Libanons sicherer Hafen

Mord, Folter und Demütigung veranlassen viele Homosexuelle im Irak dazu, in andere Ländern der Region zu fliehen. Libanons relativ tolerante Gesellschaft bietet ihnen die Sicherheit, von der Homosexuelle in Ländern wie Syrien oder Jordanien nur träumen können. Von Austin Mackell

Mord, Einschüchterung, Folter und Demütigung veranlassen viele Homosexuelle im Irak dazu, in andere Ländern der Region zu fliehen. Libanons relativ tolerante Gesellschaft bietet ihnen die Sicherheit, von der Homosexuelle in Ländern wie Syrien oder Jordanien nur träumen können. Von Austin Mackell.

​​Adam hat eine schwach sichtbare Narbe, die von seinem rechten Ohr über seine Wange bis unter seinen Mundwinkel fast bis zum Kinn verläuft. Seit 2005 hat er sie. Damals war er zu jemandem gefahren, von dem er dachte, dass dieser Mann schwul wäre. Adam hatte ihn im Internet kennengelernt.

Doch als er ankam, erwarteten ihn vier schwarz gekleidete Mitglieder der Mahdi-Armee, der von Muqtada Al Sadr geführten schiitischen Miliz, die weite Teile Bagdads kontrolliert. Nachdem die Männer ihn verprügelt hatten, holte einer von ihnen ein Messer hervor und schnitt ihm ins Gesicht.

Eine Geschichte der homophoben Gewalt

Seitdem traf Adam auf vier weitere Männer mit einer solchen Narbe, drei von ihnen in Bagdad und einen auf einer Reise nach Syrien. Diese und andere, sehr ähnliche Erlebnisse sind Teil einer Geschichte homophober Gewalt und von Mordtaten, begangen von den zahlreichen Milizen, die seit dem Irakkrieg von 2003 praktisch unkontrolliert ihr Unwesen treiben können.

Nach einem kürzlich veröffentlichen Bericht der Organisation Human Rights Watch mit dem Titel "They Want Us Exterminated" ("Sie wollen uns auslöschen"), hat aber in diesem Jahr nicht nur die Häufigkeit, sondern auch der Grad der Gewalt ein bisher nie zu beobachtendes Niveau erreicht, da sich nun die Mahdi-Armee, Al-Qaida im Irak sowie kleinere Gruppen wie "Ashab Ahl al Haq" ("Liga der Gerechten") einen regelrechten Wettbewerb darum liefern, wer die irakische Gesellschaft eifriger von homosexuellen Männern "säubert".

Ihre Methoden umfassen Einschüchterungen, Folter und auch Mord, und dies mit oft besonders grausamen Mitteln wie dem Einbringen von Klebstoff in den Anus und der nachfolgenden Verabreichung von Abführmitteln. Begleitet werden diese physischen Angriffe von verbalen Attacken, von denen der Berichterstatter von Human Rights Watch meint, dass sie einen guten Einblick in die Motive dieser Verfolgungen eröffneten.

So ist zu lesen: "Sowohl in den Medien als auch in den Moschee-Predigten wird vor einer Welle der 'Verweichlichung' unter irakischen Männern gewarnt und das 'dritte Geschlecht' wird verteufelt. Ein Großteil der Gewalt scheint von einer Panik genährt zu werden, dass einige Leute der Dekadenz verfallen oder allzu 'verweichlicht' würden, und das inmitten einer Phase des sozialen Wandels und unter fremder Besatzung."

Gefoltert von irakischen Sicherheitskräften

​​ Der Bericht von Human Rights Watch rückt auch die irakischen Sicherheitskräfte in ein düsteres Licht. Nicht nur wird darin ihre Untätigkeit angesichts der Morde angeprangert – so hat es bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts keine einzige Verhaftung oder auch nur Untersuchung gegeben –, vielmehr werden auch Mitglieder der Sicherheitskräfte selbst beschuldigt, an der Entführung und Erpressung von Homosexuellen beteiligt gewesen zu sein.

Zu einem dieser Fälle, die im Bericht aufgezählt werden, erzählt ein Mann, dass er von Beamten des Innenministeriums verschleppt und gefoltert wurde. Dann verlangten sie einige Tausend Dollar als Lösegeld, die er auch zahlte. Auch berichtet er, dass man ihm vor seiner Freilassung die Leichen von fünf Männern gezeigt hätte, die das Lösegeld nicht hätten aufbringen können.

Relative Sicherheit für schwule Flüchtlinge

Unter solchen Umständen kann es nicht überraschen, dass viele homosexuelle Iraker ihr Heil in der Flucht suchen und relative Sicherheit in Nachbarstaaten, am ehesten im Libanon, finden.

Auch wenn Homosexualität, oder genauer ausgedrückt: "unnatürlicher Geschlechtsverkehr", im Libanon offiziell verboten ist, ist die Strafverfolgung in der Regel so nachlässig und die Gesellschaft so tolerant, dass sich viele öffentliche Schwulenkneipen und Bars dort finden lassen.

Noch wichtiger für die Schwulen aus dem Irak (von denen nur wenige über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, sich in der lebendigen Schwulenszene Beiruts zu bewegen) ist "Helem", eine öffentliche Schwulenrechtsorganisation. "Helem" sowie "Melem" (das Pendant, welches sich für die Rechte lesbischer Frauen einsetzt). Beide Organisationen sind einzigartig in der arabischen Welt.

"Helem" bietet finanzielle Hilfe, medizinische und psychologische Betreuung, vermittelt Kontakte zu anderen Hilfsangeboten und, was angesichts der Tatsache, dass sich ein Großteil der schätzungsweise 25.000 irakischen Flüchtlinge illegal im Libanon aufhält wohl am wichtigsten ist: Die Organisation hilft bei der Registrierung beim UNHCR, um ein Land zu finden, das bereit ist, den Flüchtlingen eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.

​​ Mitarbeiter von "Helem" sagen, dass es den Flüchtlingen mit ihrer Hilfe oft gelinge, diesen Prozess in rund einem Jahr abzuschließen, während es normalerweise zwischen drei und vier Jahre dauern kann, bis ein Visum zu bekommen ist.

Für Adam, der seit diesem April im Libanon ist und von einem möglichen Aufnahmeland noch nichts gehört hat, kann all dies nicht schnell genug gehen. Als ehemaliger Übersetzer und Journalist mit einem Universitätsabschluss in Management klagt er über die hohen Lebenshaltungskosten im Libanon, vor allem für jemanden, der wegen seines Status als "Illegaler" keine formelle Tätigkeit ausüben kann.

In einem Monat wird die finanzielle Unterstützung durch "Helem" auslaufen. Danach wird er wohl gezwungen sein, sich irgendeinen illegalen Job zu suchen, um über die Runden zu kommen.

Eine Drohung und keine Warnung

Adam verließ den Irak, nachdem die Frau seines Bruders eine DVD fand, die ihm ein Freund gegeben hatte und die ihn selbst und seinen Freund auf einer Party der homosexuellen Community in Bagdad zeigte. Er war zu dieser Zeit bei der Arbeit, doch er erhielt einen Anruf von seiner Nichte, die ihm sagte, dass "sein Geheimnis" keines mehr war.

Sein Bruder, ein überzeugter Islamist mit Kontakten zur Mahdi-Armee (der Gruppe, der Human Rights Watch die Hauptverantwortung an den Morden an Schwulen zuschreibt), hatte Adam schon zuvor erklärt, als er einmal bei ihm eine DVD mit einem Schwulen-Porno entdeckte, dass Homosexualität nach islamischem Recht mit dem Tode zu bestrafen wäre.

Adam fasste dies nicht als Warnung, sondern als Drohung auf. Und er war überzeugt davon, dass dieser Drohung auch Taten folgen würden. Nachdem er einige Tage in verschiedenen Hotels in der Nähe von Bagdad verbracht hatte, erzählte ihm ein Freund aus den USA von "Helem". Noch am selben Tag machte er sich auf den Weg nach Beirut.

Austin Mackell

© Qantara.de 2009

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Qantara.de

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