewalttätig wird.

Eine Reihe muslimischer Autorinnen hat Ihren Roman gelesen und ist mit Ihnen in einen Dialog getreten. In ihrer Kritik heben sie hervor, dass das Porträt, das Sie von Aisha zeichnen, trotz der zwei Jahre, die Sie auf die Recherche verwendeten, nicht realistisch ist. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Jones: Insgesamt habe ich sogar fünf Jahre für die Recherche und das Schreiben des "Juwels von Medina" gebraucht. Ich glaube, dass die muslimischen Rezensentinnen schockiert sind, dass sich eine nicht-muslimische Autorin der Geschichte "ihrer" Aisha angenommen und sie verändert hat. Denise Spellberg schrieb, dass bis 150 Jahre nach ihrem Tod nichts über Aisha schriftlich festgehalten wurde; dies führte dazu, dass ihre Lebensgeschichte keineswegs aus feststehenden Fakten besteht, sondern sie immer den Interpretationen ihrer – männlichen –Biografen ausgesetzt war. Es ist also alles Interpretationssache.

Sogar die ihr zugeschriebenen Hadithe (Überlieferung der Aussprüche und Taten Mohammeds; Red.) wurden von Männern tradiert. Mein Roman ist lediglich eine weitere Interpretation: Eine, die eine stärkere Aisha zeigt, als die, von denen diese Frauen in der Madrasa hörten. Dies überrascht sie und in gewisser Weise verletzt es sie auch.

Ich bin aber nicht so arrogant zu glauben, dass ich es bin, die nun die definitive Version der Geschichte Aishas geliefert hat. Mein Roman stützt sich auf historische Fakten, aber erlaubt sich natürlich auch Freiheiten. Ich möchte – vor allem weibliche – Muslime ermutigen, ihre eigenen Lesarten von Aishas Lebensgeschichte und ihrer Bedeutung mitzuteilen. Hierfür habe ich auf meiner Webseite einen Raum für Mitteilungen geschaffen. Gehen sie auf www.authorsherryjones.com, dann auf "Join the Conversation" und schreiben sie nur drauf los! Ich lade jeden ein, etwas beizutragen, egal in welcher Sprache.

Westliche Kritiker beschuldigen Sie, Mohammed in einer einseitig positiven Weise porträtiert zu haben. Wie ging Ihre Recherche vonstatten, welche Quellen haben Sie für Ihr Buch ausgewertet?

Jones: Ja, das stimmt. Ein deutscher Kritiker etwa warf mir vor, dass ich mit Mohammed zu unkritisch verfahren wäre und gleichzeitig zu kritisch mit Ali (Neffe und Schwiegersohn Mohammeds; Red.). Mit einem Buch, wie dem meinen können sie es eben nicht jedem recht machen. Denken Sie daran, dass der ganze Roman aus der Perspektive Aishas geschrieben ist, von der ich annehme, dass sie Mohammed sehr geliebt hat. Ich bin mir sicher, dass eine andere Frau – beispielsweise eine seiner jüdischen Frauen – eine andere Auffassung von ihm hatte.

Darstellung des Propheten Mohammed aus dem 17. Jahrhundert; Foto: wikipedia.org
Erst nach dem Tod Mohammeds, hier auf einer Darstellung aus dem 17. Jahrhundert zu sehen, seien die Rechte der Frauen eingeschränkt worden, so Sherry Jones.

​​Was die Quellen angeht, so las ich alles, was ich in englischer Sprache zum Thema finden konnte. Die wichtigsten Quellen, auf die ich mich stützen konnte, waren die Werke von Denise Spellberg, Fatima Mernissi, Ibn Kathir, Nabia Abbott und Karen Armstrong. Der deutsche Publizist Stefan Weidner bemerkte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass das "Juwel von Medina" im Wesentlichen eine getreue Nacherzählung islamischer Überlieferungen für ein westliches Publikum sei.

Die literaturtheoretische Schule der Rezeptionsästhetik hat für die Wirkung meines Buches natürlich eine besondere Bedeutung, denn jeder, der es liest, wird zu einer eigenen, ganz subjektiven Interpretation gelangen, die auf dem basiert, was er an Vorbildung und –erfahrung mitbringt, noch bevor er das Buch aufschlägt.

Ich bin mit dem "Juwel von Medina" sehr zufrieden und auch mit der Debatte, die das Buch ausgelöst hat. Ich habe mit dem Buch das erreicht, was ich erhofft hatte: Ich habe der westlichen Welt Aisha nähergebracht und die starke gesellschaftliche Partizipation von Frauen im Islam aufgezeigt. In der Fortsetzung werden die Leser das Aufblühen Aishas als reife Frau und politische Führungsfigur erleben und werden Mitgefühl gegenüber Ali entwickeln können. Auch werden sie lernen, wie die Rechte der Frauen nach dem Tod Mohammeds eingeschränkt wurden, sie werden den Beginn der Spaltung des Islam in Sunnismus und Schiitentum miterleben und, so hoffe ich, zum Nachdenken darüber gebracht werden, ob Rache eine positive oder eine destruktive Kraft ist.

Interview: Nimet Seker

© Qantara.de 2009

Aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Sherry Jones, Aisha. Das Juwel von Medina, aus dem Amerikanischen von Emma und Samuel Daussig, Pendo-Verlag, München 2008.

Qantara.de

Sherry Jones' Roman: "Aisha. Das Juwel von Medina"
Liebe macht blind – Sympathie manchmal einäugig
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Mohammed-Biographien
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"Licht ins Dunkel der Anfänge des Islam" fordert Karl-Heinz Ohlig, Herausgeber des Bandes "Der frühe Islam", dessen Autoren den Anspruch erheben, unter Rückgriff auf "zeitgenössische Quellen" die tatsächliche Entstehung des Islam nachzeichnen zu können. Daniel Birnstiel hat das Buch gelesen.

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www.authorsherryjones.com